Es ist ein Fall, der ganz Deutschland erschüttert hat und der nun, Wochen nach dem grausamen Fund der Leiche des achtjährigen Fabian, eine neue, dramatische Wendung nimmt. Die Trauer in Güstrow ist noch immer greifbar, die Fragen nach dem „Warum“ quälen die Angehörigen. Doch während die Familie des kleinen Jungen versucht, den unfassbaren Verlust zu verarbeiten, spielt sich hinter den Mauern der Justizvollzugsanstalt Bützow ein Nervenkrieg ab, der an Brisanz kaum zu überbieten ist. Im Zentrum: Gina H., die 29-jährige Ex-Lebensgefährtin von Fabians Vater, die unter dringendem Mordverdacht steht.
Der Kollaps vor der „Frage aller Fragen“
Es sollte der Tag der Wahrheit werden. Für den Vormittag des 15. November 2025 hatte die Staatsanwaltschaft Rostock eine entscheidende Vernehmung angesetzt. Es ging um nicht weniger als das Kernstück der Indizienkette: die mysteriöse Zeitlücke am Tattag, jenem verhängnisvollen 10. Oktober. Wo war Gina H. zwischen 16:40 Uhr und 18:05 Uhr? Genau in diesem Zeitfenster, so rekonstruierten es die Ermittler, muss der kleine Fabian zu dem abgelegenen Tümpel bei Klein Upahl gebracht und getötet worden sein.
Doch zu diesen Fragen kam es nicht. Um Punkt 10:12 Uhr, noch auf dem Flur des medizinischen Traktes der JVA und nur wenige Meter vom Vernehmungsraum entfernt, brach die Verdächtige zusammen. Überwachungskameras dokumentierten, wie sie sich an die Wand stützte, nach Luft rang und schließlich zu Boden sank. Die Vernehmung wurde sofort abgebrochen, Ärzte wurden alarmiert. Auf den ersten Blick: ein medizinischer Notfall einer psychisch schwer belasteten Frau. Doch für die erfahrenen Kriminalisten vor Ort zeichnet sich ein anderes, düsteres Bild ab.

Zufall oder kalte Berechnung?
„Wir bewerten medizinische Vorfälle immer ernst, aber das Timing ist mehr als verdächtig“, zitiert ein Insider aus Ermittlerkreisen. Es ist nämlich nicht das erste Mal. Aktenvermerke zeigen ein auffälliges Muster: Immer dann, wenn die Befragungen kritische Punkte erreichen – wenn es um Wegstrecken, Uhrzeiten oder Begegnungen geht –, klagt Gina H. über Übelkeit, Schwindel oder Erschöpfung.
Was den aktuellen Vorfall am 15. November jedoch so brisant macht, ist eine Beobachtung, die erst bei der nachträglichen Auswertung der Videoaufzeichnungen gemacht wurde. Nur Minuten vor ihrem Zusammenbruch wirkte Gina H. auf den Bildern keineswegs apathisch oder krank. Im Gegenteil: Sie stand aufrecht, wirkte wachsam, fast lauernd. Sie beobachtete den Eingangsbereich, als würde sie die Situation taxieren. Ein Verhalten, das im krassen Widerspruch zu dem plötzlichen körperlichen Verfall nur Augenblicke später steht.
Die verräterische Frage nach dem Erwachen

Noch verstörender ist das, was am Abend desselben Tages geschah. Nach wenigen Stunden im medizinischen Bereich stabilisierte sich der Zustand der 29-Jährigen erstaunlich schnell. Zurück in ihrer Zelle, wirkte sie gefasst, fast schon erleichtert. Gegenüber einer Justizbeamtin soll sie dann eine Frage gestellt haben, die tief blicken lässt: Sie erkundigte sich nicht nach ihrem Gesundheitszustand, nicht nach einem Arzt. Stattdessen wollte sie wissen, ob „bestimmte Unterlagen“ bereits an die Staatsanwaltschaft gegangen seien.
Für die Ermittler ist das ein Alarmzeichen. Woher wusste sie von neuen Unterlagen? Tatsächlich wollten die Beamten sie an diesem Tag mit einem neuen Beweismittel konfrontieren: einer digital aufbereiteten Videoaufnahme einer Überwachungskamera in der Nähe des Tatorts. Die Bilder sind unscharf, zeigen aber einen Umriss, der der Statur der Verdächtigen entsprechen könnte. Wollte sie genau dieser Konfrontation ausweichen? Hat sie geahnt, dass die Schlinge sich enger zieht?
Ein Netz aus Lügen und bizarrem Verhalten
Das Misstrauen gegenüber Gina H. kommt nicht von ungefähr. Schon vor ihrer Festnahme verstrickte sich die passionierte Reiterin in Widersprüche. Sie war es, die Fabians Leiche „zufällig“ beim Spaziergang fand – an einem Ort, 15 Kilometer entfernt, in einem unwegsamen Waldstück, das man ohne Ortskenntnis kaum betritt. „Da geht niemand einfach so spazieren“, berichteten Nachbarn fassungslos.
Auch ihre Vergangenheit wirft Schatten. Bekannt wurde ein Vorfall mit dem Veterinäramt: Gina H. soll versucht haben, eines ihrer toten Pferde illegal im eigenen Garten zu verbrennen – eine makabre Parallele zu den Brandspuren, die am Leichnam des kleinen Fabian gefunden wurden. Psychologen sprechen von einer „narzisstischen Kränkung“ nach der Trennung von Fabians Vater. Wollte sie ihn dort treffen, wo es am meisten schmerzt? „Fabian war wie ein eigenes Kind für mich“, hatte sie noch kurz vor ihrer Verhaftung in Kameras geheuchelt. Worte, die heute wie Hohn klingen.

Das gefährliche Spiel auf Zeit
Die Ermittler stehen nun vor einem Dilemma. Sie müssen die Vernehmungsfähigkeit der Verdächtigen sicherstellen, dürfen sich aber nicht von möglichen schauspielerischen Einlagen manipulieren lassen. Jeder Tag Verzögerung ist ein kleiner Sieg für die Verteidigung und eine weitere Qual für Fabians Eltern.
Der Zusammenbruch vom 15. November mag die Befragung gestoppt haben, doch er hat den Verdacht paradoxerweise erhärtet. Wer nichts zu verbergen hat, bricht nicht taktisch zusammen, wenn die Wahrheit ans Licht drängt. Die Staatsanwaltschaft bereitet nun den nächsten Versuch vor – mit noch präziseren Fragen und dem festen Willen, das Schweigen zu brechen. Gina H. mag eine Schlacht gewonnen haben, doch der Krieg um die Wahrheit hat gerade erst begonnen. Deutschland schaut hin, und Fabian verdient Gerechtigkeit.
