Der Pakt der Einzelgänger: Sahra Wagenknechts emotionaler Abschied und der Mann, ohne den es ihn nie gegeben hätte

Es ist ein kalter Januartag im Jahr 2024, als Sahra Wagenknecht vor die Presse tritt. Doch dies ist keine gewöhnliche Pressekonferenz. Es ist die offizielle Geburt einer neuen Partei, das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Für viele Beobachter ist es ein politischer Paukenschlag, eine tektonische Verschiebung in der deutschen Parteilandschaft. Für Sahra Wagenknecht selbst ist es das Ende einer langen, schmerzhaften Reise – ein Abschied von ihrer politischen Heimat, der Partei Die Linke, und der Höhepunkt eines Dramas, das vor Jahrzehnten begann.

Wagenknecht, die oft als „Eiskönigin“ oder gar „Lady Voldemort“ der deutschen Politik bezeichnet wird, eine Frau, die für ihren scharfen Verstand und ihre kompromisslose Art bekannt ist, steht selten allein da, auch wenn sie es vielleicht so empfindet. An ihrer Seite, mal sichtbar, mal unsichtbar, steht ein Mann, der diese gesamte Entwicklung nicht nur miterlebt, sondern entscheidend geprägt hat: Oskar Lafontaine.

Um den emotionalen Abschied und den mutigen Neuanfang von Sahra Wagenknecht zu verstehen, muss man die Geschichte dieser außergewöhnlichen Beziehung verstehen. Es ist eine Geschichte über Liebe auf den zweiten Blick, über geteilte Ideologien, über brutalen politischen Machtkampf, über private Tragödien und über einen Pakt zwischen zwei Menschen, die sich selbst als „Einzelgänger“ bezeichnen. Es ist eine Geschichte, die beweist, dass Politik niemals nur politisch ist.

Die Funken sprühten auf einer Pressekonferenz, die Wagenknecht später als die „schönste und folgenreichste ihrer Karriere“ bezeichnen würde. Es war das, was man Liebe auf den ersten Blick nennt. Er, Oskar Lafontaine, der charismatische und umstrittene ehemalige SPD-Chef und Mitbegründer der Linken. Sie, die 26 Jahre jüngere, aufstrebende Denkerin der Partei. Wagenknecht gab später zu, dass sie schon lange von ihm fasziniert war; ihr Großvater hatte ihn bewundert. Die Chemie stimmte sofort. „Wir haben uns sofort zueinander hingezogen gefühlt und uns sofort zum Essen verabredet“, verriet sie.

Jahrelang wurde in Berliner Politikerkreisen getuschelt. Erst im November 2011 machte Lafontaine die Beziehung auf einem Parteitag öffentlich. „Ich lebe seit einiger Zeit getrennt und bin seit einiger Zeit mit Sarah liiert“, verkündete der damals 68-Jährige. 2014 folgte die Heirat. Es war die Vereinigung von zwei der profiliertesten und polarisierendsten Köpfe der deutschen Linken. Doch für Wagenknecht war es auch eine private Entscheidung mit einem Hauch von Melancholie. „Es ist einfach schade, dass wir uns so spät getroffen haben“, sagte sie einmal. „Es war zu spät, um eine Familie zu gründen“.

Doch was ihnen an gemeinsamer Zeit fehlte, machten sie durch ideologische Synergie wett. Sie waren nicht nur ein Liebespaar; sie wurden zu einem politischen Machtzentrum. Gemeinsam lehnten sie Privatisierungen ab, befürworteten Enteignungen und vertraten eine strikte Arbeiterorientierung. Lafontaine bekannte sich offen zu ihrer ideologischen Linie, nicht zur pragmatischen der alten PDS. Gregor Gysi, eine weitere Ikone der Linken, bezeichnete die beiden treffend als „eine Einheit“.

Für Wagenknecht war Lafontaine mehr als ein Ehemann. Er war Mentor, Beschützer und ihr emotionaler Anker. „Oscar versteht es, mir den Rücken freizuhalten“, erzählte sie. Er war der Rudelführer, der sie, die ewige Einzelgängerin, lehrte, wie man im politischen Rudel überlebt. Sie räumte ein, dass er über das bessere Urteilsvermögen verfügte, eine Fähigkeit, die ihr oft fehlte. Diese symbiotische Beziehung katapultierte Wagenknecht an die Spitze. 2010 wurde sie mit 75% zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Sie wurde das Gesicht der Partei.

Doch dann, Ende 2009, schlug das Schicksal zu. Es war die erste Zäsur, der Moment, der alles verändern sollte. Oskar Lafontaine, damals 66, erhielt eine niederschmetternde Nachricht: Prostatakrebs. Die Diagnose war ein Schock für das politische Berlin. Lafontaine, der Kämpfer, war plötzlich verwundbar. Er unterzog sich einer Operation und kündigte im Januar 2010 seinen vollständigen Rückzug aus der Bundespolitik an. Er nannte die Diagnose ein „Warnsignal, das ich nicht ignorieren kann“.

Für Die Linke war es ein Desaster; die Partei verlor ihren größten Wahlvorteil. Für Sahra Wagenknecht war es eine private Katastrophe, die sie politisch zunehmend isolierte. Der Mann, der ihr den Rücken freihielt, ihr „emotionaler Ballast“, war aus dem aktiven Kampf ausgeschieden. Von nun an musste sie die Stürme allein durchstehen.

