Ein Land hält den Atem an. Ein kleiner Junge, Fabian, ist tot. Eine 29-jährige Frau, Gina H., sitzt als Hauptverdächtige in Untersuchungshaft. Seit Wochen klammert sich die Öffentlichkeit an jedes Detail dieses furchtbaren Verbrechens, das die Gemeinde Güstrow in einen Schockzustand versetzt hat.
Es ist nicht nur ein neues Beweisstück. Es ist die Enthüllung eines fast schon fatalen Versäumnisses und der plötzliche, schreckliche Verdacht, dass die Täterin möglicherweise nicht allein war. Die Ermittler rennen gegen die Zeit, die Öffentlichkeit kocht vor Wut, und die Familie des Opfers ertrinkt in einem Meer aus unbeanworteten Fragen. Der Fall Fabian ist an einem dramatischen Wendepunkt angelangt, und die Wahrheit scheint dunkler zu sein als je zuvor.
Die Säulen des Schweigens: Der Fall Gina H.
Seit ihrer Festnahme Mitte Oktober ist Gina H. das Zentrum dieses Albtraums. Die 29-Jährige, die den kleinen Fabian seit Jahren gekannt haben soll, gilt als Hauptverdächtige. Die Spurenlage schien zunächst klar: Ihr Auto wurde in der Nähe des Fundorts registriert, Zeugen wollen sie in der Gegend gesehen haben. Doch Gina H. hüllt sich in eisernes Schweigen. Sie liefert kaum Antworten, verweist auf ihren Anwalt und scheint physisch und psychisch am Ende zu sein.
Insider berichten, die Befragungen mussten mehrfach abgebrochen werden, da die Tatverdächtige mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, zusammenbricht. Für die Ermittler ist dies ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Frist zur Anklageerhebung läuft ab, und ohne ein Geständnis oder stichhaltige, neue Beweise droht ein Szenario, das niemand wahrhaben will: die Freilassung von Gina H. mangels dringenden Tatverdachts.
Die Ermittler stehen unter einem unvorstellbaren Druck. „Wir dürfen keinen Fehler machen“, zitiert ein Insider einen Beamten. Doch wie sich herausstellen sollte, war der größte Fehler vielleicht schon längst geschehen.
Erste Risse in der Theorie: Die Spur, die nicht passte

Schon bevor die Video-Bombe platzte, gab es Risse in der Theorie der Einzeltäterin. Forensische Auswertungen von Spuren am Tatort waren nicht eindeutig. Es gab Unstimmigkeiten bei Kleidungsresten. Reichte das, um von einem zweiten Täter zu sprechen? Offiziell hielt man sich bedeckt, doch hinter verschlossenen Türen wuchs die Nervosität.
Dann, an einem späten Dienstagabend, ein neuer Fund. Ein Spaziergänger entdeckt in der Nähe des Waldrands bei Güstrow, nur wenige Kilometer vom ursprünglichen Fundort entfernt, ein Stück Stoff und einen kleinen Metallgegenstand. Spezialisten sichern die Objekte. Die erste Analyse in der Krisensitzung am nächsten Morgen ist ein Schock: Das Material stammt offenbar nicht aus dem Haushalt von Gina H.
Die Frage, die sich nun allen stellt: Hatte jemand geholfen, Spuren zu verwischen? Hatte jemand den Körper transportiert? Die Frage hallt durch die Gänge des Polizeipräsidiums in Rostock. Fabians Mutter, die sich seit Wochen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, zweifelt. Freunde berichten, sie habe mehrfach gefragt: „Wie konnte Gina das allein schaffen?“
Der Wendepunkt: Das Phantom an der Tankstelle
Die Antwort auf diese Frage lag wochenlang unbemerkt in den Akten. Ein unscharfes Überwachungsbild, aufgenommen an jenem verhängnisvollen Nachmittag, an dem Fabian verschwand. Die Aufnahme stammt von einer Tankstelle, etwa acht Kilometer vom Fundort entfernt. Sie zeigt einen dunklen Kombi, der für wenige Minuten hält. Eine Frau steigt aus. Körpergröße, Bewegungsmuster, Kleidung – alles deutet auf Gina H. hin. Sie wirkt angespannt, legt eine Tasche in den Kofferraum.
Und dann, für den Bruchteil einer Sekunde, im nächsten Frame, der Schock: Ein Schatten. Eine zweite Person. Größer, männlich, dunkel gekleidet. Nur eine halbe Sekunde sichtbar, aber deutlich genug, um die gesamte bisherige Ermittlungstheorie in Stücke zu reißen.
