Die Musiklandschaft Deutschlands ist reich, vielfältig und komplex – aber sie ist offenkundig auch von tiefen Gräben durchzogen. Ein prominenter Akteur des Ostens, dessen Musik über Generationen hinweg die Feiertage und das alltägliche Leben prägte, hat nun einen erschütternden Vorwurf erhoben, der wie ein Hammerschlag in der Debatte um kulturelle Gleichberechtigung nach der Wiedervereinigung wirkt. Frank Schöbel, die unbestrittene Schlager-Ikone der ehemaligen DDR, rechnet mit der deutschen Radiolandschaft ab und spricht eine Anklage aus, die an Bitterkeit kaum zu überbieten ist: „Manchmal habe ich die Vermutung, dass mancher darauf wartet, dass wir endlich tot sind.“
Diese drastischen Worte des 82-jährigen Künstlers im Gespräch mit dem Nordkurier sind mehr als nur ein verärgerter Ausruf eines Altstars; sie sind das symptomatische Echo eines jahrzehntelangen Gefühls der Ausgrenzung und der systematischen Ignoranz, das viele Künstlerinnen und Künstler aus dem Osten Deutschlands nach wie vor erleben. Schöbel, dessen Bekanntheitsgrad und Popularität in den ostdeutschen Bundesländern legendär sind, fühlt sich gezielt aus dem Programm deutscher Radiosender gestrichen. „Man spielt uns einfach nicht mehr“, lautet sein nüchternes, aber vernichtendes Fazit.

Die eisige Stille nach dem Mauerfall
Frank Schöbel ist nicht irgendein Sänger. Er ist ein kulturelles Phänomen. Sein Album Weihnachten in Familie, das er 1985 gemeinsam mit seiner damaligen Partnerin Aurora Lakasa schuf, ist bis heute die erfolgreichste Amiga-Platte der DDR-Geschichte. Dieses Werk ist in Ostdeutschland mehr als nur eine Weihnachtsplatte; es ist eine Institution, ein akustisches Erbe, das in unzähligen Wohnzimmern Jahr für Jahr für Feiertagsstimmung sorgt. Seine Fans halten ihm, Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer, unbeirrt die Treue.
Die Kritik Schöbels entspringt somit nicht einer fehlenden Relevanz beim Publikum, sondern der festen Überzeugung, dass ein Großteil der deutschen Medienlandschaft, insbesondere die Radiosender, eine bewusste Entscheidung getroffen hat: die musikalische Vergangenheit und Gegenwart des Ostens zu marginalisieren. Es ist die Anklage gegen eine Art kultureller Amnesie, bei der die Leistung und Beständigkeit von Künstlern, die über Jahrzehnte hinweg riesige Hallen füllten, plötzlich im Nichts zu verschwinden drohen, sobald die Zielgruppe der Sender „West-kompatibel“ sein soll.
Die Tragweite seiner Aussage – die furchtbare Unterstellung, es werde darauf gewartet, dass eine Generation von Künstlern stirbt, damit ihr Erbe endlich verschwindet – macht deutlich, wie tief die Frustration sitzen muss. Es ist das Gefühl, dass nicht nur die Musik, sondern auch die biografische Leistung und die damit verbundene Identität einer ganzen Region ausgeblendet werden. Schöbels fortlaufende Konzerttätigkeit, mit Auftritten in Gera, Berlin, Cottbus, Potsdam und Magdeburg, beweist, dass seine musikalische Flamme nicht erloschen ist und die Nachfrage der Fans ungebrochen bleibt. Die Diskrepanz zwischen der realen Popularität und der medialen Präsenz ist schlichtweg eklatant.
Ein systematisches Problem: Von Schöbel bis Freudenberg
Schöbel steht mit seiner Kritik keineswegs allein da. Die Erfahrung der Ausgrenzung scheint ein systemisches Problem zu sein, das viele seiner Weggefährten betrifft. So hat sich beispielsweise auch der beliebte Moderator und Entertainer Wolfgang Lippert zu der Thematik geäußert und die Vorwürfe indirekt bestätigt. Auch das DDR-Kult-Duo Katrin und Peter, die in den 70er und 80er Jahren mit eingängigen Schlagern große Erfolge feierten und nach wie vor regelmäßig auf der Bühne stehen, kämpfen um die nötige Sichtbarkeit.
Ihr Kampf um eine Präsenz im gesamtdeutschen Mainstream wurde durch eine deutliche Absage für einen Auftritt bei der beliebten ARD-Show Immer wieder sonntags schmerzhaft verdeutlicht. Es scheint, als sei die Tür für diese Ikonen fest verschlossen, selbst wenn ihr Repertoire und ihre Bühnenerfahrung die der meisten modernen Casting-Show-Teilnehmer bei Weitem übertreffen. Die Entscheidung, solche etablierten Künstler abzuweisen, nährt den Verdacht, dass die Ablehnung weniger auf mangelnder Qualität als vielmehr auf einer ideologischen oder marketingstrategischen Voreingenommenheit beruht.

