In einer Welt, die von Hochglanzmagazinen und makellosen Instagram-Feeds dominiert wird, scheint der Begriff “Schönheit” oft eng und unnachgiebig definiert. Er folgt Regeln, Trends und Konventionen. Doch was passiert, wenn jemand diese Regeln nicht nur bricht, sondern sie durch seine bloße Existenz pulverisiert? Was passiert, wenn Schönheit dort gefunden wird, wo die Gesellschaft sie am wenigsten erwartet?
Dies ist die Geschichte von Lara und Mara Bawar, Zwillingsschwestern, die nicht nur die Aufmerksamkeit von globalen Marken wie Nike auf sich gezogen haben, sondern auch eine weltweite Konversation über Vielfalt, Akzeptanz und die wahre Bedeutung von Schönheit angestoßen haben. Ihre Geschichte ist keine gewöhnliche Model-Karriere. Es ist eine Geschichte über Mut, die Überwindung unsichtbarer Hürden und die Kraft, in der eigenen Einzigartigkeit eine universelle Botschaft zu finden.
Es begann mit einer Entscheidung, die vielen Eltern das Herz zuschnüren würde. Die Töchter, so einzigartig und verletzlich, den neugierigen Blicken der ganzen Welt auszusetzen – eine Vorstellung, die fast unerträglich schien. Es war eine Sache, sie in den Straßen der Heimatstadt vor Getuschel zu schützen, eine ganz andere, sie auf die globale Bühne der Modeindustrie zu stellen, einen Ort, der für seine unbarmherzigen Urteile bekannt ist. Doch diese Gelegenheit war mehr als nur ein potenzieller finanzieller Gewinn. Es war eine Chance, ein “Bauchgefühl”, wie es im Nachhinein beschrieben wurde, dass dies etwas Größeres in Bewegung setzen könnte. Es war die Möglichkeit, das Leben Tausender anderer Menschen zu verändern, die mit der gleichen genetischen Besonderheit leben: Albinismus.

Sie folgten diesem Gefühl, und wie sie es vorausgesagt hatten, war der Einschlag monumental. Fast über Nacht schien ihre plötzliche Prominenz in der Modelbranche das schwere, oft tabuisierte Thema Albinismus zu erleichtern und in ein neues Licht zu rücken.
Doch was bedeutet es, als Model mit Albinismus vor der Kamera zu stehen? Die Realität hinter den atemberaubenden Bildern ist weit entfernt von einem gewöhnlichen Fotoshooting. Albinismus, eine genetische Krankheit, die die Melaninproduktion beeinflusst, bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich, die für Außenstehende oft unsichtbar sind. Die vielleicht größte Herausforderung ist die extreme Lichtempfindlichkeit der Augen.
Für einen Fotografen erfordert die Arbeit mit Lara und Mara eine völlig neue Ebene der Sensibilität und des technischen Geschicks. Das, was in der Fotografie oft als selbstverständlich gilt – der starke Blitz – ist hier tabu. Ein einziger greller Lichtblitz kann die empfindlichen Augen der Models nicht nur irritieren, sondern ihnen schaden.
Aus diesem Grund, so wird berichtet, sind die Augen der Zwillinge auf vielen ihrer ikonischsten Bilder geschlossen. Was wie eine künstlerische Entscheidung, eine Pose der Gelassenheit oder Kontemplation wirken mag, ist in Wahrheit oft eine Notwendigkeit. Doch genau dieses Detail, diese scheinbare Abweichung vom Normativen, trägt auf fast magische Weise zum Geheimnis und zur Faszination ihrer Bilder bei. Es zwingt den Betrachter, genauer hinzusehen, sich auf die Textur der Haut, die Form der Lippen und die Aura der Personen zu konzentrieren, anstatt sich im Blick zu verlieren.
Es gibt jedoch diese besonderen, flüchtigen Momente, in denen die Welt einen Blick in ihre Augen erhaschen kann. Fotoshootings werden strategisch bei Sonnenaufgang oder in der sanften Abenddämmerung geplant. In diesem weichen, diffusen Licht können die Mädchen ihre Augen öffnen. In diesen Momenten, so heißt es, erscheint die Farbe ihrer Augen dunkel, fast “normal”. Doch selbst dann verrät ein leichtes Schielen, ein Detail, das man fast übersehen könnte, die tiefere Wahrheit: Dies sind nicht nur Models, die um Akzeptanz in einer oberflächlichen Gesellschaft kämpfen; es sind junge Frauen, die tagtäglich mit sehr realen gesundheitlichen Problemen ringen.
