Ein Gespenst geht um in Berlin. Es ist ein Gespenst der Ungewissheit, des Misstrauens und des vielleicht größten politischen Skandals der jüngeren deutschen Geschichte. Es trägt den Namen „Wahlkrimi“, und es droht, das Fundament der Bundesrepublik zu erschüttern. Im Zentrum dieses Bebens steht eine Frau, die polarisiert wie kaum eine andere: Sahra Wagenknecht. Ihre Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), scheiterte bei der Bundestagswahl denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Doch nun werden Vorwürfe laut, die so schwerwiegen, dass sie nicht nur das Parlament, sondern auch die Kanzlerschaft von Friedrich Merz in ihren Grundfesten bedrohen. Es ist ein Skandal, der sich zuspitzt, der vertuscht werden soll und der das Potenzial hat, Koalitionen und Parlamentsmehrheiten zu sprengen.
Die Faktenlage ist so präzise wie schockierend: Dem BSW fehlten am Wahlabend lächerlich wenige Stimmen – rund 9.000 bis 10.000, um die magische Schwelle zu überspringen. Die Partei landete bei 4,98 Prozent. Ein Wimpernschlag. In einer funktionierenden Demokratie müsste man dieses Ergebnis zähneknirschend akzeptieren. Doch was, wenn dieses Ergebnis fundamental falsch ist? Was, wenn Betrug, Schlamperei oder gar Vorsatz im Spiel waren? Genau das ist der Kern des Vorwurfs.

Berichte über Dutzende von Vorfällen in Wahllokalen im ganzen Land machen die Runde. Es ist die Rede von falsch ausgezählten Stimmen, von Unregelmäßigkeiten, die kein Einzelfall zu sein scheinen. Das bizarrste Detail in diesem Sumpf aus Mutmaßungen: Zahlreiche Stimmen, die mutmaßlich dem BSW gehört hätten, wurden dem „Bündnis Deutschland“ zugeschlagen. Eine Partei, die Berichten zufolge selbst interveniert haben soll, mit der unglaublichen Bitte um eine Neuauszählung, da man diese Stimmen nicht haben wolle – sie gehörten rechtmäßig dem BSW. Wenn selbst die Profiteure einer Falschzählung Alarm schlagen, wie tief ist der Sumpf dann wirklich?
Sahra Wagenknecht, eine Frau, der man vieles nachsagen kann, aber sicher keine Zögerlichkeit, ist an dieser Sache knallhart dran. Sie fordert, was in einer Demokratie selbstverständlich sein sollte: Aufklärung. Sie fordert die Überprüfung der Zählung in den betroffenen Wahllokalen. Es geht hier nicht um eine politische Petitesse. Es geht um 2,5 Millionen Wähler, deren Stimme möglicherweise falsch gewichtet oder schlicht ignoriert wurde.
Die Konsequenzen einer solchen Neuauszählung wären kein bloßer politischer Nebenschauplatz. Sie wären ein Erdbeben der Stärke 10 auf der politischen Richterskala. Spielen wir das Szenario durch, das derzeit in den Hinterzimmern der Macht gefürchtet wird wie nichts anderes: Das BSW knackt die 5 Prozent.
Ein Blick auf die Sitzverteilung zeigt das ganze Ausmaß der drohenden Katastrophe für die Regierung. Mit knapp über 5 Prozent würde das BSW mit voraussichtlich 34 Sitzen in den Deutschen Bundestag einziehen. Diese 34 Sitze müssen logischerweise von den anderen Parteien weggenommen werden. Die Union (CDU/CSU) würde von 208 auf 197 Sitze schrumpfen. Die SPD würde von 120 auf 113 fallen. Die AfD von 152 auf 144.
Und hier, in dieser nüchternen Arithmetik, verbirgt sich die eigentliche Bombe: Die Regierungskoalition von Friedrich Merz, bestehend aus Union und SPD, verfügt derzeit über 310 Sitze. Die absolute Mehrheit im Bundestag liegt bei 315 Sitzen. Zieht man die Verluste durch den Einzug des BSW ab, stünde die Koalition plötzlich nur noch bei 310 Sitzen – fünf Sitze zu wenig. Die Regierung hätte keine Mehrheit mehr.
