Der Vorhang ist gefallen. Es war der 17. November, ein Tag, den Alice und Ellen Kessler nicht dem Zufall überlassen hatten, sondern bewusst wählten, um das Buch ihres gemeinsamen, so glamourösen Lebens zu schließen. Im Alter von 89 Jahren verstarben die berühmtesten Zwillinge Deutschlands, Alice und Ellen Kessler, in ihrem Zuhause in Grunewald bei München. Doch ihr Tod ist kein tragischer Unfall, keine plötzliche Krankheit, sondern die letzte, tief durchdachte und zutiefst persönliche Entscheidung, die nur das unzertrennliche Duo treffen konnte: Sie wählten den assistierten Suizid, um gemeinsam aus dem Leben zu scheiden.
Diese Nachricht erschütterte die Kultur- und Medienlandschaft bis ins Mark. Sie ist mehr als nur eine Todesmeldung; sie ist das finale, radikale Bekenntnis zu einer Geschwisterliebe, die über sieben Jahrzehnte lang die Bühne der Welt verzauberte. Wie die Deutsche Presseagentur bestätigte, geschah ihr Ableben friedlich und in den eigenen vier Wänden. Hinweise auf ein Fremdverschulden liegen selbstverständlich nicht vor. Es war ein geplanter Abschied, der im vollen Bewusstsein und mit der Würde einer lebenslangen Selbstbestimmung vollzogen wurde.

Die Entscheidung für Zwei: Ein geplanter Abschied
Die Wahl des assistierten Suizids ist in Deutschland ein sensibles und juristisch streng geregeltes Feld. Im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe, bei der ein tödliches Mittel von einer dritten Person verabreicht wird, bedeutet der assistierte Suizid, dass die sterbewillige Person das tödliche Mittel selbst einnimmt. Es ist die letzte, souveräne Tat der Selbstbestimmung, und genau dafür hatten sich Alice und Ellen entschieden.
Wie eine Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHs) gegenüber dem Bayerischen Rundfunk erklärte, befassten sich die Kessler Zwillinge „schon seit langer Zeit“ mit dem Gedanken des assistierten Suizids. Es war keine Kurzschlussreaktion, sondern das Resultat monatelanger, wenn nicht sogar jahrelanger Überlegungen. Der 17. November war demnach nicht zufällig gewählt, sondern von den Schwestern als ihr Todestag festgelegt worden.
Dieser Schritt erforderte eine sorgfältige Planung und die Begleitung durch medizinisches Fachpersonal. Die Kessler Zwillinge führten im Vorfeld Gespräche mit Ärzten, die am besagten Montag zu ihrem Haus kamen, um sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Die Anwesenheit dieser Begleiter unterstreicht die Ernsthaftigkeit und die formellen Vorkehrungen, die das Duo traf, um sicherzustellen, dass ihr Wunsch nach einem gemeinsamen, würdevollen Ende erfüllt werden konnte. Es ist ein Akt von seltener Konsequenz, der ihren unzertrennlichen Lebensweg bis zur letzten Sekunde widerspiegelt.
Unzertrennlich: Die Geschichte einer einzigartigen Symbiose
Alice und Ellen Kessler wurden am 20. August 1936 geboren und avancierten zu den wohl bekanntesten Zwillingspaaren in der deutschen und internationalen Unterhaltungswelt. Schon früh zeigten sich ihre Talente als Tänzerinnen, und ihre Karriere nahm schnell Fahrt auf. Ihr Durchbruch gelang ihnen in den 1950er Jahren in Paris, wo sie als „Kessler Twins“ zu Stars im legendären Lido aufstiegen. Ihre perfekt synchronisierten Bewegungen, ihre Eleganz und ihr Glamour machten sie zu einem globalen Phänomen.
Die beiden traten nicht nur in Europa auf, sondern eroberten auch die Vereinigten Staaten. Sie waren die Verkörperung des europäischen Chic und der präzisen Tanzkunst. Ob in Las Vegas, in Hollywood-Filmen an der Seite von Größen wie Kirk Douglas oder in unzähligen Fernsehshows – wo Alice war, da war auch Ellen, und umgekehrt. Ihr gemeinsamer Erfolg basierte auf ihrer visuellen Identität als perfekte Spiegelbilder, aber noch viel mehr auf ihrer emotionalen und beruflichen Symbiose.
Sie repräsentierten Deutschland 1959 beim Eurovision Song Contest und veröffentlichten zahlreiche Alben. Ihre Karrieren waren immer eng miteinander verwoben. Doch während viele Stars versuchten, sich vom familiären Schatten zu lösen, pflegten die Kessler Zwillinge ihre Verbundenheit. Sie lebten gemeinsam, arbeiteten gemeinsam und verbrachten fast jede Stunde ihres Lebens in der Gesellschaft der anderen. Sie waren keine zwei Hälften, die ein Ganzes ergaben, sondern ein einziges, doppeltes Phänomen.
Der Begriff „unzertrennlich“ ist für sie nicht nur eine Beschreibung, sondern eine Lebensphilosophie. In Interviews betonten sie immer wieder, dass das getrennte Leben für sie unvorstellbar sei. Sie teilten nicht nur die Erfolge, sondern auch die Sorgen, die Erinnerungen und die Visionen für ihre Zukunft. Diese tiefe, nahezu spirituelle Verbundenheit macht ihre letzte Entscheidung so ergreifend. Für sie gab es offensichtlich keinen Weg, sich den unausweichlichen Widrigkeiten des hohen Alters – etwa der Aussicht auf den Verlust der Schwester durch Krankheit oder Gebrechlichkeit – getrennt zu stellen. Ihr gemeinsamer Tod ist die logische und konsequente Vollendung dieser einzigartigen Existenz.

