Es klingt wie ein verspäteter Aprilscherz oder die bizarre Schlagzeile einer Satire-Zeitung. Doch es ist bittere Realität: Die Slowakei, ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union, hat beschlossen, ihren Bürgern das Tempo beim Gehen vorzuschreiben. Ab dem 1. Januar 2026 tritt eine Gesetzesnovelle in Kraft, die es Fußgängern auf Gehwegen im Ortsgebiet verbietet, sich schneller als mit 6 Kilometern pro Stunde fortzubewegen.
Was auf den ersten Blick wie eine Posse aus einem kafkaesken Roman wirkt, wurde vom Parlament in Bratislava mit ernster Miene beschlossen. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer und sorgt in ganz Europa für ungläubiges Kopfschütteln und hitzige Debatten. Handelt es sich hier um eine notwendige Maßnahme in einer Zeit zunehmender Konflikte im urbanen Raum? Oder erleben wir gerade, wie der gesunde Menschenverstand endgültig unter den Rädern einer überbordenden Bürokratie zermalmt wird?
Diese Regelung ist nicht nur ein kurioses lokales Gesetz; sie berührt fundamentale Fragen unserer persönlichen Freiheit, der Verhältnismäßigkeit von Gesetzen und der Art und Weise, wie wir in unseren Städten zusammenleben wollen. Denn betroffen sind nicht nur die Fußgänger. Auch Skater, Fahrer von E-Rollern (Scootern) und sogar Radfahrer, die Gehwege benutzen, werden auf Schrittgeschwindigkeit gedrosselt.
Die große Frage, die sich nun Millionen von Menschen stellen, ist: Wie um alles in der Welt soll das kontrolliert werden? Und vor allem: Warum?

Die offizielle Begründung: Sicherheit vor Geschwindigkeit
Der Initiator des Gesetzes, der Parlamentsabgeordnete und ehemalige Verkehrsminister Lubor Wasni von der linksnationalen Partei Smer (slowakische Sozialdemokratie), verteidigt den Vorstoß vehement. Das Hauptziel, so Wasni, sei die Erhöhung der Sicherheit auf den Gehwegen.
Als Hauptgrund werden die “zunehmenden Zusammenstöße mit Rollerfahrern” genannt. Die Zahl der Verletzten müsse reduziert werden. In einer weiteren Argumentationslinie, die fast noch absurder anmutet, heißt es, Autofahrer könnten sonst nicht rechtzeitig anhalten, wenn jemand “plötzlich” vom Gehweg auf einen Zebrastreifen laufe. Zudem, so die Gesetzgeber, trügen Fußgänger bei vielen Unfällen mit E-Rollern eine Mitverantwortung.
Im Kern argumentiert die slowakische Regierung also, dass der Fußgänger, das schwächste Glied in der urbanen Verkehrskette, eine regulierte Gefahr darstellt. Anstatt die Verursacher der Gefahr – primär rücksichtslose E-Scooter-Fahrer – ins Visier zu nehmen, wird die Allgemeinheit unter Generalverdacht gestellt und in ihrer fundamentalsten Fortbewegungsart reglementiert.
Kritiker werfen der Regierung vor, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Anstatt das Problem an der Wurzel zu packen, wird eine Lösung präsentiert, die den Alltag von Millionen Menschen verkompliziert, ohne das eigentliche Problem zu lösen.
Der Wahnsinn der Praxis: Polizei mit der Laserpistole auf dem Bürgersteig?
Die praktische Umsetzung dieser Regelung wirft Fragen auf, die so absurd sind, dass sie schon wieder komisch wären, wenn sie nicht so ernst gemeint wären. Wie stellt sich der Gesetzgeber die Überwachung vor?
Stellen wir uns das Szenario lebhaft vor: Polizeibeamte, die sich statt auf die Jagd nach Rasern im Straßenverkehr nun mit Laserpistolen und Radargeräten im Gebüsch neben dem Bürgersteig verstecken? Werden Bürger verpflichtet, geeichte Tachos an ihren Schuhen zu tragen? Oder wird die Apple Watch, die vielleicht eine Geschwindigkeit von 6,2 km/h anzeigt, zum Beweismittel in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren?
Und was ist mit den natürlichen Unterschieden zwischen Menschen? Ein groß gewachsener Mensch mit langen Beinen geht von Natur aus schneller als eine kleinere Person, oft ohne jede Eile. Ein schneller Schritt liegt oft bei 6,5 oder 7 km/h. Sollen diese Menschen nun künstlich “trippeln”, um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen?
Noch drastischer wird es in alltäglichen Situationen. Stellen Sie sich vor, Sie sehen Ihren Bus an der Haltestelle stehen, die Türen schließen sich gleich. Ein kurzer Sprint – 20 Meter, vielleicht 10 km/h schnell – würde genügen. Doch halt! Das wäre ein Gesetzesverstoß. Der slowakische Bürger muss sich ab 2026 entscheiden: Entweder er nimmt die Strafe in Kauf oder er wartet auf die nächste Abfahrt.
Und was ist mit Joggern? Das Gesetz differenziert nicht. Ein Gehweg ist ein Gehweg. Darf auf Gehwegen dann nicht mehr gejoggt werden? Müssen Sportler auf die Straße ausweichen und sich dort dem Autoverkehr aussetzen, was ironischerweise die Sicherheit massiv gefährden würde?
Die Fragen nach der Verhältnismäßigkeit und der praktischen Durchsetzbarkeit sind so gravierend, dass sie das gesamte Gesetz ad absurdum führen. Es ist unklar, wie hoch die Strafen sein sollen, aber allein die Vorstellung einer “Gehweg-Polizei” löst bei den meisten Menschen nur noch Fassungslosigkeit aus.

