„Ein Stein würde eher ausweichen“ – Franziska Preuß und der schmerzhafte Abschied von Laura Dahlmeier beim Weltcup-Auftakt

Es sind Tage, an denen der Sport zur absoluten Nebensache verkommt, Tage, an denen der glitzernde Schnee nicht hell, sondern dunkel und schwer wirkt. Der Auftakt des Biathlon-Weltcups in Östersund markiert traditionell den Beginn einer Zeit voller Hoffnung, Spannung und sportlicher Höchstleistungen. Doch in diesem Jahr liegt ein grauer Schleier über der Szenerie, der sich nicht so leicht abschütteln lässt. Franziska Preuß, die 31-jährige Führungsfigur des deutschen Teams, hat in einem bemerkenswert offenen und zutiefst emotionalen Gespräch Einblick in ihr Seelenleben gegeben. Im Zentrum steht ein Verlust, der nicht nur eine Lücke in die Mannschaft, sondern einen Krater in die Herzen gerissen hat: der tragische Unfalltod von Laura Dahlmeier.

Der Moment, der die Welt anhielt

Es war Ende Juli 2025, mitten im Sommer, als die Nachricht aus dem fernen Pakistan die deutsche Biathlon-Familie erreichte wie ein Schlag in die Magengrube. Laura Dahlmeier, die Ausnahmekönnerin, die auch nach ihrer aktiven Karriere die Berge suchte und liebte, war im Karakorum-Gebirge verunglückt. Für Franziska Preuß, die über Jahre hinweg Seite an Seite mit Dahlmeier gekämpft, gelitten und gejubelt hatte, war diese Nachricht schlichtweg nicht zu verarbeiten.

„Es war ein riesengroßer Schock“, gestand Preuß im Gespräch mit der „Zeit“. Die Art und Weise, wie sie von dem Unglück erfuhr, trägt eine eigene, tragische Note. Ihre Mutter hatte kurz zuvor noch Lauras Vater getroffen und dabei beiläufig erfahren, dass Laura gerade in Pakistan unterwegs sei, um ihre Leidenschaft für das Extrembergsteigen auszuleben. Dass kurz darauf die Meldung ihres Todes folgen würde, erschien so unwirklich, so grotesk falsch, dass der Verstand sich zunächst weigerte, es zu akzeptieren.

Preuß fand für dieses Gefühl der Unbegreiflichkeit eine Metapher, die ebenso poetisch wie herzzerreißend ist und die tiefe Ehrfurcht vor Dahlmeers Stärke zeigt: „Ich dachte, ein Stein, der wechselt eher die Richtung, bevor er die Laura trifft.“ Dieser Satz hallt nach. Er beschreibt das Bild einer Frau, die als unverwüstlich galt, die immer einen Weg fand, die immer „durchkam“. Dass ausgerechnet die Natur, die Dahlmeier so sehr liebte, ihr zum Verhängnis wurde, ist eine Ironie des Schicksals, die nur schwer zu ertragen ist.

Hoffnung bis zur letzten Sekunde

In den ersten Stunden nach Bekanntwerden des Unglücks herrschte Chaos. Niemand wusste genau, wie schwer der Unfall war, ob es noch eine Chance gab. In dieser Phase der Ungewissheit klammerte sich Franziska Preuß an jeden noch so kleinen Strohhalm. „Ich hatte bis zum Schluss Hoffnung“, erzählt sie. Die Vorstellung, dass Laura Dahlmeier nicht mehr zurückkehren würde, existierte in ihrer Welt nicht. „Ich hatte mir auch nie Sorgen gemacht“, fügt sie hinzu. Diese fast kindliche Zuversicht, dass am Ende alles gut wird, weil es eben Laura ist, macht den endgültigen Verlust umso brutaler.

Als die Gewissheit dann doch eintrat, brach eine Welt zusammen. Preuß verlor nicht nur eine ehemalige Teamkollegin. Sie verlor ihre langjährige Zimmerpartnerin, eine Weggefährtin, mit der sie die Höhen und Tiefen des Leistungssports durchlebt hatte, und vor allem: eine Freundin. Die Bindung, die durch jahrelanges gemeinsames Training, Reisen und Wettkämpfe entsteht, ist im Profisport oft enger als zu vielen Familienmitgliedern. Man sieht sich jeden Tag, kennt die Macken des anderen, teilt Freud und Leid auf engstem Raum.