Der letzte öffentliche Auftritt: Ein Abschied, den niemand ahnte
Die wahre Dramatik dieser letzten Entscheidung wird durch ihren letzten öffentlichen Auftritt nur wenige Wochen zuvor noch verstärkt. Am 24. Oktober besuchten die Schwestern die Roncalli Artisten-Startpremiere im Werksviertel am Münchner Ostbahnhof. Sie posierten für die Kameras, strahlten in ihrer gewohnten Eleganz und nahmen am gesellschaftlichen Leben teil, ohne dass jemand die Schwere der Entscheidung erahnte, die sie bereits getroffen hatten.
Doch im Rückblick werden die Signale deutlicher. Uschi Ackermann, die Witwe des Feinkostkönigs Gert Käfer und selbst eine Persönlichkeit des Münchner Gesellschaftslebens, schilderte ihre Beobachtungen gegenüber der „Abendzeitung München“: „Ich fand sie ruhiger als sonst und etwas zurückhaltender. Vielleicht geht es ihnen nicht gut, dachte ich mir noch.“ Was die Beobachter als leichte Ermattung oder Altersmüdigkeit interpretierten, war im Grunde die letzte, stille Phase einer inneren Vorbereitung auf den festgelegten Abschied.
Sie nahmen Abschied von der Öffentlichkeit, von den Scheinwerfern, die sie ihr Leben lang begleitet hatten, in einer Art stiller Würde. Es war, als hätten sie ihren inneren Frieden bereits gefunden, ihre letzte große Choreografie bereits im Kopf. Niemand ahnte wohl, dass dies ihr finaler Auftritt auf der öffentlichen Bühne sein würde, bevor sie sich in die Intimität ihres Zuhauses zurückziehen würden, um gemeinsam in eine andere Welt überzugehen.

Ein Akt der Selbstbestimmung: Das Vermächtnis der Würde
Der Tod der Kessler Zwillinge wirft unweigerlich ein Schlaglicht auf die gesellschaftliche Debatte über das Recht auf den eigenen Tod. In einem Alter, in dem Gebrechlichkeit und der Verlust von Autonomie oft drohen, entschieden sich Alice und Ellen Kessler für einen Weg, der ihre Würde und ihre Kontrolle über das eigene Leben bis zum Schluss bewahrte.
Der assistierte Suizid, der in Deutschland nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts unter bestimmten Bedingungen legal ist, wird von Befürwortern als ultimativer Akt der Selbstbestimmung im Alter gesehen. Die Kessler Zwillinge nutzten dieses Recht nicht nur für sich selbst, sondern zementierten damit auch ihr Image als Paar, das alles gemeinsam tat. Ihr Tod ist somit auch ein politisches Statement für das Recht auf einen selbstbestimmten und friedlichen Lebensausgang.
Ihr Vermächtnis ist nicht nur das eines Showbiz-Duos, das die Ära des Revuetheaters prägte. Es ist das Vermächtnis zweier Schwestern, die ihre Existenz zu einem Kunstwerk der Zweisamkeit formten. Sie tanzten synchron auf den größten Bühnen der Welt, sie lebten synchron im Glanz des Ruhms, und sie wählten nun den synchronen Abgang.
Alice und Ellen Kessler haben ihren letzten Walzer getanzt. Ein Walzer, der nicht auf einer Bühne stattfand, sondern in der Stille ihres Zuhauses. Ein Walzer, der das Versprechen ihrer lebenslangen Verbundenheit bis zum letzten Atemzug erfüllte. Sie verließen die Welt, wie sie in ihr gelebt hatten: gemeinsam, elegant und auf ihre ganz eigene, unnachahmliche Weise. Ihr gemeinsamer Tod ist die ergreifendste und konsequenteste Liebeserklärung, die zwei Menschen einander geben können. Sie starben nicht nur als Schwestern, sondern als eine einzige Seele, die nun endlich in Frieden ruhen darf. Ihre Geschichte, die von Glamour und perfekter Harmonie geprägt war, endet mit einem Akt von radikaler, berührender Selbstbestimmung, der noch lange in Erinnerung bleiben wird.