Es ist die Art von Nachricht, die Fans einer ganzen Generation den Atem stocken lässt: “Vor 1 Stunde: Tragischer Unfall der Schauspielerin aus Ronja Räubertochter”. Diese Schlagzeile, verbreitet über YouTube und soziale Medien, trifft einen Nerv. Sie zielt direkt auf das Herz unserer kollektiven Kindheit. Für Millionen ist “Ronja Räubertochter”, die Verfilmung von Astrid Lindgrens Meisterwerk aus dem Jahr 1984, nicht nur ein Film. Es ist ein Symbol für Freiheit, Mut und die ungezähmte Wildnis der Jugend. Der Gedanke, dass die Darstellerin dieser Ikone, das Mädchen mit dem wilden Haar und dem lauten Frühlingsschrei, plötzlich und tragisch aus dem Leben gerissen wurde, ist zutiefst beunruhigend.
Doch in einer Zeit, in der Gerüchte schneller reisen als die Wahrheit, ist die erste Reaktion der Panik selten die richtige. Als professionelle Redaktion ist es unsere Pflicht, solche Informationen zu überprüfen. Was steckt also wirklich hinter dieser alarmierenden Meldung? Wir haben nachgeforscht, und die Geschichte, die wir fanden, ist weitaus komplexer, vielschichtiger und letztlich trauriger als die simple Clickbait-Schlagzeile. Es ist eine Geschichte über das wahre Schicksal, über vergessene Tragödien und über die skrupellose Verwertung von echtem menschlichem Leid.
Zunächst die wichtigste Entwarnung: Hanna Zetterberg, die Frau, die 1984 im Alter von nur elf Jahren die unvergessliche Ronja spielte, lebt. Sie ist heute 52 Jahre alt und ihr Leben ist eine faszinierende Geschichte des Wandels, aber keine Tragödie.

Der plötzliche, immense Ruhm war für die junge Hanna überwältigend. Sie konnte in ihrer Heimatstadt Stockholm nicht mehr mit der U-Bahn fahren, ohne erkannt zu werden. “Als Zwölf-, 13-, 14-Jährige fand ich das nicht so lustig”, gab sie später zu. Anders als viele Kinderstars, die am Ruhm zerbrechen, traf Hanna eine bewusste Entscheidung. “Ronja Räubertochter” blieb ihre erste und einzige Filmrolle. Sie kehrte der Schauspielerei den Rücken, um ihren eigenen Weg zu gehen.
Und dieser Weg war bemerkenswert. Mit nur 21 Jahren, einem Alter, in dem andere ihre Karriere erst beginnen, wurde sie in den schwedischen Reichstag gewählt. Von 1994 bis 1998 vertrat sie dort die Linkspartei, wobei sie sich auf Umwelt- und Agrarfragen konzentrierte. Nach ihrer politischen Karriere studierte sie, wurde Autorin von Kinderbüchern und arbeitet heute als angesehene Kommunikationsberaterin und Dozentin in Stockholm. Sie hat die Rolle der Ronja nicht verleugnet, aber sie hat sich von ihr emanzipiert. Auch die Darstellerin der Ronja in der neuen, aufwendigen TV-Serien-Adaption von 2024, Kerstin Linden, ist wohlauf.
Warum also hält sich das Gerücht über eine “Tragödie” so hartnäckig? Weil die Geschichte des Originalfilms von 1984, abseits der Hauptdarstellerin, tatsächlich von dunklen Schatten und echtem Unglück geprägt ist.
Da ist zum einen das Schicksal von Lena Nyman, die Ronjas Mutter, die resolute und doch so herzliche Lovis, spielte. Nyman war in Schweden eine Legende, aber auch eine zutiefst kontroverse Figur. Lange vor “Ronja” erlangte sie 1967 Weltberühmtheit durch den Film “Ich bin neugierig (gelb)”. Der Film, eine Mischung aus Sozialkritik und expliziten sexuellen Darstellungen, brach Tabus, wurde in den USA als obszön verboten und löste einen weltweiten Skandal aus. Nyman wurde über Nacht zum Gesicht der sexuellen Befreiung. Später bewies sie ihre enorme Wandlungsfähigkeit in ernsten Rollen, etwa an der Seite von Ingrid Bergman in Ingmar Bergmans Meisterwerk “Herbstsonate”. Doch ihr Leben endete nicht auf einer sonnigen Waldlichtung. Lena Nyman starb am 4. Februar 2011 im Alter von 66 Jahren nach einem langen, zermürbenden Kampf gegen mehrere Krankheiten, darunter Bauchspeicheldrüsenkrebs, COPD und die Folgen von Alkoholismus. Ihr Tod war eine langsame, stille Tragödie, weit entfernt von einem plötzlichen Unfall.
