Die Sendung „Markus Lanz“ vom 1. Oktober 2025 wurde einmal mehr zum Brennpunkt der deutschen Politikdebatte, als die Gäste leidenschaftlich über den erwarteten „Herbst der Reformen“ der Koalition aus CDU und SPD diskutierten. Die scharfen Wortwechsel legten die tiefen Risse in der Regierungspolitik offen, insbesondere in den Bereichen Sozialstaat, Energiepolitik und der Zukunft der Automobilindustrie. Werden die versprochenen Reformen wirklich eine Wende bringen oder steht den Bürgern in Deutschland nur ein weiterer „Herbst der Enttäuschungen“ bevor?
„Herbst der Reformen“ oder leere Versprechungen?
Die Diskussion begann mit dem metaphorischen Bild eines „Herbstes der Reformen“. Philipp Amthor (CDU) zeigte sich vorsichtig optimistisch und erklärte: „Das war jetzt keine Liebesheirat zwischen CDU und der SPD, aber trotzdem finde ich, dass wir uns ganz gut gefunden haben und jetzt geht’s eben in die Reformagenda“. Er räumte jedoch ein, dass „nicht alles innerhalb der nächsten drei, vier Monate an Reformen kommen“ werde, sondern dass es weitergehen werde mit „einem Frühling der Reformen, Sommer der Reformen und dann wahrscheinlich auch im nächsten Jahr einem weiteren Herbst der Reformen“.
Kerstin Dröge (Die Grünen) äußerte hingegen tiefe Skepsis. Sie zitierte Bundeskanzler Friedrich Merz, der von den vier Jahreszeiten der Reformen gesprochen hatte, und konterte: „Aus unserer Sicht wird’s eher ein Herbst der Enttäuschungen, und das vor allen Dingen für die Deutschen“. Sie warf Merz vor, „mal wieder was versprochen“ zu haben, „was er dann überhaupt nicht halten kann“, wie etwa die Rücknahme des Versprechens, die Stromsteuer für alle zu senken. Dröge bezeichnete Merz als „Papierkanzler“, der „im Ausland Weltmacht spielt, sich aber zu Hause nach Lust und Laune vom Wahlverlierer SPD vorführen lässt“.
Angst und gesellschaftliche Psychologie: Ein komplexes Bild
Die Debatte berührte auch die gesellschaftliche Psychologie, die Deutschland derzeit prägt. Kanzler Merz hatte zuvor geäußert, dass „im Land eher eine Angst als eine Erwartungshaltung“ herrsche. Dröge kritisierte diesen Ansatz jedoch und nannte es „infantil“ zu suggerieren, dass „wenn wir bessere Laune haben, kommen die Jobs bei Bosch wieder zurück“.
Kuban widersprach und betonte, es gäbe „eine riesige Erwartungshaltung an diese Bundesregierung“ und „wir alle blicken auf 2024, wir sehen die Umfragen“, womit er auf den Zuwachs der extremen Parteien anspielte. Er berichtete auch aus seinen Gesprächen mit Bürgern, dass die „Angst vor Krieg“ ein weit verbreitetes Thema sei. Auf die Frage, was er den Menschen sage, die Angst vor einem Krieg haben, antwortete Kuban: „Wir werden uns verteidigen können, und deswegen, damit wir uns am Ende nicht verteidigen müssen, das ist die klare Botschaft, die Friedrich Merz ausgegeben hat“. Er argumentierte, dass Investitionen in die Sicherheit und größere Unabhängigkeit notwendig seien, um einen potenziellen Krieg zu verhindern.
Dröge hatte eine andere Perspektive auf die Angst. Sie verwies auf die Aussage von Merz, „keine Angst vor Sozialabbau“ zu haben, und sagte: „Sie vielleicht nicht mit Ihrem Einkommen, Herr Merz, aber sie machen Menschen Angst“. Sie kritisierte insbesondere die Art und Weise, wie Merz über Menschen in Armut und Bürgergeld-Empfänger spreche, und warf ihm mangelnden Respekt und fehlende Wertschätzung vor.
Bürgergeld und Gerechtigkeit: Ein tiefer Graben
Die Bürgergeld-Politik war einer der Streitpunkte der Debatte. Dröge argumentierte, dass Merz oft von Bürgergeld-Empfängern als „Totalverweigerern“ und „System-Ausnutzern“ spreche, was „eine ganze Gruppe stigmatisiert“. Sie betonte, dass viele Bürgergeld-Empfänger „Aufstockerinnen sind, die jeden Tag arbeiten gehen“ und „trotzdem am Ende des Monats nicht genug Geld haben“.
