Es ist ein Bild, das für die aktuelle Stimmung in Deutschland symbolisch sein könnte: Eine prominente Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Jessy Wellmer von den ARD-Tagesthemen, reist in den “tiefen Osten”, um die Stimmung im Land einzufangen. Das Ziel: Dorfchemnitz in Sachsen. Der Anlass: Die AfD hat hier ein Rekordergebnis eingefahren. Die unausgesprochene Mission, so scheint es, ist es, den Rest der Republik zu zeigen, was “falsch” läuft in diesen Regionen, die sich der Berliner Moral-Erzählung so hartnäckig verweigern.
Doch die Reise wird zum Bumerang. Wellmer erlebt ihr “blaues Wunder”, eine unbeabsichtigte Offenbarung, die mehr über den Zustand unserer Medien und unserer Demokratie aussagt als tausend Leitartikel. Die Reportage, mutmaßlich sorgfältig geschnitten und gelenkt, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen, scheitert an der ungeschminkten Realität – und an einem Mann, der sich weigert, das ihm zugedachte Drehbuch mitzuspielen.

Im Zentrum dieser Konfrontation steht Thomas Schurich, der parteilose Bürgermeister von Dorfchemnitz. Er ist kein Ideologe, kein Lautsprecher, sondern ein Pragmatiker, der mit beiden Beinen auf dem Boden seiner Gemeinde steht. Jessy Wellmer beginnt das Gespräch mit der erwartbaren Konfrontation: Die AfD, ein Rekordergebnis. Wie er dazu stehe? Ihre Waffe ist bereits geladen: die Einstufung der sächsischen AfD als “gesichert rechtsextremistisch” durch den Verfassungsschutz. Es ist die moralische Keule, die in keiner Diskussion fehlen darf, das Instrument, das den Gesprächspartner sofort in die Defensive zwingen soll.
Doch Bürgermeister Schurich spielt nicht mit. Er antwortet mit einer entwaffnenden Ruhe: “Ich habe jetzt kein Problem damit.” Er weigert sich, seine Bürger – fast 50 Prozent der Wähler – in die extremistische Ecke zu stellen. Er erklärt, dass er mit diesen Leuten zwangsläufig arbeiten müsse und “null Probleme” habe, mit ihnen zu reden.
Wellmer lässt nicht locker. Sie insistiert: Aber es sei doch eine gesichert rechtsextremistische Partei. Wie könne er das als Bürgermeister ignorieren? Sie versucht, ihm die Verantwortung für die Moral des Landes aufzubürden. Hier offenbart sich der erste tiefe Graben: der zwischen der moralischen Welt der medialen Elite und der praktischen Realität eines Kommunalpolitikers.
Schurichs Antwort ist ein Plädoyer für den Dialog und eine Absage an die “Ausgrenzung”, die von Berlin aus gepredigt wird. Er sagt, wenn man alle Menschen in einer Partei über einen Kamm schere, betreibe man Ausgrenzung. Und: “Wenn man dann am Ende durch die Ausgrenzung nicht mehr miteinander redet, wird sich dort nichts ändern und nichts besser.” Er macht deutlich, dass er nicht als Bürgermeister dastehen und AfD-Gemeinderäte als “Faschisten” beschimpfen werde. Für ihn zähle, was für die Gemeinde herauskomme.
Dann folgt der Moment, der die gesamte ARD-Reportage implodieren lässt. Es ist der Moment, in dem der Pragmatiker aus der Provinz die ganze Heuchelei des Systems mit einer einfachen, logischen Frage entlarvt. Angesichts von Wellmers wiederholter Berufung auf den Verfassungsschutz und die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der Partei, sagt Schurich einen Satz, der in den sozialen Medien millionenfach widerhallen sollte:
“Wenn das alles so ist, wie Sie es gerade gesagt haben, verstehe ich eins nicht: Warum ist die Partei noch auf dem Wahlzettel?”
Dieser Satz ist eine logische Bombe. Er trifft den Kern der deutschen Demokratiekrise. Schurich legt den Finger in die Wunde eines Systems, das mit zweierlei Maß misst. Er fährt fort: “Wenn jemand auf dem Wahlzettel ist, ist er für mich demokratisch wählbar.” Und dann schiebt er die Verantwortung dorthin zurück, wo sie hingehört – zum Staat selbst: “Und wenn der Staat oder der Verfassungsschutz denkt, dass es nicht so ist, dann müssen sie halt die Partei verbieten.”