Und die Stürme wurden heftiger. Während Lafontaine sich zurückzog, geriet Wagenknecht immer häufiger in Konflikt mit der eigenen Parteiführung. Der Riss wurde tiefer. Wagenknecht warf der Partei vor, ihre Kernwähler zu verraten. „Wichtige soziale Themen, gute Löhne, gute Renten stehen nicht mehr im Mittelpunkt. Stattdessen wird Identitätspolitik betrieben“, kritisierte sie. Ihr Buch „Die Selbstgerechten“ aus dem Jahr 2021 war ein unmissverständlicher Warnschuss, eine Abrechnung mit dem Kurs ihrer Partei.

Der Preis für ihre kompromisslose Haltung war hoch. Die Belastung wurde unerträglich. Im November 2019, fast ein Jahrzehnt nach Lafontaines Krebsdiagnose, zog auch sie die Reißleine. Sie trat als Fraktionsvorsitzende zurück – die Begründung: Burnout. Es war ein öffentliches Eingeständnis der Verletzlichkeit von einer Frau, die als unzerstörbar galt. Der Dokumentarfilm „Wagenknecht“ (2020) fing diese dunkle Zeit ein und zeigte die persönlichen Kämpfe hinter der stählernen Fassade.

Die Partei, die sie mit aufgebaut hatte, wurde ihr zunehmend fremd. Pro- und Anti-Wagenknecht-Fraktionen bekriegten sich. Im Juni 2021 forderten Aktivisten ihren Ausschluss. Der Parteivorstand erklärte schließlich öffentlich: „Die Zukunft der Partei Die Linke ist eine Zukunft ohne Sarah Wagenknecht“. Man forderte sie auf, ihr Mandat zurückzugeben. Sie wurde zur Persona non grata in der eigenen politischen Heimat.

Dieser “Abschied in Zeitlupe” erreichte am 23. Oktober 2023 seinen Höhepunkt. Wagenknecht trat vor die Kameras, um das Unvermeidliche zu verkünden: ihren Austritt aus der Partei Die Linke und die Gründung ihrer neuen Allianz. Es war ein Moment, der von Entschlossenheit, aber auch von persönlichem Verlust geprägt war. „In 10 Jahren werden wir unser Land nicht mehr wiedererkennen“, erklärte sie mit Nachdruck.

Der Schritt war strategisch brillant und politisch brutal. Indem sie neun andere Abgeordnete mitnahm, sorgte sie dafür, dass ihre frühere Partei den Fraktionsstatus im Bundestag verlor – ein gezielter Schlag, der der Linken die Finanzierung und wichtige parlamentarische Rechte entzog. Es war die ultimative Scheidung, die Zerstörung dessen, was sie einst mit aufgebaut hatte.

Hinter diesem kalkulierten Schritt stand jedoch die tiefe persönliche Überzeugung, dass es keinen anderen Weg mehr gab. Und hinter ihr stand, wieder einmal, Oskar Lafontaine. Ohne ihn wäre dieser Schritt undenkbar gewesen. „Ohne Oscar hätte ich die Partei wahrscheinlich nicht gegründet, weil ich nicht die Kraft gehabt hätte, das alles durchzustehen“, gestand sie offen. Lafontaines Krebserkrankung hatte ihre Partnerschaft verändert, aber nicht gebrochen. Sie hatte sie auf eine neue Ebene gehoben. Er war nicht mehr der aktive Mentor an der Front, sondern das emotionale Fundament, auf dem ihr kühnstes politisches Wagnis ruhte.

Als das BSW im Januar 2024 offiziell gegründet wurde, trat auch Oskar Lafontaine der neuen Bewegung seiner Frau bei. Auf dem Eröffnungskongress hielt er die Abschlussrede, sprach über soziale Fragen und Pazifismus. Doch die Dynamik ist eine andere. Die neue Partei ist, anders als Die Linke, nicht das Projekt eines Paares. Sie ist unverkennbar ihr Projekt. Der Name „Bündnis Sahra Wagenknecht“ macht dies unmissverständlich klar.

Die Reaktionen auf ihren Alleingang sind extrem. Sie dominiert die Talkshows, zieht Wähler von links und rechts an, insbesondere Unzufriedene und Menschen, die sich von der traditionellen Politik im Stich gelassen fühlen. Kritiker werfen ihr vor, mit den Ängsten der Menschen zu spielen, sie als „Spalterin“ oder „Schneekönigin“ zu bezeichnen.

Doch Wagenknecht scheint ihre Richtung gefunden zu haben, gestärkt durch die Krisen der Vergangenheit. Ihr Weg von der ostdeutschen Intellektuellen, der Tochter eines iranischen Vaters, der verschwand, als sie zwei Jahre alt war, zur Gründerin einer eigenen nationalen Partei ist beispiellos.

Die politische Landschaft Deutschlands steht an einem Scheideweg, und Sahra Wagenknecht steht im Zentrum dieses Bebens. Sie hat sich von ihrer politischen Vergangenheit verabschiedet, ein schmerzhafter, aber notwendiger Schritt, der durch private Tragödien und unerschütterliche persönliche Unterstützung geformt wurde.

In einer jüngsten Erklärung enthüllte sie etwas, das tief blicken lässt: Sie habe wochenlang von diesem Moment des Abschieds und Neuanfangs geträumt, bevor er eintrat. „Es war, als ob das Universum mich vorbereitete, aber ich weigerte mich, es zu glauben“, gestand sie. Und sie erinnerte an die Worte ihres Mannes aus einem Brief, geschrieben in den dunkelsten Zeiten: „Du hast die Welt immer klarer gesehen als ich. Jetzt ist es deine Stimme, die sie hören müssen, mehr denn je“.

Der Abschied ist vollzogen. Die Stimme von Sahra Wagenknecht ist lauter als je zuvor. Und der Mann, der ihr die Kraft gab, diese Stimme zu erheben, hört im Hintergrund zu.

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