Wenn man den Namen Howard Carpendale hört, denkt man an ein strahlendes Lächeln, eine sanfte Stimme mit diesem unverwechselbaren Akzent und an Lieder, die Generationen verbunden haben. “Ti Amo”, “Tür an Tür mit Alice”, “Hello Again” – es ist der Soundtrack eines Lebens voller Erfolg. Über 25 Millionen verkaufte Tonträger, ausverkaufte Hallen, eine Karriere, die über fünf Jahrzehnte andauert. Doch ein reißerischer Titel über ein “Vermögen, das seine Familie in Tränen ausbrechen ließ”, zeichnet ein anderes Bild. Es weckt Erwartungen an Erbstreitigkeiten oder einen Goldschatz. Die Wahrheit ist jedoch unendlich vielschichtiger und tragischer.
Das “Vermögen”, von dem hier die Rede ist, lässt sich nicht in Euro oder Dollar beziffern. Es ist ein Vermächtnis aus Schweigen, aus tief verborgenen Narben und einer Last aus Schuld, die der heute 79-Jährige jahrzehntelang allein mit sich herumtrug. Die Tränen seiner Familie, seiner Frau Donis Pierce und seines Sohnes Wayne, sind keine Tränen der Rührung über einen Geldsegen, sondern Tränen des Schmerzes über die nun offenbarte Tiefe des Leids, das der Ehemann und Vater hinter seiner professionellen Fassade verbarg.
Um den Kern dieses Schmerzes zu verstehen, muss man zurück in das Jahr 1946 reisen, nach Durban, Südafrika. Howard Victor Carpendale wird in eine Familie britischer Abstammung hineingeboren. Es ist eine Zeit, in der sich die Apartheid wie ein Schatten über das Land legt. Seine Kindheit ist geprägt von Musik und Rugby, aber auch von einer emotionalen Distanz. Die Eltern, ein Ingenieur und eine Lehrerin, sind oft beruflich eingespannt. Mit 18 Jahren trifft der junge Howard eine Entscheidung, die sein Leben definieren wird: Er verlässt Südafrika. Er flieht vor den politischen Spannungen, aber er jagt auch seinen musikalischen Träumen in Europa hinterher.
Diese Entscheidung ist der Grundstein seiner Karriere, aber auch seiner tiefsten Trauer. Er fühlt sich entwurzelt, “abgeschnitten von seinen Wurzeln”, verloren zwischen zwei Kulturen. Diese Zerrissenheit wird zu einem lebenslangen Begleiter. Als er in den 60er Jahren nach Deutschland kommt, schlägt ihm Misstrauen entgegen. Er ist der Südafrikaner aus einem isolierten Land, er spricht kein Deutsch. Produzenten lehnen ihn ab, glauben nicht, dass ein Ausländer in der deutschen Musikindustrie Erfolg haben kann. Die Isolation und die Ablehnung treiben ihn in eine Depression, Tage, an denen er vor dem Spiegel steht und überlegt, alles hinzuwerfen und zurückzukehren.
Sein Durchbruch 1969 mit “Das schöne Mädchen von Seite 1” ist mehr als nur ein Hit; es ist ein Akt der reinen Willenskraft, ein Sieg über die Verzweiflung. Doch der Erfolg hat einen entsetzlichen Preis.

In den 1980er Jahren, Carpendale ist auf dem absoluten Höhepunkt seiner Karriere, ein umschwärmter Superstar, erreicht ihn die Nachricht, die sein Innerstes erschüttert: Seine geliebte Mutter, seine größte Stütze und diejenige, die seine Musikleidenschaft von Kindesbeinen an gefördert hatte, ist gestorben. Doch der Tourplan ist unerbittlich. Die Hallen sind gebucht, die Verträge unterschrieben. Howard Carpendale kann nicht nach Südafrika zurückkehren, um sich von ihr zu verabschieden. Er kann nicht auf ihrer Beerdigung sein.
