Es ist ein Bild, das die aktuelle politische Spannung in Deutschland präziser kaum einfangen könnte: Auf der einen Seite steht CDU-Chef Friedrich Merz, der mit aller Macht eine “Brandmauer” zur AfD hochzieht und diese sogar noch “verschärfen” will. Auf der anderen Seite sitzt Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der AfD, in einem Interview und tut genau das, was die Architekten dieser Mauer am meisten fürchten: Er ignoriert sie nicht nur, er lacht sie aus.
In einem kürzlich geführten Interview, das tiefe Einblicke in das Selbstverständnis der AfD gewährt, bezeichnete Brandner den Abgrenzungskurs von Merz als “wirklich kleinteilig und spießig”. Es ist eine Wortwahl, die bewusst darauf abzielt, den Oppositionsführer der Union als gestrig und realitätsfern darzustellen. Während Merz den Hauptgegner in der AfD sieht, kontert Brandner trocken: “Unser Hauptgegner ist die schlechte wirtschaftliche, die schlechte politische Lage in Deutschland”.

Dies ist mehr als nur ein rhetorischer Kniff. Es ist die Kernaussage einer Partei, die sich im Aufwind sieht und glaubt, die Deutungshoheit über die Probleme des Landes bereits errungen zu haben. Brandners Botschaft ist klar: Während die CDU sich mit sich selbst und der AfD beschäftigt, kümmert sich die AfD um das, was die Bürger wirklich bewegt. Er fordert alle, “die halbwegs bei Vernunft sind”, dazu auf, sich “unterzuhaken”, um “den Absturz unseres Landes zu bremsen”. Das implizite Angebot: Die AfD ist die einzige Partei der Vernunft, die bereit ist, Deutschland “voranzubringen”.
Die “Brandmauer”, dieses Symbol der bürgerlichen Abgrenzung, sei laut Brandner ohnehin nur noch ein Hirngespinst. “Die Brandmauer existiert jetzt noch in merzischen Kopf”, spottet er. Während sie im Bundestag noch Bestand habe, beginne sie auf Landesebene bereits zu “bröseln”. Auf kommunaler Ebene, so Brandner, sei “davon so gut wie gar nichts mehr zu spüren”. Ob diese Einschätzung der Realität entspricht oder reines Wunschdenken ist, sei dahingestellt. Die Wirkung dieser Aussage ist jedoch unbestreitbar: Sie signalisiert Stärke und die Gewissheit, dass die Zeit für die AfD spielt. Brandner geht sogar noch einen Schritt weiter und diktiert der CDU die Bedingungen: “Wenn der CDU auch was daran liegt, in Deutschland irgendwas verändern zu wollen, dann geht das nur mit uns”.
Doch das Interview kratzt nicht nur an der Oberfläche der politischen Strategie. Es taucht tief ein in zwei der wundesten Punkte der deutschen Innenpolitik: Rente und Wehrpflicht. In beiden Bereichen inszeniert sich die AfD als die Partei, die schon immer die richtigen Lösungen parat hatte, aber ignoriert wurde.
Zur Zukunft der Rente, einem Thema, das Millionen Menschen umtreibt, präsentiert Brandner vermeintlich einfache Lösungen. Er behauptet, die Probleme gäbe es gar nicht, “wenn der AfD gefolgt worden wäre”. Sein Konzept: Die “Beitragszahler Basis” müsse verbreitert werden. Konkret fordert er, dass auch Abgeordnete in die Rentenkasse einzahlen sollen. Der entscheidende Hebel sei jedoch die Streichung der “versicherungsfremden Leistungen”. Dies sind Aufgaben, die der Staat aus der Rentenkasse finanziert, obwohl sie gesamtgesellschaftliche Aufgaben und eigentlich steuerfinanziert sein müssten.
Laut Brandners Rentenexperten würde allein diese Maßnahme dazu führen, “dass die Renten bei 10, 12 % plus etwa landen”. Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt und die von der Interviewerin zu Recht als “auf die schnelle natürlich nicht gegenchecken” kommentiert wird. Doch darum geht es der AfD in diesem Moment nicht. Es geht um das Senden einer kraftvollen Botschaft: Die AfD hat einen Plan, der den Bürgern direktes Geld bringt, während die anderen Parteien das System verwalten. Die Plausibilität steht an zweiter Stelle hinter der emotionalen Wucht der Ankündigung.
Ähnlich kompromisslos zeigt sich Brandner beim Thema Wehrpflicht. Auch hier die bekannte Rhetorik: “Das wäre mit uns gar kein Problem gewesen, weil die Wehrpflicht mit uns niemals ausgesetzt worden wäre”. Er, Brandner, sei damals unter anderem deswegen aus der CDU ausgetreten. Wieder wird die AfD als die Partei der Voraussicht positioniert, die gegen den “kurzsichtigen” Mainstream stand.

