Stell dir vor, du sitzt am Sonntagmorgen am Frühstückstisch. Der Kaffee duftet, die Brötchen sind ofenfrisch, und du greifst zu dem Glas mit dem goldenen Inhalt, das du gestern noch im Supermarkt gekauft hast. Du denkst an blühende Wiesen, fleißige Bienen und pure Natur. Doch was, wenn ich dir sage, dass das, was du da gerade auf dein Brötchen streichst, mit Natur so viel zu tun hat wie eine Plastikblume? Was, wenn dieser “Honig” nie eine Biene gesehen hat, sondern in einer chinesischen Fabrik aus Reis- oder Weizensirup zusammengemischt wurde?
Willkommen in der Realität des Jahres 2025. Ein massiver Lebensmittelskandal rollt durch Deutschland, der unser Vertrauen in Grundnahrungsmittel tief erschüttert. Neue Untersuchungen legen nahe: Bis zu 80% der Honige in unseren Supermarktregalen könnten gefälscht sein.

Der DNA-Schock: Wenn das Labor Alarm schlägt
Es klingt wie der Plot eines Wirtschaftskrimis, ist aber bittere Realität. Das ZDF-Magazin “Frontal” ließ im Dezember 2024 eine Bombe platzen. Sie schickten Honige der großen Discounter-Riesen – Aldi, Lidl, Rewe, Edeka, Penny und Netto – sowie der Traditionsmarke Langnese ins Labor. Doch nicht in irgendein Labor. Sie nutzten eine neue, hochmoderne DNA-Analysetechnik, ähnlich der Forensik bei der Polizei.
Das Ergebnis war vernichtend: Alle sieben getesteten Markenprodukte wurden vom estnischen Speziallabor Celvia als “nicht authentisch” eingestuft. Das bedeutet im Klartext: Das genetische Profil passte nicht zu echtem Honig. Es fehlten die typischen Spuren von Pflanzen und Bienen, stattdessen fanden sich Hinweise auf fremde Zuckersirupe. Ein zweites Labor in Österreich bestätigte den Verdacht bei sechs der sieben Proben als “nicht plausibel”.
Zum Vergleich: Der Honig eines kleinen Hobbyimkers aus dem Spreewald bestand den Test mit Bravour. Er war das, was Honig sein sollte – 100% Natur. Aber was steht da in den Regalen der großen Ketten?
Das Geschäft mit dem billigen Sirup
Warum tun die Hersteller das? Die Antwort ist simpel und brutal: Gier. Echter Honig ist ein kostbares Naturprodukt. Eine Biene fliegt für ein 500-Gramm-Glas etwa dreimal um die Erde. Das kostet Zeit, Arbeit und Geld. Experten rechnen vor, dass echter Honig in der Produktion kaum unter 2 Euro pro Kilo herzustellen ist – und da sind Abfüllung, Transport und Gewinn noch gar nicht eingerechnet.
Wie kann es also sein, dass ein Glas Honig im Discounter oft nur 1,99 Euro oder 2,99 Euro kostet? Die Rechnung geht nur auf, wenn man trickst. Industriesirupe aus Reis oder Rüben kosten nur einen Bruchteil, etwa 40 bis 60 Cent pro Kilo. Wer diesen Sirup in den Honig mischt (“streckt”), macht aus Gold eine Goldgrube. Gewinnspannen von über 400% sind möglich. Ein Milliardengeschäft auf Kosten unserer Gesundheit und der ehrlichen Imker.
Und die Fälscher sind schlau. Sie wissen genau, wie man die Sirupe so designt, dass sie die herkömmlichen Standard-Tests bestehen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem wir Verbraucher bisher die Verlierer waren.
Die Nebelkerze auf dem Etikett
Hast du schon mal genau auf das Kleingedruckte geschaut? Da steht oft dieser eine Satz, der alles und nichts sagt: “Mischung von Honig aus EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern”. Das klingt harmlos, fast weltoffen. In Wahrheit ist es oft der Freifahrtschein für Panscherei.
Diese Bezeichnung verschleiert die Herkunft komplett. Du weißt nicht, ob der Honig aus Rumänien, Argentinien oder – was sehr wahrscheinlich ist – aus China kommt. China ist der größte Honigexporteur der Welt, und gleichzeitig stammen laut EU-Untersuchungen fast die Hälfte der verdächtigen Proben von dort. Aus der Türkei waren es sogar erschreckende 93%. Dieser “Honig” wird oft schon vor dem Export gefiltert, erhitzt und mit Sirup gestreckt, bevor er überhaupt europäischen Boden berührt.