Die Diktatur der Follower: Ute Freudenbergs Abrechnung
Eine weitere prominente Stimme, die sich scharf gegen die Zustände in der Musikbranche wendet, ist Ute Freudenberg. Die Sängerin, bekannt für ihren zeitlosen Hit „Jugendliebe“ und eine über 50-jährige Karriere im Rampenlicht, hat sich kürzlich von der Bühne verabschiedet und rechnet in diesem Zuge mit der modernen Schlagerbranche ab. Ihre Kritik liefert den intellektuellen Unterbau für Schöbels emotionalen Ausbruch.
Freudenberg beklagt den fundamentalen Wandel der Wertmaßstäbe. „Ich beschäftige mich mit der Branche so gut wie gar nicht mehr“, sagte sie. Wo früher Leistung, Bühnenpräsenz, eine unverwechselbare Stimme und musikalische Beständigkeit zählten, dominiert heute ein oberflächliches und schnelllebiges Kriterium: „Heute zählt: Wie viele Follower man hat.“
Diese Aussage ist eine vernichtende Kritik am gesamten modernen Unterhaltungssystem. Es ist die Erkenntnis, dass Künstlerkarrieren heute nicht mehr von Talent und harter Arbeit, sondern von Algorithmen und Social-Media-Marketing abhängen. Diese neue Diktatur der Follower ist per se diskriminierend gegenüber etablierten Künstlern, deren Popularität auf realen Plattenverkäufen, ausverkauften Konzerten und einer tiefen, langjährigen Fanbindung basiert – Merkmale, die in den Hochburgen der digitalen Reichweiten-Ökonomie oft weniger zählen als ein viraler TikTok-Clip.
Die DDR-Stars, die in einer Zeit der Knappheit und des geschützten Marktes ihre Kunst entwickelten, basierten ihren Erfolg auf Substanz. Die Radio- und TV-Anstalten von heute scheinen jedoch nach anderen Regeln zu spielen. Sie suchen nach dem schnellen Hype, der jungen, digital vernetzten Zielgruppe und dem einfachen Quotengewinn, und lassen dabei eine reiche musikalische und kulturelle Geschichte kalt lächelnd links liegen.

Das kulturelle Erbe im Würgegriff
Die Tragödie, die Frank Schöbel hier benennt, geht über die persönliche Frustration einzelner Künstler hinaus. Es ist ein Konflikt um die Anerkennung eines kulturellen Erbes, das, obwohl es die Identität von Millionen Deutschen prägte, im gesamtdeutschen Diskurs oft nur als Nische oder als historisches Kuriosum behandelt wird. Die gezielte Ausgrenzung von Ost-Künstlern aus dem Programm der großen, oft öffentlich-rechtlich finanzierten Radiosender ist ein Affront gegen die Idee der kulturellen Vereinigung.
Es stellt sich die Frage: Warum wird ein Produkt wie Weihnachten in Familie, das nachweislich eine gigantische Hörerschaft hat, nicht in gleichem Maße berücksichtigt wie vergleichbare West-Produktionen? Die Antwort scheint im Unwillen zu liegen, die eigene Programmdramaturgie zu stören und eine Kulturgeschichte zu integrieren, die nicht in das einheitliche, marktwirtschaftlich optimierte Sendeschema passt. Die Radiosender, die sich als Spiegel der Gesellschaft verstehen sollten, entscheiden sich hier bewusst dafür, einen großen Teil der Gesellschaft und ihrer Geschichte zu ignorieren.
Die Worte Frank Schöbels sind ein verzweifelter, aber notwendiger Schrei nach Respekt. Sie fordern eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Rolle der ostdeutschen Kultur in der Bundesrepublik ein. Künstler wie Schöbel, Lippert, Freudenberg und Katrin & Peter haben die Bühne nie verlassen; es ist die Medienlandschaft, die sie systematisch aus dem Scheinwerferlicht gedrängt hat.
Die Vermutung, man warte nur darauf, dass diese Stars sterben, damit das vermeintlich unliebsame Erbe endgültig der Vergangenheit angehört, ist eine bittere Pille für alle, die in ihren Liedern ein Stück Heimat und Jugendliebe finden. Die Herausforderung an die Medien ist klar: Es ist höchste Zeit, kulturelle Verantwortung zu zeigen, die Ignoranz zu beenden und den Künstlern des Ostens den Platz in der deutschen Musikgeschichte einzuräumen, den sie sich durch jahrzehntelange Leistung und Beständigkeit hart erarbeitet haben. Ihre Musik ist lebendig, ihre Fans sind es auch – und sie verdienen es, gehört zu werden, solange ihre Stars noch auf der Bühne stehen. Diese Diskussion ist noch lange nicht tot, und Frank Schöbel hat mit seiner mutigen Anklage dafür gesorgt, dass sie lauter geführt wird als je zuvor. Die Frage ist nun, welche Sender den Mut haben, zuzuhören und ihr Programm zu ändern.