Seine Schlussfolgerung ist für das Berliner Establishment verheerend: Die Tatsache, dass der Staat die Partei eben nicht verbietet, beweise ihm, “dass es so schlimm nicht sein kann.”
Damit ist alles gesagt. Der Bürgermeister von Dorfchemnitz hat in drei Sätzen das “Brandmauer”-Paradoxon auf den Punkt gebracht. Er entlarvt die Doppelmoral eines Staates, der eine Partei einerseits als “gesichert extremistisch” brandmarkt, um sie moralisch zu delegitimieren und ihre Wähler zu Bürgern zweiter Klasse zu erklären, aber andererseits politisch zu feige oder juristisch unfähig ist, die Konsequenzen zu ziehen und ein Verbot anzustrengen. Schurich entlarvt den Verfassungsschutz als das, was viele Bürger längst vermuten: ein politisches Instrument zur Bekämpfung der Opposition, kein neutraler Schiedsrichter.
Der Bürgermeister warnt eindringlich davor, 25 Prozent der Wähler einfach in eine Ecke zu schieben und zu “Buhmännern” zu erklären. Sein Schlusssatz ist eine Mahnung, die ernster nicht sein könnte: “Wenn wir aufhören miteinander zu reden, dann ist die Demokratie vorbei.”
Die Reportage versucht, den Schaden zu begrenzen, indem sie zu anderen Bürgern schwenkt, doch auch hier gelingt es nicht, das gewünschte Narrativ zu stützen. Die Wut und das Misstrauen sind mit Händen zu greifen. Ein Mann erklärt Wellmer rundheraus: “Wir haben keine Demokratie.” Auf die Nachfrage, warum, antwortet er, was Millionen im Land fühlen: “Wenn jemand eine andere Meinung als die der Staatsmedien vertritt, ist er ein Nazi, ist er ein Querdenker.”
Ein anderer Bürger macht die Wende in der Meinungsfreiheit an einem konkreten Punkt fest: “Seit Corona fing der ganze Mist an.” Erst Corona, dann der Krieg – die Regierung, so der Vorwurf, finde immer neue Ausreden für den Niedergang des Landes. Die Regierung tue nichts für die Bürger: “Sie beutet sie aus bis zum letzter Tropfen noch.”
Was Jessy Wellmer und ihr Team hier eingefangen haben, ist nicht, wie von ihnen mutmaßlich beabsichtigt, ein Porträt verbohrter Extremisten. Sie haben unbeabsichtigt ein Zeugnis über den kompletten Vertrauensverlust abgeliefert. Die Reportage ist ein Bumerang, der mit voller Wucht auf den Absender zurückfliegt. Sie beweist, wie tief die Kluft zwischen der medial-politischen Blase in der Hauptstadt und der Lebensrealität der Bevölkerung geworden ist.
Die Menschen im Osten, aber längst auch im Westen, lassen sich nicht mehr von oben herab belehren, beschämen und in Schubladen pressen. Sie haben die Nase voll von einer Berichterstattung, die sie als dumm oder böse darstellt, nur weil sie eine andere politische Wahl treffen.
Der Bürgermeister Thomas Schurich ist für einen Moment zum Sprecher dieser schweigenden, aber wütenden Mehrheit geworden. Er hat die Arroganz der “Haltungsjournalisten” mit einfachem, gesundem Menschenverstand und pragmatischer Logik ausgehebelt. Er hat gezeigt, dass die Realität in den Kommunen nichts mit den ideologischen Grabenkämpfen Berlins zu tun hat.
Die ARD wollte zeigen, wie die Stimmung im Land ist. Sie hat gezeigt, warum die Stimmung im Land so ist, wie sie ist. Sie hat das tiefe Misstrauen gegen die Medien und die Politik unfreiwillig selbst dokumentiert. Die Frage des Bürgermeisters – “Warum ist die Partei noch auf dem Wahlzettel?” – bleibt als die zentrale, unbeantwortete Frage im Raum stehen, eine Frage, die das gesamte politische Establishment Deutschlands in Erklärungsnot bringt.