Für Generationen von Deutschen und Norwegern ist sie der Inbegriff des Sonnenscheins, die blonde Frohnatur aus Oslo, die mit einem “knallroten Gummiboot” in die Herzen von Millionen fuhr. Wencke Myhre: ein Name, der für unbeschwerte Fröhlichkeit, eingängige Melodien und ein strahlendes Lächeln steht. Doch hinter dieser sorgfältig gepflegten Fassade der ewigen Optimistin verbirgt sich ein Leben voller dramatischer Brüche, stiller Kämpfe und unvorstellbarer Schicksalsschläge. Es ist die Geschichte einer Frau, die oft die Sonne auf der Bühne sein konnte, nur um sich im Hotelzimmer der Dunkelheit zu stellen.
Die Frau, die wir zu kennen glaubten, ist weitaus komplexer, tiefer und unendlich viel stärker, als es ihre Schlager je vermuten ließen. Ihre Karriere ist ein Stück europäische Musikgeschichte, doch ihr Privatleben ist ein Zeugnis menschlicher Resilienz.

Der dunkelste Abgrund: Ein Verlust, der alles veränderte
Der vielleicht verheerendste Schlag traf Wencke Myhre im Jahr 1991. Es war ein Ereignis, das ihr Herz in Stücke riss und sie an den Rand der Verzweiflung brachte. Ihr zweiter Ehemann, der bekannte Regisseur und Produzent Michael Pfleger, mit dem sie eine Tochter hat, nahm sich das Leben.
Die Nachricht traf sie an einem grauen Morgen in Hamburg, völlig unvorbereitet. Der Boden wurde ihr unter den Füßen weggezogen. Obwohl ihre Ehe zu diesem Zeitpunkt bereits Geschichte war, verband sie ein tiefes, unsichtbares Band. Ihre Beziehung war intensiv gewesen, eine künstlerische, leidenschaftliche, aber auch destruktive Verbindung zweier kreativer Welten.
Sein Tod stürzte sie in eine tiefe Krise, geprägt von quälenden Fragen. Hätte sie es verhindern können? Hätte sie die Anzeichen sehen müssen? Monatelang zog sich Myhre aus der Öffentlichkeit zurück, unfähig zu sprechen, kaum fähig zu essen, oft nur in die Leere starrend. Sie mied die Öffentlichkeit, suchte Zuflucht in ihrem Landhaus in Norwegen. Es war eine Zeit, die nicht nur von Trauer, sondern auch von tiefen Schuldgefühlen geprägt war – dem Schuldgefühl, weiterzuleben, glücklich zu sein, zu singen.
Es war, wie so oft in ihrem Leben, die Musik, die ihr den Weg zurückwies. Als sie Monate später wieder auf die Bühne trat, war ihre Stimme reifer, ihre Präsenz intensiver. Ihre Fans spürten die Veränderung. Sie sang nicht mehr nur; sie fühlte. Dieser Verlust machte sie nachdenklicher, aber auch dankbarer für jeden bewussten Augenblick.
Der stille Kampf gegen den eigenen Körper
Der Tod von Michael Pfleger war nicht der einzige Dämon, dem sich Wencke Myhre stellen musste. Mitten in ihrer Karriere, als sie als unbesiegbare Königin des Nordens galt, traf sie Mitte der 2000er Jahre eine Diagnose, die ihr Leben erschütterte: Brustkrebs.
Für eine Frau, die immer Kraft und Optimismus verkörpert hatte, war es ein unbarmherziger Schock. Zunächst kämpfte sie im Stillen. Sie wollte niemanden beunruhigen, wollte stark sein für ihre Kinder und ihre Fans. “Ich wollte nicht, dass Mitleid mein Publikum ersetzt”, sagte sie später. Doch in den Nächten, wenn alles still war, kam die Angst.
Sie überstand Operationen, Chemotherapien und lange Klinikaufenthalte und kehrte zurück auf die Bühne. Doch der Krebs kam wieder, diesmal aggressiver. Jetzt entschied sie sich, den Kampf offen zu führen, ehrlich und verletzlich. “Ich habe aufgehört, mich zu verstecken”, erklärte sie und zeigte einer Öffentlichkeit, die sie nur strahlend kannte, ihre Angst und ihre Entschlossenheit.
Zu diesem gesundheitlichen Albtraum gesellten sich chronische Schmerzen in der Hüfte, die schließlich eine Operation unumgänglich machten. Wochenlang konnte sie kaum gehen. Freunde berichteten, sie habe geweint – nicht vor Schmerz, sondern aus Frustration. Es war die Angst, ihre Beweglichkeit, ihre Bühnenpräsenz, ihr “Ich” zu verlieren. Das Gefühl, dass ihr Körper, ihr treuester Begleiter, sie im Stich lässt.