Das eigentliche Problem: Das E-Scooter-Chaos wird ignoriert
Das Pikante an der gesamten Debatte ist, dass die slowakische Regierung das Problem zwar korrekt identifiziert – E-Scooter-Unfälle – aber die falschen Schlüsse zieht. Während die Slowakei nun den Fußgängern das Tempo vorschreibt, gehen andere Länder, darunter auch Deutschland, einen völlig anderen Weg.
In Deutschland ist die Rechtslage klar: E-Scooter haben auf Gehwegen und in Fußgängerzonen grundsätzlich nichts verloren. Sie müssen auf Radwegen, Radfahrstreifen oder, wenn diese fehlen, auf der Straße fahren. Das Problem in Deutschland ist weniger die Rechtslage als vielmehr deren mangelnde Durchsetzung.
Doch in der Slowakei scheint man diesen Schritt zu scheuen. Statt die E-Scooter, die oft rücksichtslos, zu zweit oder von alkoholisierten Personen gefahren werden, von den Gehwegen zu verbannen und dies konsequent zu ahnden, wird der Fußgänger zum Schuldigen gemacht.
Das Problem der E-Scooter ist real. Berichte aus vielen Städten, wie das im Video genannte Beispiel Bonn (84 Unfälle mit E-Scootern allein im Jahr 2024, die Mehrheit davon selbst verursacht), zeigen den Handlungsbedarf. Die Roller werden nicht nur gefährlich gefahren, sie werden oft achtlos umgestoßen und auf den Gehwegen liegengelassen. Sie werden zu Stolperfallen für Ältere mit Rollatoren, für Blinde oder für Mütter mit Kinderwagen.
Genau hier müsste eine moderne Verkehrspolitik ansetzen: Klare Regeln für E-Scooter, rigorose Verbannung von Gehwegen, Abstellverbotszonen und empfindliche Strafen für die Verursacher. Die Slowakei wählt stattdessen den Weg der Kollektivstrafe für die schwächsten Verkehrsteilnehmer.
Ein Symptom für überbordende EU-Bürokratie?
Für viele Beobachter ist dieser Vorstoß nicht nur ein slowakisches Einzelproblem, sondern ein weiteres Symptom für eine Entwicklung, die oft als “EU-Bürokratie-Wahnsinn” bezeichnet wird. Es ist das Gefühl einer überbordenden Regulierungswut, die sich in die privatesten Lebensbereiche einmischt und den Bürgern mit Misstrauen statt mit Zutrauen in ihre Eigenverantwortung begegnet.
Es ist eine Politik, die für jedes Problem, mag es auch noch so klein sein, sofort nach einem neuen Gesetz, einem neuen Verbot und neuen Kontrollen ruft. Diese “Über-Bürokratisierung” führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Frustration, Politikverdrossenheit und einem Gefühl der Gängelung.
Wenn ein Staat beginnt, die natürliche Gehgeschwindigkeit seiner Bürger zu reglementieren, hat er ein Maß an Kontrolle erreicht, das viele als dystopisch empfinden. Es ist der Verlust des “gesunden Menschenverstands” in der Gesetzgebung. Anstatt komplexe Probleme (wie den urbanen Verkehrskonflikt) differenziert zu lösen, wird der Hammer der Regulierung herausgeholt und pauschal auf alle eingedroschen.

Ein Blick in eine regulierte Zukunft
Das Tempolimit für Fußgänger in der Slowakei mag heute noch wie eine bizarre Randnotiz wirken. Doch es könnte ein gefährlicher Präzedenzfall sein. Es ist der Versuch, menschliches Verhalten bis ins kleinste Detail zu normieren, angeblich im Namen der Sicherheit.
Was kommt als Nächstes? Ein Verbot, beim Gehen Musik zu hören? Eine Vorschrift, wie oft man nach links und rechts schauen muss, bevor man einen Zebrastreifen betritt?
Die Debatte um die 6 km/h ist mehr als nur eine Debatte über eine Geschwindigkeit. Es ist eine Debatte darüber, wie viel Freiheit wir bereit sind aufzugeben für ein vages Versprechen von Sicherheit, das durch eine offensichtlich untaugliche Maßnahme erreicht werden soll.
Die Slowakei hat sich entschieden: Der Bürger ist ein Risiko, das kontrolliert werden muss, selbst bei seinen eigenen Schritten. Es bleibt zu hoffen, dass dieser “Irrsinn”, wie es viele Kommentatoren bereits nennen, nicht Schule macht. Denn eine Gesellschaft, die ihren Bürgern vorschreibt, wie schnell sie gehen dürfen, hat möglicherweise ein viel größeres Problem als ein paar E-Scooter auf dem Gehweg. Sie hat das Vertrauen in ihre eigenen Bürger verloren.