
Es gibt Schauspieler, die Rollen spielen. Und dann gab es Klaus Kinski. Ein Mann, der keine Rollen spielte, sondern sie verschlang, sie ausschied und das Publikum mit einer rohen, fast übermenschlichen Intensität konfrontierte, die bis heute ihresgleichen sucht. Klaus Kinski war kein Darsteller im herkömmlichen Sinne; er war eine Naturgewalt, ein Phänomen, ein “liebstes Ekel” des Weltkinos. Sein Leben, das am 18. Oktober 1926 in Zoppot, der Freien Stadt Danzig, begann, war ein einziger Ritt auf der Rasierklinge zwischen absolutem Genie und abgrundtiefem Wahnsinn. Es endete so abrupt, wie er gelebt hatte: plötzlich und allein in seinem Haus in Kalifornien, ein tragisches Finale für einen Mann, der die Welt in Brand gesetzt hatte.
Die Wurzeln dieses ungestümen Lebens liegen in der Entbehrung. Geboren als Klaus Günter Karl Nakszynski, war sein Vater ein gescheiterter Opernsänger, der sich als Apotheker durchschlug, seine Mutter eine Krankenschwester. Die Weltwirtschaftskrise traf die Familie mit voller Wucht. Sie konnten sich in Danzig nicht mehr halten und flohen 1931 nach Berlin, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch das Elend folgte ihnen. Die Familie kämpfte ums nackte Überleben, eine Erfahrung, die den jungen Klaus für immer prägen sollte – ein Gefühl des ständigen Kampfes gegen eine feindliche Welt.
Der Zweite Weltkrieg riss ihn endgültig aus allen bürgerlichen Bahnen. Irgendwann im Jahr 1943, mit gerade einmal 17 Jahren, wurde Kinski zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Er landete bei einer Eliteeinheit der Fallschirmjäger bei der Luftwaffe. Der Krieg holte ihn im Winter 1944 in den Niederlanden ein. Lange dauerte sein Einsatz nicht; an seinem zweiten Kampftag wurde er von den Briten gefangen genommen.

Es war im Kriegsgefangenenlager, wo sich der Keim seines späteren Berufslebens zeigte. Um die Moral unter den Gefangenen aufrechtzuerhalten, wurden Varietés veranstaltet. Kinski, der junge, aufgewühlte Soldat, fand sich auf der Bühne wieder und entdeckte seine Fähigkeit, andere zu fesseln. Doch selbst hier zeigte sich bereits jener extreme, rücksichtslose Überlebenswille, der ihn definieren sollte. Als im Mai 1945 der Krieg in Europa endete, wollten die deutschen Gefangenen nur noch eines: nach Hause. Kinski hörte das Gerücht, dass kranke Gefangene zuerst repatriiert würden. In einem verzweifelten Akt der Selbstzerstörung versuchte er, sich krank zu machen. Er stand nachts nackt im Freien, er trank seinen eigenen Urin und aß Zigaretten. Es half nichts. Er blieb gesund. Erst 1946, nach einem Jahr und vier Monaten in Gefangenschaft, kehrte er in ein zerstörtes Deutschland zurück.
Zurück in der Heimat, gab es für ihn nur noch einen Weg. Er nahm den Künstlernamen an, der bald die Welt erschüttern sollte: Klaus Kinski. Er begann seine Schauspielkarriere bei einer kleinen Tourneefirma in Offenburg. Sein Talent war unübersehbar, roh und ungeschliffen. 1946 erhielt er ein Engagement am renommierten Schlossparktheater in Berlin. Es schien der Beginn einer großen Theaterkarriere zu sein, doch sein innerer Dämon stand ihm im Weg. Bereits im nächsten Jahr wurde er gefeuert. Der Grund, der sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen sollte: “unberechenbares Verhalten”.
Sein unkonventionelles, emotional volatiles und oft als wahnsinnig beschriebenes Wesen brachte ihn regelmäßig in Schwierigkeiten. Er war unfähig, sich Autoritäten unterzuordnen, unfähig, Kompromisse einzugehen. Andere Engagements folgten, doch das Muster wiederholte sich. Im März 1956 hatte er einen einzigen, umjubelten Gastauftritt am ehrwürdigen Wiener Burgtheater in Goethes “Torquato Tasso”. Das Publikum feierte ihn, seine Kollegen zollten ihm Respekt. Doch einen festen Vertrag bekam er nicht. Die Leitung des Theaters war vor seinem Ruf aus Deutschland gewarnt worden. Kinski, wütend über diese Zurückweisung, versuchte erfolglos, das Theater zu verklagen.