Die Suche nach der wahren Liebe
Wencke Myhres Leben war auch eine ständige Suche nach Balance in der Liebe. Drei Ehen, vier Kinder – ihr Herz war stets leidenschaftlich, aber selten fand es Ruhe. Ihre erste Ehe mit dem dänischen Arzt Torben Fries-Møller scheiterte an der Jugend und den unvereinbaren Lebensstilen. Sie war auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, ständig unterwegs; er wünschte sich Ruhe.
Nach der tragischen Verbindung mit Michael Pfleger fand sie Sicherheit bei dem norwegischen Hotelmagnaten Arthur Buchard. Er war ihr “Fels in der Brandung”, ein Mann, der ihr Schutz und Sicherheit gab, besonders während ihrer ersten Krebserkrankung. Doch die Gegensätze waren zu groß: Sie die Künstlerin, er der rationale Geschäftsmann. “Wenke ist ein Orkan”, sagte er einmal. “Man kann sie nicht besitzen. Man kann sie nur lieben.”
Das Glück fand sie schließlich abseits des Rampenlichts. Seit über zwei Jahrzehnten lebt sie mit dem schwedischen Musiker und Dirigenten Anders Elias zusammen. Es ist keine laute, glitzernde Beziehung, sondern eine tiefe, ruhige Liebe, die aus Freundschaft und künstlerischer Seelenverwandtschaft erwuchs. “Mit Anders habe ich gelernt, was Frieden in einer Beziehung bedeutet”, sagt sie. Er war ihre Kraft, als sie nach der Hüftoperation keine mehr hatte. Er ist der Mann, bei dem sie nicht der Star, sondern “einfach Wenke” sein kann. Für sie ist die Liebe heute nicht mehr der Sturm, sondern der Hafen, in dem sie angekommen ist.

Das wahre Vermögen: Mehr als Geld und Gold
Nach über 60 Jahren im Showgeschäft ist Wencke Myhre unbestreitbar eine wohlhabende Frau. Ihr Vermögen wird auf 10 bis 15 Millionen Euro geschätzt. Doch wer glaubt, sie lebe im Protz und Luxus, irrt gewaltig. Wencke war nie jemand, der Erfolg an Geld maß.
Sie lebt bescheiden, fährt einen alten Volvo und ihr größter materieller Schatz ist ein altes Mikrofon aus den 1960er Jahren, ein Geschenk eines Fans. Ihr Reichtum liegt in ihrer Familie, ihren Enkeln und in der Musik. Sie spendet regelmäßig für die Krebsforschung und unterstützt junge Musiker. Gefragt, was Reichtum für sie bedeute, antwortet sie ohne Zögern: “Reichtum ist, morgens aufzuwachen ohne Angst und abends zu wissen, dass jemand an dich denkt.”
Heute, mit über 70 Jahren, trägt sie ihr Leben mit Stolz. Die Krankheit und die Schmerzen haben sie ruhiger, spiritueller gemacht. Sie hat gelernt, dass sie nicht unbesiegbar ist. Sie singt immer noch, ihre Stimme ist sanfter, aber ehrlicher als je zuvor.
Ihr Sohn, Danes Möller, fasste ihr Leben treffend zusammen: “Meine Mutter ist eine Überlebenskünstlerin. Sie hat die Dunkelheit gesehen und trotzdem Licht geschenkt.” Wencke Myhre ist nicht nur eine Legende des Schlagers. Sie ist ein Symbol für Stärke, für die unbändige Kraft, nach jedem Sturz wieder aufzustehen und trotz aller Brüche weiterzuleuchten. Sie hat den Krieg gewonnen, nicht auf der Bühne, sondern im Leben.