Es gibt Stimmen, die begleiten uns nicht nur für einen Sommer. Sie brennen sich in unser kollektives Gedächtnis ein, werden zum Soundtrack ganzer Generationen. Mary Roos ist eine solche Stimme. Doch wenn die heute 76-Jährige, die mit Hits wie „Arizona Man“ und „Aufrecht geh’n“ Musikgeschichte schrieb, zurückblickt, sieht sie nicht nur auf Goldene Schallplatten und ausverkaufte Konzerthallen. Sie sieht auf ein Leben zurück, das oft einem Drahtseilakt glich – zwischen dem gleißenden Rampenlicht und den tiefen Schatten, die es warf. Jetzt, im stillen Rückzug ihres Ruhestands, bricht die „Grande Dame“ des deutschen Schlagers ihr Schweigen. Was sie erzählt, ist keine glattgebügelte Star-Biografie. Es ist die rohe, ungeschminkte Bilanz einer Frau, die lächelte, während ihr Herz zerbrach.

Der schöne Schein und die dunklen Nächte
Jahrzehntelang war Mary Roos das strahlende Gesicht der deutschen Unterhaltung. Charmant, witzig, skandalfrei. Doch der Schein trügte. „Ich habe immer gedacht, dass man die Liebe singen kann“, gestand sie nun in einem bewegenden Rückblick. „Aber die wahre Liebe, die lebt man in den stillen Momenten, wenn keiner klatscht.“ Und genau diese Momente waren in ihrem Leben oft von schmerzhafter Stille geprägt.
Der wohl tiefste Riss in ihrer Biografie trägt den Namen Werner Böhm, besser bekannt als der Stimmungssänger Gottlieb Wendehals. Ihre Ehe in den 80er Jahren wurde von den Medien als Glamour-Verbindung gefeiert. Doch hinter den Kulissen spielte sich ein Drama ab, das Mary Roos fast zerbrochen hätte. Werner, das unruhige Genie, kämpfte mit Dämonen, Exzessen und Alkohol. Mary kämpfte um den Schein. „Ich war stark, weil ich keine andere Wahl hatte“, sagt sie heute. Ein Satz, der schwer wiegt. Sie hielt die Familie zusammen, schützte ihren gemeinsamen Sohn Julian, während sie selbst innerlich ausblutete. Julian, heute ihr engster Vertrauter, erinnert sich an Bilder, die einem das Herz zusammenschnüren: Seine Mutter, die nachts weinend am Fenster stand, leise, um ihn nicht zu wecken. Das Lächeln am nächsten Morgen? Eine Rüstung.
Der Zusammenbruch und die Wiedergeburt
Dass auch die stärkste Rüstung irgendwann Risse bekommt, musste Mary Roos im Jahr 2000 erfahren. Es war der Moment, der ihr Leben in ein „Davor“ und „Danach“ teilte. Mitten in den Vorbereitungen für eine Tournee, kurz nach dem Tod eines engen Freundes, versagte ihr Körper den Dienst. Kein Herzinfarkt, sondern ein Schrei der Seele. Als sie wenig später auf der Bühne stand, geschah das Unfassbare: Die Stimme war weg. Einfach fort. Für Sekunden herrschte Stille – nicht im Publikum, das nichts bemerkte, aber in ihr. „Etwas in ihr war zerbrochen“, heißt es.
Doch dieser Tiefpunkt wurde nicht zum Ende, sondern zum Anfang einer bemerkenswerten Metamorphose. Mary Roos zog sich zurück, wanderte wochenlang allein am Rhein entlang und begann zu schreiben. Nicht mehr die Texte, die andere von ihr erwarteten, sondern ihre eigenen, ehrlichen Gedanken. Das Ergebnis war eine Mary Roos, die verletzlich war, aber echt. „Man muss nicht laut singen, um gehört zu werden. Man muss nur wahrhaftig sein“, lautet ihre Erkenntnis aus dieser Zeit. Es war keine Rückkehr zum Ruhm um jeden Preis, sondern eine Rückkehr zu sich selbst.