Als das Bild im internen Besprechungsraum gezeigt wird, herrscht minutenlange Stille. „Das verändert alles“, flüstert ein Ermittler. Spezialisten aus Berlin werden gerufen, um die Aufnahme zu analysieren. Drei Tage lang arbeiten sie rund um die Uhr. Das Ergebnis ist niederschmetternd und elektrisierend zugleich: Die zweite Figur ist real. Kein Reflex, kein Schattenwurf. Position, Gang und Blickrichtung deuten darauf hin, dass diese Person aktiv beteiligt war.
Im Mordfall Fabian gibt es einen zweiten Täter. Ein Phantom.
Ein Skandal im Skandal: Das Versäumnis der Ermittler
Die Erkenntnis trifft die Öffentlichkeit mit voller Wucht. Doch auf die Hoffnung folgt die Wut. Denn die nächste Enthüllung ist ein Skandal im Skandal: Die Polizei gibt intern zu, dass dieses Videomaterial bereits früh eingegangen war, aber als „nicht relevant“ eingestuft und beiseitegelegt wurde. Ein fataler Fehler.
Die Presse überschlägt sich. „Hat Gina einen Komplizen?“, „Neue Spur verändert alles“. Reporter belagern das Polizeigebäude. Oppositionspolitiker fordern eine Untersuchung des Polizeimanagements. Das Vertrauen in die Ermittler ist zutiefst erschüttert.
Für die Beamten, die Tag und Nacht arbeiten, ist es ein Schlag ins Gesicht. Sie müssen nun nicht nur einen Mordfall aufklären, sondern auch ihren eigenen, schweren Fehler ausbügeln.

Die Jagd nach dem Phantom
Die Jagd nach dem mysteriösen Unbekannten beginnt sofort und mit aller Härte. Die Ermittler verfolgen eine Spur, die bereits früher aufgetaucht war: Ein dunkler Kombi, der am Tattag in der Nähe des Fundorts registriert wurde. Er gehörte nicht Gina H., aber das Modell wurde in ihrer Nachbarschaft gesehen.
Die Spur führt zu einem Mann, einem früheren Bekannten von Gina, der kurz nach ihrer Festnahme plötzlich nach Dänemark gereist ist. Die dänischen Behörden werden informiert. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Der Mann wurde registriert, ist aber offenbar weiter nach Schweden gereist. Eine europaweite Fahndung wird vorbereitet, eine Kooperation mit Europol steht im Raum.
Während die digitalen Spuren verfolgt werden, melden sich neue Zeugen. Eine Frau will an der Tankstelle zwei Personen gesehen haben: eine Frau und einen Mann, „vielleicht Mitte 30, sehr ruhig, fast unheimlich“. Ein anderer Zeuge will gegen Abend zwei Stimmen am Waldrand gehört haben, eine weibliche, eine männliche. Das Bild verdichtet sich: Gina H. war nicht allein.
Ein Wettlauf gegen die Wahrheit
Montagabend in Rostock. Der Regen prasselt gegen die Fenster des Polizeipräsidiums. Im vierten Stock brennt noch Licht. Der Fall Fabian steht an einem Scheideweg. Das Video, der Schlüssel zu allem, wird noch immer analysiert.
Draußen, vor dem Gebäude, brennen wieder Kerzen. Menschen halten Fotos von Fabian in die Höhe. Sie fordern Antworten. Fabians Mutter hat über ihre Anwältin ausrichten lassen: „Wir wussten, dass Gina das nicht allein getan haben kann. Jetzt muss die Wahrheit endlich ans Licht“.
Die Ermittler wissen, dass ihnen die Zeit davonläuft. Die Frist für die Untersuchungshaft von Gina H. tickt unerbittlich herunter. Wenn es bis dahin kein belastbares Ergebnis gibt, keine Identifizierung des Phantoms, keinen Durchbruch, könnte Gina H. freikommen.
“Irgendwo da draußen”, sagt ein Beamter leise in die graue Nacht, “läuft jemand herum, der die Antwort kennt”. Dann zieht er seine Jacke enger und verschwindet im Dunkeln. Der Fall Fabian bleibt offen, und mit ihm die Frage, wie viele Geheimnisse ein kleiner Ort wie Güstrow noch verbergen kann.