Ein Naked Dress als Zündschnur: Wie es um die gesellschaftliche Spaltung und den Kulturkampf bestellt ist, lässt sich an der Debatte um Schauspielerin Sydney Sweeney ablesen.

Sie hat es mal wieder geschafft – Sydney Sweeney ist die Frau der Stunde, die Frau, über die man spricht und die die Social-Media-Timelines beherrscht. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie das getragen hat“, schreiben X-User auch Tage nach dem Auftritt der Schauspielerin in einem vielsagenden Kleid.
Die 28-jährige Amerikanerin wählte für die Variety-Gala in Beverly Hills vergangene Woche eine halb transparente, bodenlange Kreation von Christian Cowan und Elias Matso. Der silbrig schimmernde Mesh-Stoff gab den Blick auf ihre Brüste frei, die korsettartige Schnürung sorgte für eine gedrehte Wespentaille.
Nun ist es nicht so, dass man mit einem Naked Dress heutzutage noch zwingend für Aufsehen sorgt. In Zeiten, in denen eine Kim Kardashian quasi ununterbrochen hautenge Looks ohne Unterwäsche wählt, Bella Hadid sich auf dem roten Teppich in Cannes in einem durchsichtigen Kleid zeigt und Bianca Censori bei den Grammys gleich ganz blank zieht, könnte man schon von einer gewissen Übersättigung sprechen.
Zwar haben schon Cher, Marilyn Monroe oder Kate Moss zu früheren Zeiten bewiesen, dass man sich zeigefreudig in die Schlagzeilen bringt und seine Karriere entscheidend vorantreiben kann. Doch ist der Grat ein schmaler – am Ende ist man entweder einfach nur eine Nacktschnecke, oder aber man macht mehr daraus und brennt sich über den kurzen Teppich-Moment hinaus ins popkulturelle Gedächtnis.
Geschickte Schachzüge, exakt gesetzte Auftritte
Letzteres ist Sydney Sweeney gelungen. Ihr Kleid hat das Zeug zum Dauerbrenner, wie Jennifer Lopez’ grünes Donatella-Versace-Dress oder das Sicherheitsnadelkleid von Gianni Versace, das Liz Hurley 1994 bei der Filmpremiere von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ getragen hat. Hurleys Karriere gründete quasi auf dem Kleid, das als „That Dress“ in die Annalen der Abendmode einging. Nach diesem Auftritt kannte jeder die damalige Lebensgefährtin von Hugh Grant.
Bei Sydney Sweeney indes ist der Fall anders gelagert. Die Schauspielerin hatte bereits vor dem Kleid eine Karriere, eine weltweite Medienbekanntheit musste sie sich nicht mehr erschaffen. Sweeney baut diese lediglich aus. Mit geschickten Schachzügen, exakt gesetzten Auftritten, die nicht zu häufig, aber dann umso wirksamer sind.
Wer die Amerikanerin nicht ohnehin schon aus Serien wie „Everything Sucks!“ oder „Euphoria“ kannte, der musste sie spätestens ab Sommer dieses Jahres auf dem Schirm haben, als American Eagle sie als klassisches blondes „All American Girl“ für seine Jeanskampagne wählte. Ein Marketing-Coup sondergleichen, der mit dem Slogan „Sydney Sweeney has great jeans“ und doppeldeutigen Wortspielereien mit „jeans“ und „genes“ in den sozialen Medien für hitzige Kontroversen sorgte.

Genau das ist es, was bei Sydney Sweeney den Unterschied macht. Ohne sich auch nur politisch zu äußern – zu Rassismusvorwürfen im Zuge ihrer Jeanswerbung hat sie sich wohlweislich nie eingelassen –, steht sie für ein Frauenbild, das von den einen geliebt und von den anderen verachtet wird. Sie polarisiert und ist damit im langweiligen Hollywood-Zirkus eine Ausnahmeerscheinung.
In Zeiten, in denen es zum Celebrity-Mainstream gehört, auf den amerikanischen Präsidenten zu schimpfen, wird Sweeney von diesem gelobt: Auf Truth Social bezeichnete Donald Trump die American-Eagle-Werbung als „hottest ad out there“. Auch das kommentierte die 28-Jährige nicht weiter, von der der Guardian schrieb, sie habe sich einige Monate vor Trumps zweiter Präsidentschaftswahl in Florida als republikanische Wählerin registrieren lassen.
Sweeney springt geschickt mitten in den Kulturkampf hinein
Sweeney springt also geschickt mitten in den Kulturkampf hinein, ohne diesen explizit mit Worten zu führen. Sie weiß, dass sie ihn durch ihr bloßes Äußeres anfachen kann. Sie steht für all das, was dem woken Zeitgeist widerspricht, provoziert mit ihrer betont femininen, weißen Ästhetik die Linken, die sie als Backlash empfinden, als Sinnbild der stereotypen Sexualisierung von Frauen, von der man sich doch längst wegwähnte. Konservative hingegen feiern sie als Symbol einer Zeit vor der „Wokeness“.
Das kann man auch an den Diskussionen um das besagte Nackt-Kleid ablesen. Auf Sweeneys Instagram-Account – sie lässt die Kommentarfunktion offen – heißt es zu einem Bild von ihrem Auftritt: „Frauen: Sexualisiert uns nicht!!!. Auch Frauen: *sexualisiert sich*“ oder „Es ist nichts Kraftvolles an Nacktheit“. Demgegenüber schreiben die Verteidiger Sweeneys: „Wäre dieses Kleid sexuell, wenn es eine unattraktive Frau trüge? Oder ist es nur sexuell, weil du sie attraktiv findest? Lass sie in Frieden heiß sein, sie sieht fantastisch aus.“
Auch bei der „Power of Women“-Gala von Variety sorgte das Kleid nicht für ungeteilte Begeisterung. Während Sweeney in Beverly Hills eine Rede über weibliche Stärke und Selbstbestimmung hielt, war nur ihr Outfit das Gesprächsthema – was ja wiederum auch vielsagend ist für den gesellschaftlichen Diskurs.