Liebe, Verlust und das Lernen loszulassen
Ihre Geschichte ist auch eine Geschichte der gescheiterten Liebe. Nach der Scheidung von Böhm 1989 schwor sie sich, nie wieder zu heiraten. „Ich wollte nie mehr die Frau sein, die rettet“, resümiert sie bitter. Eine spätere Beziehung zu einem Hamburger Geschäftsmann scheiterte nicht an mangelnder Zuneigung, sondern an Marys Angst, sich erneut selbst aufzugeben. „Wenn du jemanden liebst, gibst du ein Stück deiner Seele, und manchmal bekommst du es nie zurück.“
Heute, mit 76, hat sich ihr Verständnis von Liebe gewandelt. Es ist kein loderndes Feuerwerk mehr, das alles verzehrt. Es ist ein ruhiges Licht. Ein alter Jugendfreund aus Bingen ist in ihr Leben getreten. Kein Prominenter, kein Skandal, sondern ein Mensch, mit dem sie schweigen kann. „Wir halten uns nicht fest. Wir gehen nebeneinander“, beschreibt sie dieses späte Glück. Es ist eine Liebe ohne Besitzansprüche, geprägt von der Weisheit des Alters.
Der Schmerz, der bleibt: Krankheit und Abschied
Trotz ihrer vitalen Ausstrahlung führt Mary Roos einen täglichen Kampf. Arthrose, eine schmerzhafte Gelenkerkrankung, plagt sie seit Jahren. „Die Bühne war mein Zuhause, aber heute spüre ich jeden Schritt, der dorthinführt“, gab sie offen zu. Es war auch dieser körperliche Schmerz, der sie 2019 dazu bewog, einen radikalen Schlussstrich zu ziehen. Sie beendete ihre Karriere selbstbestimmt – bevor das Schicksal es für sie entschied. „Ich wollte aufhören, solange ich noch tanzen kann. Nicht, wenn man mich hintragen muss.“
Der Ruhestand brachte ihr die Freiheit, aber auch die Konfrontation mit der Endlichkeit. Der Tod ihres Ex-Mannes Werner Böhm im Jahr 2020 traf sie, trotz allem, was vorgefallen war. „Er war ein Teil meines Lebens, und das bleibt er.“ Vergebung, so scheint es, ist ihre letzte große Lektion.

Millionärin ohne Allüren
Wer nun denkt, Mary Roos lebe in einer Welt aus Champagner und Luxus, irrt gewaltig. Zwar schätzen Branchenexperten ihr Vermögen auf 5 bis 7 Millionen Euro – hart erarbeitet in sechs Jahrzehnten Showgeschäft und klug investiert –, doch ihr Lebensstil ist von beinahe provozierender Bescheidenheit. Ihr Haus in Hamburg? Gemütlich, voller Bücher und Pflanzen, fernab von protzigem Glamour. Sie fährt keine teuren Sportwagen, trägt selten Designerstücke. „Ich brauche keinen Glamour mehr, ich brauche Wärme“, sagt sie.
Einen Teil ihres Vermögens gibt sie weiter. Tierschutzprojekte liegen ihr am Herzen, ebenso wie ein Förderfonds für junge Sängerinnen, den sie gründete. Sie weiß, wie hart der Weg nach oben ist. „Glück muss man teilen“, ist ihr Credo. Es ist diese Haltung, die sie von vielen ihrer Zunft unterscheidet. Sie hat den Reichtum nicht als Ziel gesehen, sondern als Mittel zur Freiheit.
Ein Vermächtnis der Menschlichkeit
Wenn Mary Roos heute auf ihrem Balkon sitzt und in den Sonnenuntergang blickt, ist da keine Bitterkeit. Da ist Dankbarkeit. „Ich hatte ein wildes Leben, und ich bin noch hier“, sagt sie und summt leise alte Melodien. Sie ist nicht mehr der Star, dem die Massen zujubeln. Sie ist einfach Mary. Eine Frau, die gefallen ist und immer wieder aufstand. Die lachte, wenn ihr zum Weinen war, und die heute weiß, dass Gesundheit kein Zustand, sondern ein Gefühl ist.
Ihr Sohn Julian sagt über sie: „Mama ist stark, aber sie braucht manchmal jemanden, der sie daran erinnert.“ Vielleicht ist genau das die Botschaft, die von Mary Roos bleibt: Dass wahre Stärke nicht bedeutet, unverwundbar zu sein. Sondern die Wunden zu zeigen und trotzdem weiter „aufrecht zu gehen“. Mary Roos hat aufgehört, nach der perfekten Liebe oder dem perfekten Leben zu suchen. Sie hat sich selbst gefunden. Und das ist vielleicht das größte Happy End, das man sich wünschen kann.