Es gibt Gesichter im Kino, die man vergisst, sobald der Abspann läuft. Und dann gibt es Udo Kier. Ein Mann, dessen stechender, grün-blauer Blick sich in das kollektive Gedächtnis von Generationen eingebrannt hat. Nun hat dieser Blick seine Intensität für immer verloren. Der gebürtige Kölner, der die Welt von Hollywood bis zum europäischen Arthouse-Kino eroberte, ist tot. Er starb im Alter von 81 Jahren in seiner Wahlheimat Palm Springs.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die internationale Filmbranche und hinterlässt eine Lücke, die niemand sonst füllen kann. Wie Branchenblätter wie Variety und The Guardian berichten, schlief der Schauspieler friedlich, aber nach Berichten über gesundheitliche Probleme, in seinem Haus in Kalifornien ein. Sein langjähriger Lebensgefährte, der Künstler Delbert McBride, bestätigte den Verlust, der nicht nur für ihn, sondern für Cineasten weltweit das Ende einer Ära markiert.

Ein Leben, das im Schutt begann und im Sternenlicht endete
Man kann Udo Kiers Leben nicht erzählen, ohne den dramatischen Anfang zu erwähnen, der fast wie das Drehbuch eines seiner Filme klingt. Geboren am 14. Oktober 1944, mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, erblickte er das Licht der Welt während eines Bombenangriffs in Köln-Mülheim. Seine ersten Stunden verbrachte er, von Krankenschwestern geschützt, unter den Trümmern eines Krankenhauses. Vielleicht war es dieser raue Start, der ihm jenen unbändigen Überlebenswillen und die furchtlose Art schenkte, mit der er später seine Karriere anging.
Bevor er zum Weltstar wurde, kannte Kier das harte Leben. Er arbeitete am Fließband bei Ford, träumte sich aber immer fort – erst nach London, dann in die USA. Er war ein Arbeiterkind, das zum Aristokraten des Kinos aufstieg, ohne je seine Wurzeln oder seinen eigenwilligen Kölner Charme ganz zu verlieren.
Der Mann mit den 1000 Gesichtern
Udo Kier war nie der glatte Held, der das Mädchen bekommt und in den Sonnenuntergang reitet. Er war spannender. Er war der Vampir, der Diktator, der Wahnsinnige, der Visionär. Über 200 Filme umfasst sein gewaltiges Werk, das fast sechs Jahrzehnte umspannt.
Seine Karriere ist ein wilder Ritt durch die Filmgeschichte. Er begann als Muse für Andy Warhols Factory in Kultklassikern wie Flesh for Frankenstein und Blood for Dracula. Diese Rollen etablierten ihn als Ikone des abseitigen, fantastischen Kinos. Doch Kier ließ sich nie in eine Schublade stecken.
In Deutschland arbeitete er mit den Größten seiner Zeit: Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Christoph Schlingensief erkannten in ihm das Unkonventionelle, das Radikale. Später wurde er zum festen Bestandteil im Werk des dänischen Regie-Provokateurs Lars von Trier. Ob in Dogville, Melancholia oder der Geisterserie The Kingdom – Kier war oft nur für wenige Minuten zu sehen, aber diese Minuten gehörten ihm allein. Er hatte die seltene Gabe, mit minimaler Gestik eine Szene komplett an sich zu reißen.
Auch Hollywood konnte seinem Charisma nicht widerstehen. Seinen großen US-Durchbruch feierte er Anfang der 1990er Jahre an der Seite von River Phoenix und Keanu Reeves in dem Indie-Meisterwerk My Own Private Idaho. Es folgten Rollen in Blockbustern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Er jagte Vampire in Blade, erlebte das Ende der Welt in Armageddon und End of Days, und brachte uns als exzentrischer Ron Camp in Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv zum Lachen.

Ein Leben ohne Kompromisse
Privat war Udo Kier ebenso mutig wie vor der Kamera. Zu einer Zeit, als Homosexualität in Hollywood noch ein absolutes Tabu war und Karrieren zerstören konnte, machte Kier nie einen Hehl daraus, wen er liebte. Er war ein Freigeist, der sich nicht von Konventionen einschränken ließ. In seiner Jugend in Italien wurde er als einer der schönsten Männer seiner Generation gefeiert, verkehrte mit Legenden wie Luchino Visconti und Helmut Berger, und genoss das Leben in vollen Zügen.
Zuletzt lebte er ruhig, aber stilvoll in Palm Springs, einer Oase in der Wüste Kaliforniens. Er liebte seine Hunde, die Kunst und das Gärtnern – ein fast bürgerlicher Kontrast zu den düsteren Figuren, die er oft verkörperte.
Der letzte Vorhang
Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik und zugleich Poesie, dass Udo Kier bis zuletzt das tat, was er am besten konnte: schauspielern. Sein letzter Film, der brasilianische Polit-Thriller The Secret Agent (O Agente Secreto), feierte erst vor kurzem Premiere und läuft aktuell noch in einigen Kinos. Darin spielt er – fast prophetisch – einen deutschen Juden namens Hans, der vor der Vergangenheit flieht. Für Fans erhält der Kinobesuch nun eine tiefe, emotionale Bedeutung: Es ist die letzte Gelegenheit, diesen einzigartigen Künstler “neu” zu erleben.
Zwar wurde keine offizielle Todesursache bekanntgegeben, doch Freunde berichten, dass er im engsten Kreis friedlich gegangen sei. Was bleibt, ist ein Werk, das so bizarr, schön und unvergesslich ist wie der Mann selbst.
Hollywood hat viele Stars, aber es hatte nur einen Udo Kier. Seine grünen Augen mögen sich geschlossen haben, aber auf der Leinwand werden sie uns noch für immer anstarren – intensiv, geheimnisvoll und unsterblich.
Ruhe in Frieden, Udo.