Brotl- und heimatlos in Wien, erfand sich Kinski neu. Wenn ihm niemand eine Bühne geben wollte, nahm er sie sich eben. Er wurde zum Monologen und “Spoken Word”-Künstler. Er tourte mit Texten von William Shakespeare und Oscar Wilde durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Diese Auftritte waren legendär. Es waren keine Lesungen; es waren Exorzismen. Kinski schrie, tobte, flüsterte und verführte sein Publikum, riss die Verse an sich und machte sie zu seinem Eigentum. Er etablierte sich als Solitär, als ein Mann, der keine Mitspieler duldete, sondern nur sich selbst und den Text kannte.
Bereits 1948 hatte er eine erste kleine Filmrolle, doch erst seine Auftritte in den deutschen Edgar-Wallace-Verfilmungen machten sein markantes Gesicht einem breiteren Publikum bekannt. Er spielte oft den diabolischen, unberechenbaren Bösewicht – eine Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert schien. Es folgten kleine Rollen in US-Kriegsfilmen, doch der eigentliche Durchbruch stand noch bevor.
Ende der 1960er Jahre zog Kinski nach Italien, das Epizentrum des Spaghetti-Westerns. Hier war seine wilde, ungezügelte Energie gefragt. Er drehte Dutzende von Filmen, darunter “Für ein paar Dollar mehr”, und wurde zu einem bekannten Gesicht des Genres. Doch es war die Begegnung mit einem Mann, den er Jahre zuvor unter bizarren Umständen kennengelernt hatte, die ihn unsterblich machen sollte.

Im Jahr 1955 hatte Kinski für drei Monate in einer Münchner Pension gelebt. In derselben Pension wohnte ein 13-jähriger Junge namens Werner Herzog. Jahrzehnte später, in seiner Dokumentation “Mein liebster Feind”, erinnerte sich Herzog lebhaft an diese Zeit. Er beschrieb, wie der damals schon berüchtigte Kinski sich für 48 Stunden im Gemeinschaftsbad einschloss und den Raum methodisch in seine Einzelteile zerlegte, ein Tobsuchtsanfall von apokalyptischem Ausmaß. Der junge Herzog war ein stummer Zeuge dieses Ausbruchs – und er war fasziniert.
Diese Faszination führte zu einer der toxischsten und gleichzeitig fruchtbarsten Kollaborationen der Filmgeschichte. Ab 1972 drehten Herzog und Kinski fünf Filme zusammen, die heute als Meilensteine gelten: “Aguirre, der Zorn Gottes” (1972), “Woyzeck” (1978), “Nosferatu – Phantom der Nacht” (1979), “Fitzcarraldo” (1982) und “Cobra Verde” (1987).
Ihre Zusammenarbeit war ein Krieg. Kinski tobte, bedrohte Herzog und die Crew, wollte das Set verlassen, schoss Berichten zufolge sogar mit einer Waffe. Herzog hielt mit stoischer Besessenheit dagegen, drohte seinerseits, Kinski und dann sich selbst zu erschießen, wenn dieser den Dreh von “Aguirre” verlassen würde. Es war ein Pakt mit dem Teufel, ein Ringen zweier Besessener. Herzog war der einzige Regisseur, der Kinskis wahnsinnige Energie nicht zu zähmen versuchte, sondern sie einfing, sie bündelte und auf die Leinwand schleuderte. Kinski gab Herzog Bilder von einer Intensität, die kein anderer Schauspieler liefern konnte. Es war eine Hassliebe, die Meisterwerke gebar.
Kinski war nun ein internationaler Star. Doch sein Größenwahn und seine Verachtung für das Establishment kannten keine Grenzen. 1980 bot ihm Steven Spielberg die Rolle des Hauptbösewichts Major Toht in “Jäger des verlorenen Schatzes” an. Kinskis Reaktion war typisch. Er lehnte ab und teilte Spielberg mit, das Drehbuch sei “ein gähnend langweiliger Haufen Scheiße” und “idiotisch beschissen”. Er zog es vor, einen anderen, heute vergessenen Film zu drehen, weil das Gehalt besser war.
Sein Privatleben war ebenso turbulent wie seine Karriere. Er war viermal verheiratet und hatte drei Kinder, die später selbst berühmt werden sollten. Doch der Mann, der auf der Leinwand und der Bühne so überlebensgroß war, schien im Inneren zutiefst zerrissen.
Das Ende kam ohne Vorwarnung. Am 23. November 1991 starb Klaus Kinski in seinem Haus in Lagunitas, Kalifornien. Er war allein. Die Todesursache: ein plötzlicher, schwerer Herzinfarkt. Er wurde nur 65 Jahre alt. Der Mann, der sein ganzes Leben mit der Energie einer Supernova gebrannt hatte, war still und leise erloschen. Was bleibt, ist das Bild eines Mannes, der die Schauspielerei neu definierte, indem er sich selbst opferte – ein unvergessliches Genie, ein unerträgliches Monster und eine der größten Legenden, die das Kino je hervorgebracht hat.