Die Tatsache, die ihren Aufstieg in der Welt des Models umso bemerkenswerter macht, ist eine, die oft übersehen wird: Lara und Mara können extrem schlecht sehen. Man muss sich das einmal vorstellen: Man betritt eine Welt, die einen primär für das Aussehen verurteilt, eine Welt, die auf visuellen Reizen aufgebaut ist, während man selbst damit kämpft, diese Welt überhaupt klar zu erkennen.
Es erfordert eine unermessliche Portion Mut, Kühnheit und ein tiefes Vertrauen – in sich selbst, in das Team, in den Prozess – um unter diesen Bedingungen an einem Fotoshooting teilzunehmen. Man muss sich auf andere Sinne verlassen, auf die Stimme des Fotografen, auf das Gefühl für den eigenen Körper im Raum. Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Verletzlichkeit und Stärke, diese authentische Darstellung eines Lebens, das sich nicht über seine Einschränkungen definiert, die der Grund dafür ist, dass die Bilder der beiden Mädchen Menschen auf der ganzen Welt so tief inspirieren und berühren.

Als sie anfingen, wussten Lara und Mara es vielleicht selbst noch nicht, aber sie waren dabei, ein tief verwurzeltes, klischeehaftes Ideal von Albinismus zu zertrümmern. Für Jahrzehnte wurde Albinismus in den Medien, wenn er überhaupt vorkam, oft mit negativen Konnotationen belegt – als Symbol für das “Andere”, das Schwache oder gar das Böse. Man erwartete von Menschen mit dieser Besonderheit, dass sie schüchtern, scheu und zurückgezogen seien.
Lara und Mara durchbrachen diese Grenzen mit einer Wucht, die niemand erwartet hatte. Anstelle von Schüchternheit zeigten sie eine lebhafte, aufgeschlossene und sprühende Persönlichkeit. Sie versteckten sich nicht; sie traten ins Licht (wenn auch vorsichtig) und forderten ihren Platz ein. Sie zeigten der Welt, dass Albinismus nicht das Ende der Geschichte ist, sondern einfach ein Teil davon.
Und die Welt, so scheint es, kann nicht genug von diesen außergewöhnlichen Schwestern bekommen. Ihr Aufstieg war kometenhaft. Plötzlich fanden sie sich in Kampagnen für Giganten wie Nike und Bazarkids wieder – Marken, die für Stärke, Trendbewusstsein und kulturelle Relevanz stehen. Ihre Präsenz in diesen Kampagnen war mehr als nur ein Model-Job; es war ein Statement. Es signalisierte, dass Schönheit vielfältig ist und dass Inklusion nicht nur ein Schlagwort, sondern gelebte Realität sein kann.
Ihr Einfluss spiegelt sich auch in den sozialen Medien wider. Auf ihrem Instagram-Account haben die Zwillinge eine Gemeinschaft von mehr als 104.000 Fans aufgebaut (Stand der Berichterstattung). Menschen folgen ihnen nicht nur für die schönen Bilder, sondern für die Geschichte dahinter. Sie haben auch einen YouTube-Kanal gestartet, auf dem sie interessante Details aus ihrem einzigartigen Leben teilen und zeigen, was sie als junge Frauen mögen und bewegt.
Und das ist vielleicht der schönste Teil ihrer Geschichte. Bei all dem Ruhm, dem Einfluss und der revolutionären Kraft, die sie besitzen, sind sie am Ende des Tages eines geblieben: Teenager. Man wird vielleicht überrascht sein zu hören, dass sie in vielerliei Hinsicht typische junge Frauen sind. Sie ziehen einen Schmollmund, wenn sie für Fotos posieren, sie kichern, sie experimentieren mit Mode und teilen ihr Leben.
Diese Normalität im Angesicht des Außergewöhnlichen ist ihre größte Stärke. Sie haben bewiesen, dass man anders sein und trotzdem dazugehören kann. Sie haben gezeigt, dass das, was die Gesellschaft als “Makel” betrachtet, in Wirklichkeit ein Markenzeichen sein kann. Lara und Mara Bawar sind nicht nur Gesichter auf einem Plakat; sie sind ein Symbol der Hoffnung, eine Quelle der Inspiration und der lebende Beweis dafür, dass wahrer Mut darin besteht, der Welt ungeschminkt das eigene, authentische Selbst zu zeigen – egal, wie verschwommen diese Welt einem auch erscheinen mag.