Dieser Moment wird zu seinem größten Trauma, einer Quelle unendlicher Schuldgefühle, die er für den Rest seines Lebens geheim hält. “Es habe Nächte gegeben”, so enthüllt die Quelle, “in denen er allein in seinem Hotelzimmer saß, alte Lieder hörte und weinte, weil er seine Mutter vermisste”. Es ist nicht nur die Trauer um den Verlust, es ist das erdrückende Gefühl, als Sohn versagt zu haben, nicht genug Zeit mit ihr verbracht, ihr seine Liebe nicht gezeigt zu haben. Erst Jahrzehnte später, nach seiner Hochzeit mit Donis Pierce, findet sie ein Dokument, das das ganze Ausmaß dieses verborgenen Schmerzes offenbart: einen langen, nie abgeschickten Brief an seine tote Mutter, in dem er sein tiefes Bedauern über seine Abreise aus Südafrika und sein Gefühl, seine Familie im Stich gelassen zu haben, niederschreibt. Ein “egoistischer Weg”, wie er es nennt, dessen Schuld ihn trotz allen Ruhms nie losließ.
Auch sein Privatleben wird zu einem Schlachtfeld. Seine erste Ehe mit Claudia Herzfeld, geschlossen 1972, ist über 30 Jahre lang sein Anker. Sie ist der Fels in der Brandung, die Mutter seiner Söhne Wayne und Cass. Doch der unerbittliche Druck seiner Karriere, die monatelangen Tourneen und die ständige Abwesenheit zerfressen die Beziehung. Claudia fühlt sich im Stich gelassen. Im Jahr 2005, nach 33 Jahren, folgt die Scheidung.
Für die Öffentlichkeit ist es eine Trennung. Für Carpendale ist es ein “emotionaler Schlag”, der ihn in die Knie zwingt. Er hat das Gefühl, als Ehemann und Vater “versagt zu haben”. Dieser Schmerz ist so tief, dass er ihn in eine schwere psychische Krise stürzt, ein weiteres Geheimnis, das er selbst vor seinen Kindern verbirgt. Während er auf der Bühne lächelt, verfällt er privat in eine tiefe Depression. “Es gab Tage”, vertraut er später Donis an, “an denen er nicht aufstehen wollte, weil er das Gefühl hatte, all sein berufliker Erfolg sei umsonst gewesen, da er seine Familie nicht zusammenhalten konnte”.

Die psychische Last wird bald zu einer physischen. Das “tragische Ende”, von dem im Video die Rede ist, ist nicht sein Tod, sondern der Verrat seines eigenen Körpers. Bereits 2003, auf dem Höhepunkt der Krise nach der Trennung, kündigt er seinen Rückzug an. Er ist 57, leidet unter Erschöpfung und leichten Herzinfarkten. Die Fans sind untröstlich.
Obwohl er 2007 ein triumphales Comeback feiert, bleibt der Kampf real. 2015 muss er sich einer Herzoperation unterziehen – ein weiteres Geheimnis, das er vor der Öffentlichkeit verbirgt. Er will nicht als schwach oder alt gelten. Doch seine Familie erlebt das Drama hautnah. Sein Sohn Wayne Carpendale soll geweint haben, als er seinen Vater, diesen energiegeladenen Bühnenmenschen, “so schwach und verletzlich” auf dem Sterbebett (vermutlich im Krankenhausbett) liegen sah. Er habe versucht, seine Familie mit einem Lächeln zu beruhigen, doch seine Augen, so wird berichtet, verrieten seine tiefe Angst.
In dieser dunkelsten Phase tritt die amerikanische Musikproduzentin Donis Pierce in sein Leben, die er 2010 kennenlernt und 2018 heiratet. Sie wird zu seiner Rettung, seinem neuen Frieden. Doch selbst in diesem neuen Glück findet der alte Dämon der Angst einen Platz. Mit 79 Jahren plagt ihn ein letztes, trauriges Geheimnis: die Angst, seiner Frau Donis aufgrund seiner Gesundheit zur Last zu fallen, nicht mehr genug Zeit zu haben, um ihr die glücklichen Jahre zu schenken, die sie verdient.
Das ist das wahre “Vermögen”, das Howard Carpendale angehäuft hat: ein Reichtum an verborgener Trauer, an Schuldgefühlen, die er nie ablegen konnte, und an Ängsten, die er hinter einem Lächeln versteckte. Die Tränen seiner Familie sind Tränen des Mitgefühls für einen Mann, der immer kämpfte – gegen Vorurteile, gegen Depressionen, gegen den Schmerz über den Verlust seiner Mutter und gegen die Grenzen seines eigenen Körpers. Dass er heute, mit fast 80 Jahren, immer noch neue Musik macht und eine Tournee für sein 60. Jubiläum im Jahr 2026 plant, ist nicht nur ein Zeichen von Erfolg. Es ist das Zeugnis einer unvorstellbaren Resilienz, ein letztes Aufbäumen gegen die Narben, die ihn ein Leben lang geprägt haben.
