Bürgergeld-Härte auf der Spitze: Jobcenter streichen schon jetzt alle Leistungen

Bürgergeld-Härte auf der Spitze: Jobcenter streichen schon jetzt alle Leistungen

Bürgergeld-Härte auf der Spitze: Jobcenter streichen schon jetzt alle  Leistungen

Die Merz-Regierung verschärft in der neuen Grundsicherung die Sanktionen. Doch bereits jetzt haben Jobcenter kreative Wege genutzt, um das Bürgergeld zu streichen.

Frankfurt – Die Bundesregierung schärft beim Bürgergeld nach und baut es zur sogenannten „neuen“ Grundsicherung um. Union und SPD wollen dabei stärker den Ansatz des „Förderns“ betonen. Jobcenter sollen dabei die Möglichkeit erhalten, Beziehenden bereits beim ersten abgelehnten Arbeitsangebot den Regelsatz zu entziehen. Wer drei Termine verpasst und sich dann nicht im Jobcenter meldet, soll alle Leistungen verlieren, einschließlich des Geldes für Miete und Heizen.

Kopie von Montage kleiner Kreis (7).jpg ©  Jens Kalaene/Kay Nietfeld/dpa

Damit erfüllt die Regierung Jobcenter-Beschäftigten ihren Wunsch. Denn aus den Behörden waren schon länger Rufe nach mehr Verbindlichkeit zu vernehmen – und nach entsprechenden Instrumenten, um diese zu schaffen. Laut einer IAB-Umfrage vom September 2025 wünschten sich rund zwei Drittel der Jobcenter-Beschäftigten härtere Sanktionen. Zehn Prozent sprachen sich für die vollständige Streichung aller Bürgergeld-Leistungen aus. Nur eine kleine Minderheit von rund neun Prozent forderten niedrigere Minderungen als bisher – oder gar keine.

Jobcenter-Beschäftigte kritisieren Sanktionen im Bürgergeld – und nutzen andere Mittel

Die Hürden für die bisherige Möglichkeit, den Bürgergeld-Regelsatz für zwei Monate zu entziehen, bezeichneten die Befragten dabei mehrheitlich als „realitätsfern“. Dazu gab es diese Option lediglich für Beziehende, die innerhalb von zwölf Monaten zwei Arbeitsangebote abgelehnt haben. Dazu waren die Hürden für diese Totalsanktionen sehr hoch. So muss das Jobangebot etwa bestehen bleiben und der Arbeitgeber die Erwerbslosen weiterhin einstellen wollen, damit Jobcenter eine Sanktion aussprechen können.

Auffällig an der Umfrage ist: Wo sie rechtlich einen Spielraum sehen und sowohl Leistungsminderungen, also die umgangssprachlichen Sanktionen, als auch vorläufige Zahlungseinstellungen einsetzen können, wählen die Jobcenter-Beschäftigten dieses Mittel. Dabei wird kein Bürgergeld ausgezahlt – offiziell, weil beispielsweise Informationen zur Bestimmung des Anspruchs fehlen oder die Betroffenen nicht erreichbar sind.

Jobcenter-Beschäftigte sehen vorläufige Leistungseinstellung als Alternative zu Sanktionen

60 Prozent der Befragten stimmten in der bereits Ende September veröffentlichten IAB-Umfrage der Aussage zu, dass vorläufige Zahlungseinstellungen eine „unbürokratische Version der 100-Prozent-Kürzung“ seien. Führungskräfte stimmten der Aussage häufiger zu als Beratungs- und Vermittlungskräfte. Der häufigste Grund der Zahlungseinstellung war mit 56 Prozent ein verpasster Termin oder eine unerlaubte Ortsabwesenheit.

Montage: Auf einem Bild stehen zwei Männer, beide mutmaßlich Bürgergeld-Beziehende, vor einem Hinweisschild des Jobcenters Berlin Treptow-Köpenick. Auf der rechten Seite ist eine Nahaufnahme von Friedrich Merz, der die Lippen zusammenkneift, eingefügt.

Bei verpassten Terminen könnten die Jobcenter jedoch auch normale Sanktionen verhängen, jedoch hatten sich die Beschäftigten und Führungskräfte häufiger härtere Maßnahmen gewünscht. So hatte der Duisburger Jobcenter-Chef Frank Böttcher im Spiegel eine „gerichtsfeste Möglichkeit gefordert, die Leistungen vorläufig einzustellen“, wenn Beziehende zweimal nicht zu Terminen erscheinen.

