Deutschland im November 2025. Das politische Thermometer zeigt Fiebertemperaturen an, die noch vor wenigen Jahren als Fantasterei abgetan worden wären. Ein Riss geht durch die Republik, ein Beben, das die Grundfesten des politischen Systems erschüttert. An der Spitze dieses Bebens steht ein Mann, der antrat, um die Ordnung wiederherzustellen, nun aber im Zentrum des Sturms steht: Kanzler Friedrich Merz. Die neuesten Umfragen sind ein politischer Paukenschlag: Die AfD liegt bundesweit vorn. Noch alarmierender ist die nackte, kalte Arithmetik: Die einzige rechnerisch stabile Mehrheit im Deutschen Bundestag wäre ein Bündnis aus der CDU des Kanzlers und ebenjener Partei, die man per Parteitagsbeschluss zur Persona non grata erklärt hatte.
Wir erleben live den Zerfall einer Gewissheit. Die sogenannte „Brandmauer“, jenes ungeschriebene Gesetz der deutschen Nachkriegspolitik, das eine Zusammenarbeit mit radikalen Rändern ausschließen sollte, bröckelt nicht nur – sie wird eingerissen. Nicht von außen, sondern von innen. Während Friedrich Merz in Berlin noch die Einheit beschwört, wächst an der Basis, in den Landesverbänden der CDU, der offene Aufstand. Es ist eine Debatte, die längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand geführt wird. Es geht um die nackte Regierungsfähigkeit.

Die Bundesregierung, eine Koalition aus Schwarz und Rot, verliert in dramatischem Tempo das Vertrauen der Bürger. Die Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, sind zu einer toxischen Mischung eskaliert: eine ungelöste Migrationskrise, die Kommunen an den Rand des Kollapses treibt, explodierende Energiepreise, die den Mittelstand erdrosseln, eine stagnierende Wirtschaft und eine tiefe Verunsicherung über die Zukunft der Rente. Es sind keine abstrakten Debatten mehr. Für Millionen Bürger, insbesondere für die Generation über 55, sind dies existenzielle Zukunftsfragen, die ihren Alltag und ihre Lebensplanung unmittelbar bedrohen.
In dieses Vakuum des Vertrauens stößt die AfD mit voller Wucht. In den östlichen Bundesländern, in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, ist sie längst keine Protestpartei mehr. Sie wird dort von vielen als ernstzunehmender Regierungsakteur wahrgenommen, in Umfragen liegt sie teils meilenweit vorn. Für die dortigen CDU-Landesverbände wird die Berliner Doktrin zur Zerreißprobe. Klassische Bündnisse wie Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün sind oft mathematisch unmöglich geworden. Die Frage “Wer regiert?” wird zu einer Zwangslage, die pragmatische Antworten erzwingt – oder das Land in die Unregierbarkeit stürzt.
Friedrich Merz, der Kanzler, ist zum Getriebenen geworden. Sein Antritt war mit großen Erwartungen verbunden. Er sollte die Union neu ausrichten, ihr ein klares konservatives Profil zurückgeben, das unter seiner Vorgängerin verloren gegangen war. Er sollte entschlossen auftreten, Vertrauen zurückgewinnen und die Probleme anpacken, die viele als “links-grüne” Hinterlassenschaften sahen. Doch nach den ersten Monaten seiner Kanzlerschaft ist bei vielen Bürgern Ernüchterung eingekehrt.
Die erhoffte Wende blieb aus. Maßnahmen zur Grenzsicherung wirken auf viele Wähler halbherzig. Die Wirtschaftspolitik hat nicht die erhoffte Entlastung gebracht. Und das große Zukunftsversprechen der sozialen Sicherheit, die Rente, bleibt ein Angstthema, gerade für die Generation, die dieses Land aufgebaut hat und jahrzehntelang eingezahlt hat. Diese diffuse Unsicherheit, das Gefühl, dass die etablierte Politik die Sorgen der “normalen” Leute nicht mehr ernst nimmt, ist der Nährboden, auf dem der Erfolg der AfD gedeiht.
Merz steckt in einem strategischen Dilemma, das unlösbar scheint. Betont er die Brandmauer, wie er es in Berlin pflichtschuldig tut, treibt er enttäuschte konservative Wähler direkt in die Arme der AfD. Relativiert er sie jedoch, verprellt er die moderaten Unterstützer in den westlichen Ländern und riskiert eine offene Zerreißprobe seiner eigenen Partei. Sein Versuch, den Begriff der “Brandmauer” selbst zu relativieren, indem er erklärte, dieser sei nie Teil der CDU-Tradition gewesen, erwies sich als kommunikatives Desaster. Anstatt die Debatte zu beruhigen, wirkte es, als öffne die Parteiführung selbst die Tür, die sie eben noch fest verschlossen halten wollte. Es säte Misstrauen und Unruhe: Die einen witterten Verrat an den Grundwerten der Partei, die anderen hofften auf einen längst überfälligen pragmatischen Kurswechsel.

