Ein Titel, der aufhorchen lässt: “Große Trauer für Michael Holm – Der Schmerz ließ ihn energielos zurück.” Es sind Schlagzeilen wie diese, die sich in den sozialen Medien mit alarmierender Geschwindigkeit verbreiten. Sie malen das Bild einer Ikone in der Krise. Michael Holm, der Mann, der mit “Mendocino” und “Tränen lügen nicht” den Soundtrack einer ganzen Generation geschrieben hat, soll von einem Schicksalsschlag gelähmt sein. Fans sind in Sorge, die Gerüchteküche brodelt. Doch was ist dran an dieser Geschichte von tiefem, persönlichem Leid? Eine journalistische Spurensuche führt nicht zu einer stillen Familientragödie, sondern entlarvt ein bizarr-zynisches Spiel mit der Öffentlichkeit – und die Quelle selbst offenbart den Betrug.
Um den Kern des Gerüchts zu verstehen, muss man den Mann verstehen, um den es geht. Michael Holm, bürgerlich Lothar Bernhard Walter, geboren 1943 in Stettin, ist einer der letzten Giganten des deutschen Schlagers. Er ist nicht nur das Gesicht, das von den Bühnen der ZDF-Hitparade lächelte, sondern auch der Mastermind im Hintergrund. Als Sänger, Texter und Produzent hat er die deutsche Musiklandschaft geprägt wie kaum ein anderer. 1969 landete er mit “Mendocino” einen Über-Hit, der sich über eine Million Mal verkaufte. Es folgten unsterbliche Melodien wie “Barfuß im Regen”, “Musst Du jetzt gerade gehen, Lucille” und natürlich die Ballade der Balladen: “Tränen lügen nicht” von 1974.
Dieser Song, eine der meistverkauften Singles des Jahres, ist vielleicht der Schlüssel zum Verständnis des Phänomens Holm. Mehr als jeder andere Hit ist es dieses Lied über Schmerz, Verlust und die Unausweichlichkeit der Reue, das sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Michael Holm wurde zum Interpreten der großen, melancholischen Gefühle.

Gleichzeitig ist der private Michael Holm das genaue Gegenteil eines Mannes, der sein Herz auf der Zunge trägt. In der Branche gilt er als der “Gentleman”. Während andere Stars der 70er Jahre mit Skandalen für Schlagzeilen sorgten – Holm selbst hatte eine medienwirksame Affäre mit “Klimbim”-Star Ingrid Steeger – kultivierte er seit Jahrzehnten die Diskretion. Seit 1991 ist er in zweiter Ehe mit seiner Frau Beate, genannt “Bimbi”, verheiratet. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder, Max und Franzi, und lebt zurückgezogen in Weilheim in Oberbayern. Sein Privatleben, so weiß es die Boulevardpresse, ist eine Festung. Ein seltener Einblick, den Holm der “BUNTE” gewährte: Seine Frau Beate ist nicht einmal ein Fan seiner Musik. Eine amüsante Anekdote, die Bände über die Normalität dieses Lebens abseits des Rampenlichts spricht.
Wie passt dieses Bild des glücklich verheirateten, zurückgezogenen Familienvaters zu den dramatischen Schlagzeilen über “große Trauer” und “lähmenden Schmerz”? Das Video, das diese Behauptungen aufstellt, verspricht, die “traurigsten Dinge in Michael Holms Leben” zu enthüllen. Es spricht von “Prüfungen und Schwierigkeiten”, von “Schmerz und Verlust”, die er ertragen musste. Und tatsächlich gibt es eine reale, historische Tragödie im Leben des Sängers: seine Geburt in Stettin und die Vertreibung der Familie im Jahr 1945. Er, seine Zwillingsschwester Mechtheld und seine drei weiteren Geschwister mussten in Erlangen eine neue Heimat finden. Der Verlust der Heimat, ein Trauma, das eine ganze Generation prägte – zweifellos ein fundamentaler “Schmerz” und eine “Schwierigkeit”, die sein Leben von Kindesbeinen an begleitete.
Doch das Video, das diese Gerüchte streut, bleibt merkwürdig vage. Es verspricht Enthüllungen, liefert aber nur Allgemeinplätze. Mehr noch: Es gesteht sein eigenes Scheitern an der Aufgabe. An einer Stelle heißt es wörtlich: “In der Familie kann es zu Tragödien kommen, die nicht öffentlich ans Licht kommen, aber diese Dinge werden in der Regel geheim gehalten.” Später wird nochmals bekräftigt, dass Schwierigkeiten in persönlichen Beziehungen “in der Regel nicht öffentlich bekannt gegeben” wurden.
