Das 60-Tage-Urteil: Chinas neue Eskalation im Südchinesischen Meer droht, einen globalen Konflikt zu entfesseln

Das Südchinesische Meer, eine der pulsierenden Hauptschlagadern des Welthandels, hält den Atem an. Es ist ein Ort von strategischer Bedeutung, durch den jährlich Billionen von Dollar an Waren transportiert werden. Doch diese lebenswichtige Wasserstraße ist jetzt zum Epizentrum einer Krise geworden, die das Potenzial hat, weit über die regionalen Grenzen hinaus zu eskalieren. Der Grund: Eine neue, drakonische Verordnung aus Peking, die die Spielregeln im maritimen Kräftemessen dramatisch verschärft.

Ab dem 15. Juni tritt Chinas “Regulation Nr. 3” in Kraft. Auf dem Papier klingt es wie trockenes Verwaltungsrecht. In der Realität ist es eine feurige Provokation. Diese Regel ermächtigt die chinesische Küstenwache, ausländische Staatsangehörige, die des “illegalen Eindringens” in die von China beanspruchten Gewässer beschuldigt werden, ohne Gerichtsverfahren für bis zu 60 Tage festzuhalten.

Diese Ankündigung ist nicht nur eine bürokratische Formalität; sie ist eine gezielte Drohung. Sie ist eine Machtdemonstration, die vor allem auf einen Nachbarn abzielt: die Philippinen.

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Eine “abscheuliche” Provokation

Die Reaktion aus Manila ließ nicht lange auf sich warten. Der philippinische Präsident Ferdinand Marcos Jr., der seit seinem Amtsantritt einen deutlich härteren Kurs gegen Chinas Expansionismus fährt als sein Vorgänger, nannte die neue Regelung “abscheulich” und “inakzeptabel”. Er verurteilte sie als eine gefährliche Eskalation und einen klaren Verstoß gegen das Völkerrecht.

Für die Philippinen ist dies kein abstraktes geopolitisches Schachspiel. Es ist eine existenzielle Bedrohung für ihre Souveränität und die Lebensgrundlage ihrer Bürger. Philippinische Fischer, die seit Generationen in diesen Gewässern fischen, sehen sich nun der Gefahr ausgesetzt, von einer fremden Macht als Kriminelle gebrandmarkt und entführt zu werden.

Die neue Regelung ist der jüngste und aggressivste Schritt in einer langen Reihe von Einschüchterungsversuchen Pekings. China beansprucht, basierend auf seiner vage definierten “Neun-Striche-Linie”, fast 90 Prozent des Südchinesischen Meeres als sein historisches Territorium. Dieser Anspruch, der sich wie ein U über die Landkarten legt, überschneidet sich mit den ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der Philippinen, Vietnams, Malaysias, Bruneis und Taiwans.

Im Zentrum dieses Konflikts steht ein bizarrer und doch symbolträchtiger Ort: das Second Thomas Shoal, von den Philippinen Ayungin Shoal genannt.

Das rostige Symbol des Widerstands

Das Ayungin Shoal liegt deutlich innerhalb der 200-Seemeilen-AWZ der Philippinen. Um diesen Anspruch physisch zu untermauern, ließ die philippinische Marine 1999 ein altes Kriegsschiff aus dem Zweiten Weltkrieg, die BRP Sierra Madre, absichtlich auf dem Riff auf Grund laufen.

Heute ist die Sierra Madre ein verrostender, zerfallender Haufen Metall, der eher an ein postapokalyptisches Wrack als an einen Militärposten erinnert. Doch für die Philippinen ist es ein Symbol des nationalen Stolzes und des Trotzes. Eine kleine Besatzung von Marinesoldaten lebt dort unter prekären Bedingungen, eine menschliche Flagge im Angesicht eines übermächtigen Nachbarn.

Für China ist dieses rostige Schiff ein Dorn im Auge. Pekings Strategie ist es, die Versorgung dieser Besatzung zu unterbinden – eine Taktik des Aushungerns. Die chinesische Küstenwache und ihre maritime Miliz – eine Flotte von Trawlern, die mehr Politik als Fischerei betreiben – blockieren regelmäßig philippinische Versorgungsschiffe.

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Die Welt hat die Bilder gesehen: Massive chinesische Schiffe, die kleine philippinische Holzboote mit Wasserwerfern beschießen, sie rammen, ihre Manöver gefährlich kreuzen und Laser einsetzen, um die Besatzungen zu blenden. Dies sind keine vereinzelten Zwischenfälle; es ist eine koordinierte “Grauzonen”-Taktik. Diese Taktiken sind bewusst unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs angesiedelt, um eine militärische Reaktion der Philippinen oder ihrer Verbündeten zu vermeiden.

Mit der neuen 60-Tage-Haftregel ändert sich das Spiel. China signalisiert, dass es von der Belästigung zur Inhaftierung übergehen wird. Es ist der Übergang von einer Blockade zu einer Politik der Geiselnahme auf See.