Brandner vermeidet ein sofortiges Ja zur Wiedereinführung. Er fordert Transparenz, einen “richtigen Einblick” in die Bundeswehr und einen “Kassensturz”. Die AfD sei von allen Kontrollgremien und der Verteilung des 100-Milliarden-Sondervermögens ausgeschlossen und könne daher die Lage nicht seriös beurteilen. Doch die entscheidende Botschaft folgt im Nebensatz. Sollte man zu der Überzeugung kommen, dass eine Wehrpflicht hermuss, gibt es für die AfD eine rote Linie: “Dann ist ganz eindeutig, dass Wehrpflichtige keinesfalls im Ausland eingesetzt werden”.
Diese Aussage ist von erheblicher politischer Sprengkraft. Sie rüttelt an den Grundfesten der deutschen Bündnisverpflichtungen innerhalb der NATO und der EU. Sie bedient gezielt die Sorge vieler Bürger, dass ihre Kinder in fremden Konflikten eingesetzt werden könnten. Es ist eine Position, die in Teilen der Bevölkerung auf tiefes Verständnis trifft und die AfD als Friedenswahrer positioniert, während andere Parteien als kriegstreiberisch dargestellt werden.
Das Interview wäre jedoch nicht vollständig ohne die direkte Konfrontation. Die Reporterin zitiert den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der AfD-Mitglieder kürzlich als “intellektuelle Flachwurzler” bezeichnet hatte. Man könnte eine defensive Reaktion erwarten, eine Rechtfertigung. Doch Brandner tut das Gegenteil. Er geht zum Gegenangriff über.
“Das war dieser Herr zu Guttenberg, der den Doktortitel verloren hat, weil er abgeschrieben hat, oder?”, fragt Brandner rhetorisch. Ein gezielter Hieb gegen die persönliche Integrität des Kritikers. Brandner weist den Vorwurf der “Flachwurzler” pauschal zurück und preist das “hochqualifizierte Personal” der AfD. Er stellt die AfD als Leistungspartei dar: “Bei uns gibt es keine Parteikarrieristen, die einfach nur darauf warten seit Jahrzehnten, irgendwo mal Pöstchen abzugreifen”. Er schließt mit einer Spitze, die AfD habe weniger Politiker, die “den Doktortitel wegen Plagiatsvorwürfen verloren haben” als andere Parteien, “insbesondere dann zu Guttenberg”.
Diese Sequenz ist ein Lehrstück in der Kommunikationsstrategie der AfD: Nie verteidigen, immer angreifen. Diskreditiere den Kritiker, bevor du dich mit der Kritik auseinandersetzt. Es ist eine aggressive, konfrontative Haltung, die in der polarisierten Medienlandschaft auf Resonanz stößt.

Das Interview mit Stephan Brandner ist mehr als nur eine Momentaufnahme. Es ist eine Demonstration des neuen Selbstbewusstseins der AfD. Die Partei sieht sich nicht mehr als Jäger, sondern als Getriebener, der bald selbst die Richtung vorgeben wird. Die “Brandmauer” der CDU wird nicht als Hinderinis, sondern als “spießiges” Relikt einer vergangenen politischen Epoche abgetan, das von der Realität – und den Umfragewerten – längst überholt wurde. Brandners Auftritt ist eine klare Ansage: Die Zeit des Abgrenzens ist vorbei. Aus Sicht der AfD hat die Zeit des Verhandelns begonnen – und zwar zu ihren Bedingungen.