Das Jahr des Schweigens: Thüringens Ministerpräsident Voigt und der Plagiatsskandal, der nicht aufgeklärt werden darf

Ein Jahr. Zwölf Monate. Über 365 Tage. So lange hat die Technische Universität Chemnitz nun Zeit gehabt, eine Doktorarbeit zu prüfen. Das ist an sich kein ungewöhnlicher Vorgang. Doch wenn es sich bei dem Doktoranden um den amtierenden Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes handelt und die Vorwürfe “Plagiat” lauten, wird aus einem akademischen Vorgang ein politisches Beben. Wir sprechen von Mario Voigt, dem CDU-Chef in Thüringen, dem Mann an der Spitze einer instabilen “Brombeer-Koalition”. Und sein Fall ist mehr als nur eine akademische Fußnote – er ist ein Lehrstück über politisches Taktieren, mediales Schweigen und das gefährliche Erodieren von Vertrauen.

Der Vorwurf selbst ist nicht neu. Er wabert seit Langem durch die politischen Korridore Erfurts. Es geht um Voigts Dissertation aus dem Jahr 2008 im Fach Politikwissenschaft. Wie bei so vielen Politikern vor ihm, von Guttenberg bis Giffey, soll auch hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Doch während in anderen Fällen Universitäten und Öffentlichkeit mit einer gewissen Geschwindigkeit reagierten, herrscht im Fall Voigt eine gespenstische Stille.

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Die TU Chemnitz, die mit der offiziellen Prüfung betraut wurde, hat sich in ein undurchdringliches Schneckenhaus aus Bürokratie und Verzögerung zurückgezogen. “Über ein Jahr” dauert die Prüfung nun schon an. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. In einer digitalisierten Welt, in der Plagiatssoftware Arbeiten innerhalb von Stunden scannt, braucht eine renommierte Universität länger als ein Kalenderjahr, um ein Urteil zu fällen.

Diese Verzögerung ist der eigentliche Skandal. Es ist ein Affront gegen die Bürger Thüringens und ein fatales Signal für die politische Kultur in ganz Ostdeutschland. Denn eines ist klar: Für Mario Voigt gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Vorwürfe sind haltlos. Dann wäre es seine oberste Pflicht als Landesvater, mit aller Macht auf eine sofortige Klärung zu drängen. Er müsste täglich in Chemnitz anrufen, die Öffentlichkeit informieren und die Universität an ihre Verantwortung erinnern, seinen Namen reinzuwaschen. Sein Image als dynamischer Macher, als “Anti-Höcke”, zerbröselt mit jedem Tag, den dieser Verdacht unkommentiert im Raum stehen bleibt.

Oder aber – und dieser Verdacht drängt sich durch die unerträgliche Hinhaltetaktik geradezu auf – an den Vorwürfen ist etwas dran. Ist diese Verschleppungstaktik ein Versuch, den Skandal auszusitzen? Hofft man in Erfurt und Chemnitz, dass das Thema in der Flut der täglichen Krisen einfach untergeht? Glaubt man, der Bürger vergisst?

Dieses Kalkül ist nicht nur zynisch, es ist auch dumm. Denn das Volk vergisst nicht. Insbesondere nicht im Osten Deutschlands, wo das Misstrauen gegen “die da oben” ohnehin tief sitzt. Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, wenn ihnen etwas verheimlicht wird. “Jeder aus dem Osten muss das sehen”, titeln wütende Kommentatoren in den sozialen Medien. Sie sehen, wie ein Ministerpräsident im Amt ist, während ein schwerer Verdacht über ihm schwebt, der einfach nicht ausgeräumt wird. Das ist Gift für die Demokratie.

Noch alarmierender als die Trägheit der Universität ist das Verhalten der sogenannten vierten Gewalt. Wo bleibt der Aufschrei der großen Medienhäuser? Wo sind die investigativen Recherchen, die täglichen Nachfragen beim Rektorat der TU Chemnitz oder in der Erfurter Staatskanzlei? Es herrscht ein dröhnendes Schweigen. Man könnte es fast als Zensur durch Ignoranz bezeichnen.