Kuban konterte, indem er auf „Fairness und Gerechtigkeit“ pochte, besonders in Köln-Porz, wo Menschen arbeiten und den Sozialstaat finanzieren, während andere „liegen bleiben, die könnten arbeiten, aber sie tun es nicht“. Er stellte klar, dass niemand wolle, dass Kranke oder Arbeitsunfähige im Stich gelassen werden, aber dass auch Druck auf diejenigen ausgeübt werden müsse, die arbeiten könnten, es aber nicht tun, oder das System missbrauchen.
Klimapolitik und Autoindustrie: Der Konflikt zwischen Ideal und Realität
Ein weiteres heißes Eisen war die Klimapolitik und die Zukunft der Automobilindustrie. Amthor stellte die Frage: „Sind 80 % Klimaschutz mit Wohlstand und Demokratie besser als 100 % mit leeren Werkshallen?“. Er verglich die Situation mit einer Bergbesteigung: auf der einen Seite die AfD, die sagt „wir müssen da nicht hoch“, auf der anderen Seite die Grünen mit „Hauptsache hoch, koste es, was es wolle“. Er plädierte dafür, „ein bisschen später auf dem Gipfel anzukommen und dabei aber alle Leute mitgenommen zu haben“.
Dröge widersprach und sagte: „Diesen Widerspruch gibt es aus meiner Sicht nicht“ zwischen Klimaschutz und Wirtschaft. Sie verwies auf China, wo „mittlerweile jedes zweite neue Auto ein E-Auto ist“ und der Markt „richtig hochläuft“. Sie warf den deutschen Autoherstellern vor, durch die 15-jährige Debatte über „Elektro oder nicht“ den Anschluss an die Entwicklung in China verpasst zu haben. Sie betonte, dass sogar die IG Metall bereits 2009 gefordert habe, bei der Elektromobilität „Tempo zu machen“, um Arbeitsplätze zu sichern.
Kuban, obwohl er zustimmte, dass die Zukunft elektrisch ist, fragte: „Warum denn nicht eigentlich?“ und ob die Welt untergehe, wenn wir „noch ein paar klimafreundliche Verbrenner verkaufen“ oder „ein paar Hybride“. Er kritisierte zudem den Ansatz der Verbote, der bei den Menschen als „Gängelung“ ankomme.
Notwendige Reformen und politische Blockaden
Weidel skizzierte eine Reihe notwendiger Reformen für Deutschland, darunter eine Steuerreform mit „einheitlichen niedrigen Steuersätzen“, „Familiensplitting“ und „hohen Freibeträgen“. Sie schlug vor, „die Einkommenssteuer einfach zu halbieren oder die Stromsteuer komplett abzuschaffen“. Im Sozialbereich forderte sie eine „aktivierende Grundsicherung“ anstelle des gescheiterten Bürgergeldes, um „den mächtigsten Magneten für Migration in den Sozialstaat abzuschalten“. Sie schlug auch eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts vor, mit „Ermessenseinbürgerung statt Masseneinbürgerung am Fließband“ und „konsequenter Abschiebung“.
Die Debatte zeigte jedoch die enormen politischen Hürden für solche Reformen. Amthor gab zu, dass die Koalition keine „Liebesheirat“ ist, und Dröge bezeichnete Merz als „Lügenkanzler“ mit „gebrochenen Wahlversprechen“. Die tiefe Spaltung in grundlegenden Fragen wie Klima, Migration und Sozialstaat macht einen Konsens extrem schwierig.
Die Diskussion bei Markus Lanz hat ein Deutschland offengelegt, das vor gewaltigen Herausforderungen und tiefen politischen Gräben steht. Ob die Bundesregierung ihre internen Differenzen überwinden und die notwendigen Reformen tatsächlich umsetzen kann, oder ob der „Herbst der Reformen“ nur ein anderer Name für Enttäuschung und Stagnation sein wird, bleibt eine offene Frage. Die Zukunft Deutschlands hängt von der Fähigkeit seiner Führung ab, entscheidungsfreudig und geeint die drängendsten Probleme des Landes anzugehen.