Deutschland ist als Honig-Weltmeister im Import (wir decken nur 30% unseres Bedarfs selbst) das perfekte Ziel für diese Betrügereien. Wir sind der Absatzmarkt Nummer eins für die süße Lüge.
Der Streit der Experten: Wem können wir glauben?
Besonders verwirrend wird es für uns Verbraucher, wenn sich die “Wächter der Qualität” uneinig sind. Die Stiftung Warentest, sonst eine Bastion des Vertrauens, bewertete im März 2025 viele der Honige, die im DNA-Test durchfielen, mit “Gut”. Wie kann das sein?
Der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund (DBIB) übt massive Kritik. Der Vorwurf: Die Stiftung Warentest nutze veraltete Methoden und ignoriere die neuen DNA-Verfahren, weil diese noch nicht “amtlich genormt” seien. Zudem würden Fehlaromen, wie ein rauchiger Geschmack, der auf schlechte Verarbeitung hindeutet, nicht streng genug abgestraft.
Wir stehen also vor dem Dilemma: Vertrauen wir dem klassischen Test, der sagt “alles okay”, oder der neuen Wissenschaft, die “Alarmstufe Rot” signalisiert? Angesichts der Tatsache, dass Supermarktketten wie Spar in Österreich bereits reagierten und Produkte aus den Regalen nahmen, scheint die DNA-Methode den Finger tief in eine offene Wunde zu legen.
Glyphosat: Das Gift im Nektar
Als wäre der Betrug nicht genug, kommt noch ein weiteres Problem dazu, das selbst ehrliche Imker zur Verzweiflung bringt: Umweltgifte. Der Fall der Bio-Imkerei Seusing aus Brandenburg ging durch die Medien. Ihre Bienen sammelten Nektar auf einem Feld, das kurz zuvor mit Glyphosat totgespritzt wurde. Das Ergebnis: Tonnenweise Honig, kontaminiert und unverkäuflich. Ein finanzielles Desaster.
Das Schlimme ist: Bienen kennen keine Grenzen. Selbst wenn ein Imker nach Bio-Richtlinien arbeitet, kann er nicht verhindern, dass seine Bienen zum Nachbarfeld fliegen. Glyphosat findet sich mittlerweile fast überall – im Boden, im Wasser und leider auch in vielen Honigen, sogar in Bio-Produkten. Das Siegel “Bio” garantiert zwar eine bessere Bienenhaltung, aber leider keine Pestizidfreiheit, wenn die Umwelt vergiftet ist.

Was wir jetzt tun müssen
Nach all diesen Hiobsbotschaften fragst du dich sicher: Kann ich überhaupt noch Honig essen? Die gute Nachricht ist: Ja! Aber wir müssen unser Kaufverhalten radikal ändern. Der Griff zum billigsten Glas im Regal ist ein Griff ins Klo.
Hier ist dein Survival-Guide für echten Honig:
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Achte auf das “Echte Deutsche Honig”-Siegel: Das grüne Gewährverschluss-Etikett des Deutschen Imkerbundes garantiert strengere Kontrollen als das EU-Gesetz. Hier ist die Wahrscheinlichkeit für Top-Qualität sehr hoch.
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Kaufe regional: Fahr zum Wochenmarkt, such dir einen Imker in deiner Nähe oder schau im Hofladen vorbei. Wenn du den Menschen kennst, der den Honig abfüllt, schafft das Vertrauen. Außerdem unterstützt du damit die lokale Natur, denn ohne Bienen keine Bestäubung!
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Vermeide “Mischungen aus EU- und Nicht-EU-Ländern”: Dieser Satz ist ein Warnsignal. Wenn der Hersteller nicht stolz genug ist, das Herkunftsland zu nennen, hat er meist etwas zu verbergen.
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Der Preis-Check: Echter Honig hat seinen Wert. Wenn ein Glas unter 5 oder 6 Euro kostet (hochgerechnet auf 500g), sollten bei dir alle Alarmglocken schrillen. Qualität hat ihren Preis – und der ist es wert.
Lassen wir uns nicht länger für dumm verkaufen. Honig ist eines der letzten reinen Naturprodukte, die wir haben. Wir sollten nicht zulassen, dass Gier und Industrie es zu einer klebrigen Zuckerpampe degradieren. Es liegt in unserer Hand – bei jedem Einkauf.