Die verratene Generation: Warum drei von vier jungen Deutschen die Rente nur noch als Trugbild sehen und der soziale Frieden bröckelt

Die verratene Generation: Warum drei von vier jungen Deutschen die Rente nur noch als Trugbild sehen und der soziale Frieden bröckelt

Sarah Joelle sieht sauer aus und gestikuliert mit ihrer Hand.

Die Rente. Für Generationen von Deutschen war sie die verlässliche Zusage auf einen würdevollen Lebensabend, ein Pfeiler des sozialen Friedens, verankert im feierlich beschworenen Generationenvertrag. Heute, im Jahr 2025, hat sich dieses Bild drastisch gewandelt. Bei jungen Menschen, insbesondere der sogenannten Generation Z, die gerade erst ins Berufsleben eintritt oder sich in der Ausbildung befindet, ist das Wort „Rente“ nicht mehr mit Sicherheit oder Ruhestand verbunden, sondern mit einem Gefühl tief sitzender, lähmender Angst.

Die Zahlen sind erschütternd und sollten in den politischen Berliner Büros wie ein Alarmzeichen wirken: Drei von vier jungen Menschen in Deutschland fürchten einer aktuellen Studie zufolge die Altersarmut. Diese kollektive Furcht ist kein hysterischer Ausbruch, sondern eine kühle, rationale Reaktion auf ein Rentensystem, das strukturell überfordert ist und dessen Lasten immer ungleicher verteilt werden. Es ist die Angst der „zahlenden Generation“, die spürt, dass sie das Spiel nicht mehr gewinnen kann.

Die Illusion des Generationenvertrags

 

Die jungen Norddeutschen, deren Perspektive die Debatte ursprünglich beleuchtete, stehen exemplarisch für eine gesamte Alterskohorte, die sich verraten fühlt. Sie blicken auf die demografische Realität: Eine stetig wachsende Zahl von Rentnern steht einer schrumpfenden Basis von Beitragszahlern gegenüber. Für sie ist die gesetzliche Rente keine Garantie mehr, sondern bestenfalls ein Sockel, der selbst in der Ferne brüchig erscheint.

Das Misstrauen in die staatliche Altersvorsorge hat historische Ausmaße erreicht. Während ältere Generationen im Durchschnitt noch mit einer verlässlichen staatlichen Leistung rechnen, ist die Skepsis der 18- bis 30-Jährigen fundamental. Ein beträchtlicher Teil rechnet nicht mehr damit, überhaupt noch eine auskömmliche staatliche Rente zu erhalten. Die Folge: Der Druck zur privaten Vorsorge beginnt nicht erst mit 40, sondern mit dem ersten Ausbildungsgehalt oder Studienabschluss.

Dieser erzwungene Start in die private Finanzplanung ist ein enormer mentaler und finanzieller Zusatzstress. Die jungen Menschen müssen nicht nur die steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten bewältigen, sie müssen gleichzeitig die Systemlücke schließen, die die Politik über Jahrzehnte ignoriert hat. Sie werden von früh an in die Rolle des eigenen Finanzberaters gedrängt.

Vom Sparbuch zur Aktie: Der Zwang zum Börsen-Experten

 

Das Misstrauen im System führt zu einer bemerkenswerten Verschiebung in der Vorsorgekultur. Junge Deutsche, traditionell eher zurückhaltend, wenn es um Kapitalmärkte geht, erkennen, dass das klassische Sparbuch in Zeiten niedriger Zinsen und hoher Inflation eine Garantie für Altersverlust ist. Aktien, ETFs und Investmentfonds, einst Domäne der Wohlhabenden, werden für die Generation Z zur Pflichtübung.

Der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit (Financial Independence, Retire Early – FIRE-Bewegung) ist bei dieser Generation überproportional hoch. Er entspringt jedoch weniger dem Wunsch nach Luxus, sondern vielmehr der tief verwurzelten Angst, im Alter auf staatliche Almosen angewiesen zu sein. Die jungen Menschen suchen verzweifelt nach Wegen, das Ruder selbst in die Hand zu nehmen, da sie der Regierung die Fähigkeit zur langfristigen Steuerung nicht mehr zutrauen.

Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die die soziale Sprengkraft der Debatte noch verstärken: Junge Frauen sind überdurchschnittlich von der Angst vor Altersarmut betroffen – bis zu 84 Prozent teilen diese Sorge. Gleichzeitig sorgen sie seltener oder weniger riskant privat vor, greifen eher zu traditionellen, weniger rentablen Anlageformen als ihre männlichen Altersgenossen. Dies droht, die bereits bestehende Gender-Pay-Gap in eine massive Gender-Pension-Gap zu überführen, die die finanzielle Abhängigkeit von Frauen im Alter zementiert.