Zusammenhalt in der Dunkelheit

Der Schmerz traf das gesamte deutsche Biathlon-Team mit voller Wucht. In solchen Momenten zeigt sich der wahre Charakter einer Mannschaft. Laut Preuß suchten die Athletinnen in der Zeit nach der Tragödie vor allem eines: Nähe. „Wir waren füreinander da, konnten uns gegenseitig ein bisschen unterstützen“, berichtet sie. Es gab keine Worte, die den Schmerz hätten lindern können, aber das bloße Beisammensein, das gemeinsame Schweigen und Weinen, gab Halt.

Für Franziska Preuß hat der Verlust jedoch noch eine weitere, einsame Dimension. Mit ihren 31 Jahren ist sie nun die letzte verbliebene Athletin in der aktuellen Mannschaft, die noch gemeinsam mit Laura Dahlmeier an der Startlinie stand. Sie ist die letzte Zeugin einer goldenen Ära, die nun endgültig Geschichte ist. Alle anderen, die mit Dahlmeier liefen, sind bereits zurückgetreten oder nicht mehr im Kader. Das macht Preuß zur Hüterin der Erinnerung, aber es lässt sie auch ein Stück weit einsamer zurück.

Ein Weltcup-Start mit Phantomschmerz

Nun steht der Saisonauftakt in Östersund an, am 29. November. Normalerweise ein Tag der Vorfreude. Doch für Franziska Preuß wird es eine emotionale Zerreißprobe. „Das wird kein schöner Tag“, sagt sie mit einer Ehrlichkeit, die im oft auf Hochglanz polierten Sportgeschäft selten ist. Wenn sie und das Team in Schweden am Start stehen, wird die Leere greifbar sein.

Besonders schmerzhaft ist die Tatsache, dass Laura Dahlmeier dem Sport auch nach ihrer Karriere erhalten geblieben war. Als Expertin für das ZDF war sie regelmäßig im Weltcup-Zirkus präsent. Sie war da, sie war ansprechbar, sie war Teil der Familie – nur eben auf der anderen Seite der Absperrung. Dieser vertraute Anblick, das kurze Winken, die fachkundige Analyse nach dem Rennen – all das wird fehlen.

„Im Winter wird noch mal richtig klar werden, welche Lücke sie hinterlässt“, prophezeit Preuß. Der Alltag im Weltcup wird sie immer wieder daran erinnern, dass jemand fehlt. Der Blick zum TV-Podest, der Blick in die Berge – überall werden Erinnerungen lauern. Thomas Huber, der bekannte Bergsteiger, der an den verzweifelten Rettungsversuchen beteiligt war, hat ebenfalls über diesen schmerzlichen Verlust gesprochen. Seine Berichte von den dramatischen Stunden im Karakorum unterstreichen nur, wie nah Freud und Leid, Leben und Tod in den Bergen beieinanderliegen.

Das Vermächtnis weitertragen

Wenn Franziska Preuß in Östersund in die Loipe geht, läuft sie nicht nur gegen die Uhr und die Konkurrenz. Sie läuft auch gegen die Trauer an. Es wird kein leichter Weg, und der „schöne Tag“, den man sich zum Auftakt wünscht, wird es wohl wirklich nicht werden. Aber vielleicht wird es ein wichtiger Tag. Ein Tag, an dem die Biathlon-Welt innehalten kann, um Laura Dahlmeier zu ehren.

Preuß‘ Worte erinnern uns daran, dass hinter den Athleten Menschen stecken, die verletzlich sind. Ihre Trauer ist der Preis für die tiefe Verbindung, die sie zu Laura hatte. Und so wie Laura Dahlmeier am Berg kämpfte, wird Franziska Preuß nun im Schnee kämpfen müssen – nicht mehr mit Laura an ihrer Seite, aber mit ihr im Herzen. Ein Stein mag seine Richtung ändern, aber die Erinnerung an eine Legende und Freundin bleibt bestehen, unverrückbar wie die Berge selbst.

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