New York City, 11. Mai 1973. Es ist ein lauter, hektischer Frühlingstag in Manhattan. Der Asphalt der Lexington Avenue dampft in der Mittagssonne, während tausende Menschen geschäftig ihren Zielen entgegen eilen. Inmitten dieses anonymen Gewimmels geschieht eine Tragödie, die an Herzlosigkeit kaum zu überbieten ist. Ein hochgewachsener, gut aussehender Mann in einem maßgeschneiderten grauen Anzug greift sich plötzlich an die Brust und bricht zusammen.
Er schlägt hart auf dem Gehweg auf. Doch die Welt hält nicht an. Die Passanten, gefangen im Tunnelblick der Großstadt, würdigen ihn kaum eines Blickes. Manche machen einen Bogen um ihn, andere steigen achtlos über seinen regungslosen Körper hinweg, als wäre er Unrat oder ein bloßes Hindernis. In der gnadenlosen Hektik New Yorks urteilen sie schnell: Wahrscheinlich nur ein Betrunkener, der seinen Rausch ausschläft. Niemand beugt sich hinab. Niemand hält seine Hand.
Wären wir in diesem Moment in Berlin, München oder Hamburg gewesen, wäre die Welt stehen geblieben. Menschen hätten geweint, wären auf die Knie gefallen. Denn der Mann, der dort einsam auf dem kalten Stein stirbt, ist kein namenloser Landstreicher. Es ist Alexander Crichlow Barker Jr. – es ist Lex Barker. Für Millionen Deutsche war er Old Shatterhand, der edle Blutsbruder, der Inbegriff von Moral, Stärke und Unsterblichkeit. Doch hier, in seiner Heimatstadt, stirbt der Held unserer Kindheit einen Tod, der einsamer nicht sein könnte.
Doch um die ganze Tragweite dieses Moments zu begreifen, müssen wir die Uhr zurückdrehen. Genau 72 Stunden. Denn was nur drei Tage zuvor geschah, lässt uns heute noch erschaudern. Es wirkt, als hätte Lex Barker einen Blick in das Drehbuch seines eigenen Schicksals geworfen.

Die düstere Vorahnung am 54. Geburtstag
Wir schreiben den 8. Mai 1973. Lex Barker feiert seinen 54. Geburtstag. Äußerlich wirkt er noch immer wie der strahlende Filmstar, braungebrannt und charismatisch. Er verbringt den Abend mit seiner Verlobten, der Schauspielerin Karen Kondazian. Sie entscheiden sich für einen Kinobesuch. Der Film der Wahl: Der letzte Tango in Paris, das skandalumwitterte Meisterwerk mit Marlon Brando.
Im Dunkeln des Kinosaals, die Hand seiner Geliebten fest umklammert, fixiert Lex die Leinwand. Dann kommt die Schlüsselszene am Ende. Die von Brando gespielte Figur, verzweifelt und einsam, blickt noch einmal wehmütig in die Welt, bevor sie stirbt. In diesem Moment geschieht etwas mit Lex. Er wirkt wie hypnotisiert, als würde er in einen Spiegel seiner eigenen Seele blicken.
Später, als das Paar durch die kühlen nächtlichen Straßen von Manhattan spaziert, bricht Lex das Schweigen. Seine Stimme ist leise, fast melancholisch, als er sich zu Karen dreht. „Hast du gesehen, wie Brando im Film gestorben ist?“, fragt er. Und dann spricht er jene Worte aus, die wie ein Echo aus dem Jenseits klingen: „Genauso will ich auch gehen. Ich will schnell sterben. Ohne Schmerzen. Kein Krankenhaus, keine Schläuche. Einfach mitten im Leben umfallen.“
Es war nur ein flüchtiger Gedanke, ausgesprochen an einem Geburtstag. Doch das Schicksal nahm ihn beim Wort. Lex ahnte nicht, dass seine Lebensuhr bereits abgelaufen war und ihm genau dieser Wunsch – so gnädig er klang, so grausam er in seiner Plötzlichkeit war – nur drei Tage später erfüllt werden würde.
Der Aristokrat, der verstoßen wurde
Um den Schmerz zu verstehen, der Lex Barker sein Leben lang begleitete, müssen wir hinter die Maske des Helden blicken. Wer war dieser Mann wirklich? Wenn wir an ihn denken, sehen wir den wilden Tarzan oder den staubigen Westmann in der Prärie. Doch die Realität könnte gegensätzlicher nicht sein. Lex Barker wurde nicht für den Dschungel geboren, er wurde für die High Society gezüchtet.
Als direkter Nachfahre von Roger Williams, dem Gründer von Rhode Island, floss blaues Blut durch seine Adern. Sein Weg war vorbestimmt: Princeton-Studium, Ingenieurswesen, das Erbe eines Millionenvermögens antreten. Er sollte in Villen residieren und Befehle erteilen. Doch Lex’ Herz schlug nicht für Macht und Geld, es schlug für die Kunst.
Als er das Studium abbrach, um Schauspieler zu werden, löste er keinen simplen Familienstreit aus – er entfesselte einen Krieg. Sein Vater, ein wohlhabender und eiskalter Bauunternehmer, sah darin einen unverzeihlichen Verrat an der Familienehre. Die Reaktion war von einer Härte, die uns heute fassungslos macht: Er enterbte seinen Sohn nicht nur, er strich ihn aus dem Stammbaum. Er erklärte Lex für tot, solange er noch atmete. Der junge Aristokrat, der in Seide hätte schlafen können, stand plötzlich mittellos auf der Straße, musste als Tellerwäscher und Stahlarbeiter schuften, um zu überleben.