Der Druck kommt aber nicht nur von den Umfragen und der AfD. Er kommt aus dem Herzen der eigenen Regierung. Die schwarz-rote Koalition wirkt gelähmt. Interne Streitereien über Haushaltsmittel, über das Bürgergeld, über den richtigen Kurs in der Migrations- und Sozialpolitik legen die Handlungsfähigkeit lahm. Angekündigte Reformen versanden oder werden so sehr verwässert, dass sie in der Praxis wirkungslos bleiben. Für den Bürger entsteht der fatale Eindruck, dass Berlin auf die drängendsten Probleme entweder zu spät, zu zögerlich oder gar nicht reagiert.
Diese Schwäche der Regierung strahlt unmittelbar auf die CDU als führende Kraft aus. In den Landesverbänden, fernab der Berliner Blase, wächst die Frustration. Parteimitglieder aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg kritisieren seit Monaten, dass die Beschlüsse aus dem Konrad-Adenauer-Haus an der Realität vor Ort vorbeigehen. Aus ihrer Perspektive wirkt die strikte Abgrenzung zur AfD wie ein politischer Luxus, den man sich schlicht nicht mehr leisten kann, wenn man nicht jede Gestaltungsmöglichkeit verlieren will.
Es ist diese Dynamik, die ein Bündnis zwischen CDU und AfD überhaupt erst denkbar macht. Nicht, weil sich die Parteien programmatisch annähern würden – die Gräben sind tief. Sondern weil das politische System selbst unter einem Druck geraten ist, der alte Gewissheiten pulverisiert. Es ist die Arithmetik der Macht, die hier eine neue Realität schafft.
Die kommenden Monate, insbesondere die nächsten Landtagswahlen, werden zu einem ultimativen Prüfstein für Friedrich Merz und die gesamte deutsche Politik. Sollte die AfD erneut als stärkste Kraft aus diesen Wahlen hervorgehen und die CDU nur als zweit- oder drittstärkste Kraft landen, wird die Frage nach der Regierungsfähigkeit mit einer Härte gestellt werden, die niemand mehr ignorieren kann. Die Landesverbände, die schon heute über “neue Wege” nachdenken, könnten dann den Kurs der gesamten Bundespartei massiv beeinflussen oder gar zum Bruch zwingen.

Für Friedrich Merz wird es ein Tanz auf der Rasierklinge. Jede Entscheidung, jede öffentliche Botschaft, jeder Schritt wird darüber entscheiden, ob er die Kontrolle behält oder ob er von der Dynamik, die er einst zu beherrschen glaubte, überrollt wird. Am Ende wird die Realität in den Ländern den Ausschlag geben. Wenn Koalitionen ohne die AfD mathematisch nicht mehr möglich sind, wird sich die politische Strategie der CDU zwangsläufig ändern müssen.
Wir stehen an einem Wendepunkt. Die Frage ist längst nicht mehr ob, sondern wie und wann diese neue Realität beantwortet wird. Die aktuelle Diskussion ist weit mehr als ein parteipolitisches Ringen um Macht und Posten. Es ist eine Debatte über die zukünftige Ausrichtung und die Seele der Bundesrepublik Deutschland.