Die Quelle gibt also offen zu, nichts zu wissen. Sie lockt mit der Behauptung einer Tragödie, nur um dann zu erklären, dass diese Tragödie (so sie denn existiert) geheim ist. Die journalistische Recherche bestätigt dies: Es gibt keine öffentlichen Berichte über einen kürzlichen Schicksalsschlag, keinen Todesfall in der Familie, keine Krankheit. Die aktuellsten Artikel über Michael Holm beschreiben ihn als aktiven Musiker, der sein ruhiges Leben in Oberbayern genießt.

Der angebliche “Schmerz”, der ihn “energielos” macht, existiert nicht in der Realität, sondern nur in der Spekulation. Es ist eine bösartige Konfabulation, die drei Elemente miteinander vermischt:
- Die reale, aber lange zurückliegende historische Tragödie seiner Vertreibung als Kind.
- Die tief melancholischen und schmerzhaften Themen seiner größten Hits, allen voran “Tränen lügen nicht”.
- Den Wunsch von Clickbait-Produzenten, mit dem Namen einer Legende Klicks zu generieren.
Der ultimative Beweis für die unseriöse Natur dieser Gerüchte ist jedoch das Video selbst. Es ist ein Meisterwerk der unfreiwilligen Entlarvung. Nach sechs Minuten und dreißig Sekunden, in denen wiederholt und substanzlos behauptet wird, Holm habe ein schweres Leben gehabt, gibt der Sprecher – und damit die Produzenten des Videos – offenbar auf.
Der Ton ändert sich. Die Musik stoppt. Plötzlich hört man einen völlig anderen Sprecher mit akademischem Tonfall. Was folgt, ist ein Kauderwelsch, das wie ein Ausschnitt aus einem universitären Proseminar klingt. Es fallen Worte wie “Gamification”, “mathematische Selbstwirksamkeit”, “Korrelation”, “Hypothesen” und “teilnehmerschwund”. Ja, Sie haben richtig gelesen. Ein Video, das mit der “großen Trauer” einer Schlagerlegende wirbt, endet als unzusammenhängender Vortrag über die Motivationspsychologie in der Hochschulmathematik.
Dieser bizarre Bruch, dieser Moment, in dem die Maske fällt, ist der beste Beweis dafür, dass die ursprüngliche Behauptung nie eine Basis hatte. Dem Ersteller des Videos gingen die vagen Floskeln über Michael Holms “geheimen Schmerz” aus, und so wurde der Rest des Videos mit einem beliebigen, themenfremden Audiofragment aufgefüllt, um die gewünschte Länge für die Monetarisierung zu erreichen.
Der Skandal ist also nicht, dass Michael Holm leidet. Der Skandal ist, dass sein Name und das Mitgefühl seiner Fans für solch einen primitiven Betrug missbraucht werden. Es ist der Gipfel des Zynismus, die Vertreibung eines Kleinkindes im Jahr 1945 und die traurigen Texte seiner Lieder als Köder zu benutzen, um Menschen in eine Falle aus Falschinformationen zu locken, die in einem Vortrag über “Gamification” endet.
Die “große Trauer” um Michael Holm ist eine Ente, eine bösartige Fiktion, konstruiert von Inhalts-Farmern, die auf die schnelle Mark – oder den schnellen Klick – aus sind. Der “Schmerz” ist nicht der von Michael Holm, sondern der, den jeder Fan von Anstand und gutem Journalismus empfindet, wenn er mit einer solchen Täuschung konfrontiert wird.
Der echte Michael Holm, der “Gentleman” des Schlagers, schweigt zu all dem – und er tut gut daran. Er lebt sein Leben in Weilheim, weit weg von den schmutzigen Tricks des Internets. Sein Werk, von “Mendocino” bis “Tränen lügen nicht”, hat die Kraft, auch ohne erfundene Tragödien Emotionen zu wecken. Und das ist vielleicht die größte Ironie: Die Tränen, von denen er sang, mögen nicht lügen, aber die Gerüchtemacher, die seinen Namen benutzen, tun es unentwegt.