Das Gesetz ist auf Manilas Seite

Die Ironie dieses Konflikts liegt in seiner rechtlichen Klarheit. Im Jahr 2013 zogen die Philippinen China vor den Ständigen Schiedshof in Den Haag. In einem historischen Urteil von 2016 fegte das Tribunal Chinas “Neun-Striche-Linie” vom Tisch. Das Gericht entschied, dass Chinas “historische Ansprüche” keinerlei rechtliche Grundlage haben und dass seine Aktionen die Souveränität der Philippinen verletzen.

Für China war das Urteil nicht mehr als ein “Stück Altpapier”. Peking weigert sich bis heute, die Entscheidung anzuerkennen, und setzt stattdessen auf das “Recht des Stärkeren”.

Diese Missachtung des Völkerrechts hat die Philippinen in eine schwierige Lage gebracht. Wie kann ein “David” gegen einen “Goliath” bestehen, der die Regeln ignoriert? Die Antwort liegt in der internationalen Diplomatie und, was noch wichtiger ist, in der Anwesenheit eines anderen Goliaths.

Der amerikanische Faktor: Eine rote Linie im Sand

Die Vereinigten Staaten haben den Konflikt lange Zeit mit wachsender Besorgnis beobachtet. Unter der Regierung von Präsident Marcos Jr. haben sich die Beziehungen zwischen Manila und Washington dramatisch verbessert. Die Philippinen sind Amerikas ältester Vertragspartner in Asien, verbunden durch den Mutual Defense Treaty (MDT) von 1951.

Lange Zeit war unklar, ob dieser Vertrag auch Angriffe auf die philippinische Küstenwache oder zivile Schiffe in der Grauzone abdecken würde. Die USA haben diese Unklarheit beseitigt.

Admiral John Paparo, der neue Chef des US-Indo-Pazifik-Kommandos, erklärte kürzlich unmissverständlich, dass die BRP Sierra Madre als eine aktive militärische Einrichtung der Philippinen gilt. Ein “bewaffneter Angriff” auf die philippinischen Streitkräfte, die Küstenwache oder ihre Schiffe – einschließlich der Sierra Madre – würde den gegenseitigen Verteidigungsvertrag auslösen.

Dies ist die rote Linie. Chinas neue Verordnung, die Festnahmen erlaubt, tanzt gefährlich nahe an dieser Linie. Was passiert, wenn die chinesische Küstenwache versucht, ein philippinisches Versorgungsschiff zu entern oder Marinesoldaten festzunehmen? Was passiert, wenn Schüsse fallen?

Die chinesische Drohung lautet: “Wir werden jeden Verstoß stoppen.” Die amerikanische Antwort lautet: “Wir stehen zu unseren Verbündeten.” In dieser Konfrontation liegt der Zündstoff für einen Krieg zwischen den beiden größten Militär- und Wirtschaftsmächten der Welt.

China's territorial claims illegal, deceptive: U.S. Indo-Pacific chief - Nikkei Asia

Ein Pulverfass mit globalen Folgen

Warum sollte sich ein Leser in Europa für ein verrostetes Schiff und ein paar umstrittene Riffe in Asien interessieren? Weil das Südchinesische Meer keine lokale Angelegenheit ist.

Ein Drittel des weltweiten Seehandels passiert diese Gewässer. Ein Konflikt, der diese Routen sperrt, würde die globalen Lieferketten sofort zerreißen. Die Energieversorgung für Wirtschaftsmächte wie Japan und Südkorea hängt von dieser Route ab. Die globalen wirtschaftlichen Auswirkungen wären katastrophal und würden die Störungen durch die Pandemie oder den Krieg in der Ukraine weit in den Schatten stellen.

Darüber hinaus ist dies ein Testfall für die zukünftige Weltordnung. Wird das 21. Jahrhundert vom Völkerrecht und der Souveränität von Nationen geprägt sein, oder wird es von unilateralen Machtansprüchen und der Herrschaft der Stärke dominiert?

Die neue chinesische Verordnung ist mehr als nur eine administrative Maßnahme. Sie ist ein Lackmustest für die Entschlossenheit der Philippinen und die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten.

Die Welt blickt auf den 15. Juni

Während der Stichtag näher rückt, ist die Atmosphäre im Südchinesischen Meer elektrisch geladen. Philippinische Aktivisten und Fischergruppen haben bereits angekündigt, dass sie sich nicht einschüchtern lassen und ihre Rechte in ihrer eigenen Wirtschaftszone weiter wahrnehmen werden. Sie planen, die chinesische Blockade zu testen.

China wiederum kann es sich kaum leisten, seine eigene, groß angekündigte Regelung nicht durchzusetzen, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Die Welt beobachtet ein gefährliches “Chicken Game” auf hoher See. Jede Seite wartet darauf, dass die andere zuerst blinzelt. Doch wenn niemand blinzelt, ist eine Kollision unvermeidlich. Die neue Regel Pekings, die 60 Tage Haft ohne Prozess erlaubt, hat den Einsatz dramatisch erhöht. Sie hat das Pulverfass Südchinesisches Meer einer offenen Flamme ausgesetzt. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann der erste Funke überspringt.

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