Die lautlose Schicht der Nicht-Sparer

Während sich ein Teil der Generation Z mühsam in die Welt der Aktien einarbeitet, existiert eine lautlose, aber entscheidende Schicht, die in der politischen Debatte oft vergessen wird: Diejenigen, die sich private Altersvorsorge schlichtweg nicht leisten können. Rund 14 Prozent der jungen Menschen geben an, kein Geld zum Sparen übrig zu haben, weil ihr gesamtes Einkommen für die Deckung der Lebenshaltungskosten benötigt wird.

Für diese Gruppe wird die Angst vor Altersarmut nicht zur Möglichkeit, sondern zur beinahe gesicherten Zukunft. Die Lasten der Sozialabgaben und die hohe Steuerlast auf Arbeitseinkommen verhindern jeglichen Vermögensaufbau. Hier zeigt sich die ganze Tragik der politischen Untätigkeit: Statt die Lasten gerechter zu verteilen, etwa durch eine höhere Besteuerung großer Vermögen oder Erbschaften, wird die Arbeit junger Menschen maximal ausgeschöpft, bevor sie überhaupt eine Chance auf Vorsorge haben.

Die Kommentare eines Leipziger Wirtschaftsexperten, der betonte, dass in Deutschland kaum Politik für junge Menschen gemacht werde, hallen hier nach. Das System belohnt die bereits Etablierten und besteuert die Aufsteiger ins Erwerbsleben überproportional. Wer jung ist und keine reiche Familie im Rücken hat, startet im Nachteil.

Die Rente frisst die Familienplanung

 

Die weitreichendste und emotionalste Konsequenz der Rentenangst ist jedoch die Beeinflussung der Lebensplanung. Wenn drei von vier jungen Menschen in Deutschland um ihre finanzielle Zukunft bangen, hat das unmittelbare Auswirkungen auf ihre Entscheidungen, die über reine Finanzfragen hinausgehen. Etwa jede vierte junge Person gibt an, aufgrund der finanziellen Unsicherheit auf die Gründung einer Familie verzichten zu müssen.

Dies ist der eigentliche Schlag in das Gesicht des Generationenvertrags. Die Generation, die Kinder bekommen müsste, um das Rentensystem langfristig zu stabilisieren, sieht sich gezwungen, gerade diese lebenswichtige Entscheidung aus purer ökonomischer Angst aufzuschieben oder ganz zu verwerfen. Die Rente wird so zu einem Kinder-Killer, der die demografischen Probleme nur noch weiter verschärft. Es entsteht ein Teufelskreis aus Unsicherheit, Kinderlosigkeit und dem Zusammenbruch des umlagefinanzierten Systems.

Forderungen nach einer gerechten Politik

 

Die junge Generation fordert daher nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern konkrete, mutige Reformen, die den Status quo durchbrechen:

  1. Pflicht zur Finanzbildung: Es herrscht breite Einigkeit, dass die Schule ihrer Pflicht zur Vorbereitung auf das finanzielle Leben nicht nachkommt. Junge Menschen müssen die Regeln der Märkte und die Grundlagen der Altersvorsorge lernen, um dem Zwang zur Selbsthilfe gewachsen zu sein.

  2. Generationsgerechte Steuerpolitik: Eine Entlastung des Faktors Arbeit und eine stärkere Heranziehung von Vermögen und Erbschaften sind notwendig, um jungen Menschen überhaupt die Chance zu geben, frühzeitig Kapital aufzubauen und nicht nur ihre Existenz zu sichern.

  3. Die „Aktienrente“ als Staats-Vorsorge: Der Ruf nach einer Kapitaldeckungskomponente – einer staatlich verwalteten Aktienrente – ist keine bloße Forderung nach mehr Geld, sondern der Wunsch nach einer zukunftsfähigen, generationengerechten Systemergänzung, die das Risiko breiter streut.

Das Gefühl der Verratenheit bei der Generation Z ist real und berechtigt. Die deutsche Rentendebatte ist längst keine technische Diskussion mehr über Beitragssätze und Renteneintrittsalter. Sie ist eine tief greifende Vertrauenskrise, die den Kern unseres gesellschaftlichen Konsenses angreift. Wenn die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft ihre Zukunft nur noch in düsteren Farben malen und das Fundament ihres Lebens – die Familie – aus Angst opfern müssen, ist es höchste Zeit für die Politik, ihre Prioritäten radikal zu verschieben. Andernfalls wird die Angst der Generation Z sehr bald zur Realität des gesamten Landes.

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