Nach der Landtagswahl in Thüringen: Mario Voigt im ersten Wahlgang zum  Thüringer Ministerpräsident gewählt | DIE ZEIT

Stellen wir uns für eine Sekunde vor, die gleichen Vorwürfe würden gegen einen Spitzenpolitiker der AfD erhoben. Es ist keine kühne These zu behaupten, die Schlagzeilen würden sich überschlagen. Sondersendungen würden einberufen, und Kommentatoren würden über die moralische Verkommenheit der Partei schwadronieren. Doch bei Mario Voigt, dem Mann, der die CDU in Thüringen an der Macht hält und als Stabilitätsanker gegen “Rechts” gilt, scheint eine andere Messlatte angelegt zu werden.

Dieses Schweigen der Medien ist keine neutrale Berichterstattung. Es ist eine aktive Beihilfe zur Vertuschung durch Verzögerung. Es nährt exakt jenes Narrativ, das die etablierten Parteien so sehr fürchten: das Narrativ von der “Lügenpresse”, von einem Kartell aus Politik und Medien, das sich gegenseitig schützt und die Bürger für dumm verkauft. Die Medien erweisen der Demokratie einen Bärendienst, indem sie diesen Skandal nicht mit der nötigen Hartnäckigkeit verfolgen. Sie verspielen ihre eigene Glaubwürdigkeit und treiben die Menschen direkt in die Arme derer, die sie eigentlich bekämpfen wollen.

Wenig überraschend ist es daher, dass die AfD in Thüringen diesen Ball dankbar aufnimmt. Die Partei, die unter Björn Höcke die CDU von Voigt bei Wahlen regelmäßig deklassiert, hat die Causa Voigt längst auf die Agenda des Landtags gesetzt. Für die AfD ist dieser Skandal ein politisches Geschenk. Sie muss nicht einmal selbst angreifen. Sie muss nur die Fragen stellen, die eigentlich die Journalisten stellen müssten: “Herr Ministerpräsident, was ist mit Ihrer Doktorarbeit? Warum dauert die Prüfung ein Jahr? Was haben Sie zu verbergen?”

Mit jedem Tag, der ohne Aufklärung verstreicht, liefert Voigt der AfD neue Munition. Er bestätigt unfreiwillig das Bild eines Politikers, der im “Sumpf” der Altparteien steckt und sich den Regeln nicht stellen will, die für jeden normalen Bürger gelten. Der Schaden, der hier für das Amt des Ministerpräsidenten und für die CDU entsteht, ist bereits jetzt immens.

Die Causa Voigt ist symptomatisch für einen größeren politischen Verfall. Es geht um Transparenz, Verantwortung und das Tempo der Aufklärung. Die deutsche Politik hat in den letzten Jahren eine erschütternde Serie von Plagiatsskandalen erlebt. Sie haben Karrieren beendet und das Vertrauen in die Integrität der Eliten nachhaltig beschädigt. Man sollte meinen, das System hätte daraus gelernt. Man sollte meinen, die erste Priorität wäre nun, solche Vorwürfe entweder sofort zu entkräften oder die Konsequenzen zu ziehen.

Mario Voigt: „Moralisieren bringt niemandem etwas“ - Politik - SZ.de

In Thüringen passiert das Gegenteil. Hier wird ein Ministerpräsident, der ohnehin mit einer hauchdünnen und politisch bizarren “Brombeer-Koalition” regiert, durch das monatelange Schweigen der Prüfinstanz weiter destabilisiert. Es ist fast so, als hätten manche Akteure gar kein Interesse an einem stabilen Ministerpräsidenten Voigt.

Die Bürger haben ein Recht auf Wahrheit, und zwar jetzt. Die TU Chemnitz muss ihre unerträgliche Lethargie beenden und das Prüfungsergebnis vorlegen. Entweder wird Mario Voigt vollständig rehabilitiert, oder er muss die politischen Konsequenzen tragen. Alles andere ist ein Verrat am Wähler und eine Bankrotterklärung für die politische Verantwortungskultur in Deutschland. Dieses Jahr des Schweigens muss ein Ende haben.

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