Noch schockierender ist das Schicksal von Per Oscarsson, dem Darsteller von Borka, dem Vater von Birk und ewigem Rivalen von Ronjas Vater Mattis. Oscarsson war einer der angesehensten Schauspieler Schwedens, mit einer Karriere, die über 130 Filme umspannte. Viele Zuschauer erkannten ihn zuletzt als Holger Palmgren in den Stieg-Larsson-“Millennium”-Verfilmungen “Verdammnis” und “Vergebung”. Sein Ende war grauenvoll. In der Neujahrsnacht 2010 brannte das Haus von Per Oscarsson und seiner Frau Kia Östling bis auf die Grundmauern nieder. Das Paar kam im Alter von 83 Jahren gemeinsam in den Flammen ums Leben. Ein unvorstellbar tragischer Unfall, aber einer, der über ein Jahrzehnt zurückliegt.
Die Produktion selbst schien unter keinem guten Stern zu stehen. Der ursprüngliche Regisseur, Olle Hellbom, starb nur wenige Tage vor Beginn der Dreharbeiten an Magenkrebs. Sein Ersatz, Tage Danielsson, vollendete den Film zwar, starb aber selbst kurz nach der Fertigstellung an Hautkrebs. Das Erbe des Films ist also tatsächlich von Trauer gezeichnet.

Woher kommt also die plötzliche, brandaktuelle Falschmeldung von “vor 1 Stunde”? Die Antwort ist ein zynisches Spiel mit der Realität.
Am 28. September 2025 war die deutsche Schauspielerin Wanda Perdelwitz in Hamburg mit ihrem Fahrrad unterwegs, als sie bei einem Zusammenprall lebensgefährlich verletzt wurde. Sie trug keinen Helm. Am 9. Oktober 2025, nach tagelangem Kampf, erlag sie in einer Klinik ihren schweren Verletzungen. Wanda Perdelwitz wurde nur 41 Jahre alt und hinterlässt einen sechsjährigen Sohn. Ihr Tod ist eine reale, aktuelle und zutiefst erschütternde Tragödie, die die deutsche Schauspielwelt schockiert hat. Perdelwitz war ein beliebter TV-Star, vor allem bekannt durch ihre langjährige Hauptrolle als Polizistin Nina Sieveking im ARD-“Großstadtrevier” und durch Auftritte auf dem ZDF-“Traumschiff”.
Sie hatte nur eines nicht: eine Rolle in “Ronja Räubertochter”.
Hier schließt sich der Kreis des skrupellosen Clickbaits. Skrupellose Kanäle haben die reale, tragische Nachricht vom Unfalltod einer jungen, beliebten Schauspielerin (Wanda Perdelwitz) genommen und sie mit dem Namen eines ungleich berühmteren, nostalgisch verklärten Titels (“Ronja Räubertochter”) verbunden, um maximale Aufmerksamkeit, Klicks und Werbeeinnahmen zu generieren. Das YouTube-Video selbst, dessen Transkript nur aus unverständlichem Rauschen und Füllwörtern wie “heat” besteht, ist der Beweis: Es gibt keinen Inhalt, nur eine gestohlene Schlagzeile.
Dieses Vorgehen ist nicht nur journalistisch verwerflich, es ist ein Akt der Verachtung. Es missbraucht die echte Trauer um Wanda Perdelwitz und ihre Familie. Es missbraucht die Fans von “Ronja Räubertochter”, indem es mit ihren Kindheitserinnerungen spielt. Und es missbraucht das Andenken an die wahren Verstorbenen des Films, Lena Nyman und Per Oscarsson, deren reale Tragödien zu bloßem Ködermaterial degradiert werden.
Die Wahrheit ist: Hanna Zetterberg, die “Ronja”, die wir alle lieben, hat ihren eigenen Weg gefunden und lebt. Die wahre Tragödie dieser Tage ist der sinnlose Tod von Wanda Perdelwitz. Und das wahre Verbrechen ist die Art und Weise, wie im digitalen Zeitalter aus echtem Leid ein gefälschter Inhalt für einen schnellen Klick gemacht wird.