Vielleicht war es genau dieser Bruch, der Lex jene tiefe, verborgene Traurigkeit in den Blick legte, die ihn später als Old Shatterhand so unvergesslich machte. Es war der Blick eines Mannes, der die Welt retten konnte, aber die Liebe seines eigenen Vaters niemals zurückgewann.

Die fünf Wunden des Lex Barker
Während Lex Barker auf dem Gehweg der Lexington Avenue starb, lief sein Leben vermutlich wie ein letzter Film vor seinem inneren Auge ab. Doch es war kein Happy End. Es war die Bilanz eines Mannes, der fünf tiefe seelische Wunden mit sich trug, die niemals verheilten.
1. Das Schweigen des Vaters: Selbst als Lex in Europa zum Superstar aufstieg, als ihm Millionen zujubelten, blieb das Telefon aus dem Elternhaus stumm. Er hatte Ruhm und Geld gewonnen, aber den einzigen Kampf verloren, der ihm etwas bedeutete. Er wartete ein Leben lang auf ein einziges Wort des Stolzes. Es kam nie. Er starb als der verlorene Sohn.
2. Der Verrat Hollywoods: Die Traumfabrik hatte ihn erst hochgejubelt, um ihn dann fallen zu lassen. Nach dem Zerbrechen seiner Ehe mit Lana Turner und den damit verbundenen Skandalen schlossen sich in Los Angeles alle Türen. Die “Freunde” kannten ihn nicht mehr. Dieser Verrat trieb ihn ins Exil nach Europa. Deutschland schenkte ihm zwar eine neue Krone, doch der Schmerz über die Vertreibung aus der Heimat saß tief.
3. Die Maske des Helden: Die Industrie sah in ihm nur ein Produkt. Den perfekten Körper, das strahlende Lächeln. Aber Lex wollte ein echter Charakterdarsteller sein, wollte Schwäche und Tränen zeigen. Doch man zwang ihn, immer der Fels in der Brandung zu sein. Er war ein Gefangener seines eigenen Ruhms, verdammt dazu, den Unbesiegbaren zu spielen, während er innerlich zerbrach.
4. Die vergebliche Suche nach Liebe: Fünfmal stand er vor dem Traualtar, fünfmal hoffte er, endlich anzukommen. Doch hinter dem Glamour der Hochzeiten verbargen sich oft Ausbeutung und Enttäuschung. Die Frauen liebten den Star, aber sie verstanden selten den sensiblen Mann dahinter. Er gab sein Herz, doch es wurde oft nur benutzt.
5. Die absolute Einsamkeit: Dies war die vielleicht grausamste Wunde. Er war der “Blutsbruder” einer ganzen Nation, der beste Freund, den man sich wünschen konnte. Doch in Wahrheit ging er seinen Weg allein. Inmitten des Applauses fühlte er sich isoliert. Und ironischerweise führte ihn sein Schicksal genau zu jenem letzten, ultimativen Beweis dieser Einsamkeit: Mitten in New York, umgeben von Millionen, war niemand da, um ihn aufzufangen.
Ein Licht in der Dunkelheit
Es gab jedoch ein Licht in diesen dunklen Jahren. Eine Begegnung, die echt war: die Freundschaft zu Pierre Brice. In der rauen Landschaft Jugoslawiens, fernab vom künstlichen Hollywood, fanden zwei Männer zueinander. Der zurückhaltende Franzose und der verstoße amerikanische Aristokrat. Wenn sie abends am Lagerfeuer saßen, fielen die Masken. Pierre Brice war vielleicht der einzige Mensch, der hinter die stahlblaue Fassade blicken durfte. Er sah den verletzlichen Mann, der Angst vor dem Alter hatte und sich nur Frieden wünschte. Wenn Lex sagte, Pierre sei sein Bruder, dann meinte er das mit jeder Faser seines Herzens.
Der letzte Vorhang
Als die Nachricht von seinem Tod über den Ozean nach Deutschland gelangte, stand ein ganzes Land unter Schock. Es fühlte sich an, als hätte jede Familie einen Verwandten verloren. Zeitungen trugen Trauerrand. Doch niemand trauerte tiefer als Pierre Brice. “Mit Lex ist auch ein Teil von mir gestorben”, sagte er später. Der edle Häuptling hatte seinen weißen Bruder verloren, und die Welt war ein Stück kälter geworden.
Lex Barker suchte sein Leben lang nach einem Zuhause. Er fand es nicht in den Villen von Beverly Hills und nicht bei seinem Vater. Sein wahres Zuhause waren wir – die Herzen der Zuschauer. Hier war er kein gescheiterter Sohn, sondern ein Held, der bedingungslos geliebt wurde.
Vielleicht hat er am Ende, in jener Sekunde auf dem Asphalt von New York, doch seinen Frieden gefunden. Wenn wir heute die Augen schließen, sehen wir ihn noch einmal: Aufrecht im Sattel, mit diesem melancholischen, warmen Lächeln. Dann wendet er sich ab und reitet langsam in den Sonnenuntergang, hinein in die ewigen Jagdgründe, wo keine Wunden mehr schmerzen und er endlich frei ist.