Jobcenter deuten Fernbleiben von Bürgergeld-Beziehenden so, dass sie Leistungen streichen können

Doch diese Zahlungseinstellungen kommen immer wieder vor, wie auch Vertreterinnen und Vertreter der Betroffenen erklären. „Immer wieder passiert, dass Jobcenter nach nicht eingehaltenen Terminen zu der Schlussfolgerung kommen, die leistungsbeziehende Person sei nicht ortsanwesend oder würde nicht mehr am Ort wohnen, weshalb sie eine vorläufige Zahlungseinstellung vornehmen“, erklärte etwa Sozialrecht-Referent Harald Thomé.

„Es ist kein Zufall, dass wir bei Sanktionsfrei diese Praxis vermehrt beobachten, seitdem die Totalsanktionen durch das Bundesverfassungsgericht 2019 abgeschafft wurden“, erklärte Vereinsgründerin Helena Steinhaus. „Leistungseinstellungen werden meist mit einer recht knappen Frist angekündigt“, beschrieb sie das Vorgehen. „Die Folgen sind verheerend. Fast niemand der Betroffenen hat Rücklagen, um die laufenden Rechnungen zu zahlen.“ Auch Geld für Lebensmittel fehle dann, auch Mietrückstände entstehen. „Oft sind auch Kinder betroffen“, sagte Steinhaus. „Sanktionsfrei springt in solchen Fällen finanziell ein und bemüht ein Eilverfahren, manchmal reicht auch das Nachreichen von Mitwirkungspflichten.“

Leistungseinstellungen folgen nur in bestimmten Fällen – wenn Bürgergeld-Anspruch unklar ist

Um die Einhaltung der Mitwirkungspflichten der Bürgergeld-Beziehenden geht es den Jobcentern. „In unserer Arbeit geht es uns nicht ums Bestrafen, sondern darum, mit den Menschen in Kontakt zu kommen“, erklärte ein Sprecher der Berliner Jobcenter. „Nur so können wir unterstützen, beraten und den Weg in Arbeit gehen.“ Minderungen seien „immer der letzte Schritt“.

Bei „wiederholten Meldeversäumnissen und zum Beispiel Rückläufern der Post“ könnten die Jobcenter-Beschäftigten „neben der ausbleibenden Beratungsmöglichkeit im Einzelfall nicht mehr feststellen, dass die Anspruchsvoraussetzungen“, etwa die Hilfebedürftigkeit oder Erwerbsfähigkeit, „für den Bezug von Bürgergeld erfüllt“ seien, so der Sprecher. „In diesem Fall können die Jobcenter die Leistungen im Einzelfall vorläufig einstellen, um den rechtmäßigen Bezug von Bürgergeld ermitteln zu können.“ Um die Zahlung wieder aufzunehmen, reiche „häufig schon ein klärendes Gespräch im Jobcenter“.

Bürgergeld-Entzug wegen verpassten Terminen – Kritiker sehen rechtswidrige „Interpretation“

Einen anderen Weg als die vorläufigen Leistungseinstellungen sind die Jobcenter der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit (BA) nach Beratungen eines Arbeitskreises gegangen. Durch eine Neuregelung im Bürgergeld vom Juli 2023 erhalten Bedürftige die Leistungen nur, wenn sie „erreichbar“ sind. Wenn sie auf eine Belehrung des Jobcenters nicht reagierten, folgte die Entziehung.

Im Testzeitraum nach dem Arbeitskreis hätten Jobcenter in 600 Fällen entsprechend gehandelt, erklärte eine BA-Sprecherin auf Anfrage. In neun Fällen, was 1,5 Prozent der Gesamtheit entspricht, habe es Widersprüche gegeben. „Die Jobcenter-Mitarbeitenden wägen sinnvoll ab, welche Instrumente in der Vermittlung zielführend sind“, stellte die Sprecherin jedoch klar.

Kritikerinnen und Kritiker wie Harald Thomé sehen jedoch eine „fingierte Nichterreichbarkeit“. Die vorläufige Leistungseinstellung sei „rechtswidrig, da dies auf freier Interpretation der Sachbearbeiter läuft, rechtsstaatliche Grundzüge, nach denen vor einer Leistungsversagung der Betroffene anzuhören ist, unterminiert und so faktisch ein die Existenz- und Wohnung gefährdendes Sanktionsinstrument geschaffen wird“.

Neue Grundsicherung bietet neuen rechtlichen Rahmen bei Nichterreichbarkeit

Durch die Bürgergeld-Reform schaffen Kanzler Friedrich Merz und Arbeitsministerin Bärbel Bas jedoch einen neuen Rahmen für diese Sanktionen bei verpassten Terminen. Dann soll klarer sein, wann Beziehende als nicht erreichbar gelten und Jobcenter die Leistungen einstellen können.

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