Das bedeutet im Klartext: Die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler wäre auf einer falschen, nicht existenten Mehrheit aufgebaut. Sie wäre, de facto, ungültig. Alles, was seitdem passiert ist, alle Gesetze, alle Entscheidungen, stünden unter dem Schatten der Illegitimität. Es müssten nicht nur neue Koalitionsgespräche stattfinden – etwa mit den Grünen, den Linken oder dem BSW selbst. Die gesamte Wahl müsste neu bewertet werden. Friedrich Merz wäre ein Kanzler ohne Mandat.

Angesichts dieses drohenden Super-GAUs sollte man meinen, die zuständigen Gremien würden mit Hochdruck und Transparenz an der Aufklärung arbeiten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Was wir erleben, ist eine Mauer des Schweigens, eine Taktik des Aussitzens, die an Arroganz kaum zu überbieten ist.
Der zuständige Ausschusschef, Masarametoglu von der SPD, lehnt es Berichten zufolge kategorisch ab, auch nur ein Gespräch mit Parteichefin Wagenknecht zu führen. Er lässt sie abblitzen. Wagenknecht selbst nennt dies zu Recht eine „Ohrfeige für die 2,5 Millionen BSW-Wähler“. Es ist mehr als das: Es ist ein Affront gegen die Demokratie. Mit diesem „Spiel auf Zeit“, so der Vorwurf des BSW, verstoße der Ausschuss „immer eklatanter gegen die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts“.
Es scheint, als hoffe die Regierung, den Skandal einfach aussitzen zu können, bis er in Vergessenheit gerät. Man setzt auf die Trägheit des Systems. Und man hat einen Präzedenzfall, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt: die Bundestagswahl 2021 in Berlin.
Wir erinnern uns an das Chaos, die fehlenden Stimmzettel, die geschlossenen Wahllokale, die stundenlangen Wartezeiten. Am selben Tag fand in denselben Lokalen die Wahl zum Abgeordnetenhaus statt. Es gab Klagen, es gab Prozesse. Und was geschah? Es dauerte Jahre, bis es zu einer – nur teilweisen – Neuwahl kam. Jahre! Wenn die Aufarbeitung einer derart offensichtlichen Wahl-Farce so lange dauert, wie lange wird man dann versuchen, die Neuauszählung für das BSW zu verschleppen?
Man muss kein Fan von Sahra Wagenknecht sein – und der Autor dieses Videos bezeichnet sich selbst nicht als solcher –, um zu erkennen, dass hier demokratische Grundprinzipien mit Füßen getreten werden. Die AfD, so heißt es, unterstütze ebenfalls die Forderung nach Aufklärung. Es geht um die Integrität des Wahlprozesses selbst.
Doch während Wagenknecht auf Bundesebene die Rolle der unnachgiebigen Aufklärerin spielt, braut sich an anderer Stelle ein Sturm zusammen, der ihre gesamte Glaubwürdigkeit zu zerfressen droht. Die Wähler sind nicht dumm. Sie beobachten sehr genau, was das BSW tut, wenn es Macht bekommt. Und was sie in den Ländern sehen, gleicht einem Verrat.
In Thüringen, so der harte Vorwurf, habe sich das BSW „komplett für die Macht verkauft“. In Brandenburg ein ähnliches Bild: Dort sei die Partei mit der SPD zusammengegangen, nur um ebenfalls an die „Futtertröge der Vollversorgung“ zu kommen. Genau das, was Wagenknecht den Altparteien immer vorwirft – der Postenschacher, der Verrat an den Inhalten für einen Platz am Kabinettstisch –, praktizieren ihre eigenen Landesverbände in dem Moment, in dem sich die Gelegenheit bietet.
Das Ergebnis dieses Verrats ist brutal und sofort sichtbar: In den aktuellen Umfragen stürzt das BSW ab. Mit 3,7 Prozent steht die Partei derzeit noch schlechter da als bei der Bundestagswahl, um deren Ergebnis sie jetzt so verbissen kämpft. Die Wähler strafen sie ab. Sie verzeihen diesen Opportunismus nicht. Sie haben nicht eine neue Partei gewählt, damit diese exakt dieselben Fehler macht wie die alten.
Das ist das fundamentale Dilemma der Sahra Wagenknecht. Ihr Kampf in Berlin um die Neuauszählung ist ihre letzte Chance, Vertrauen zurückzugewinnen. Sie muss diesen Kampf hart, unnachgiebig und ohne Kompromisse führen. Doch was passiert, wenn sie gewinnt? Was passiert, wenn das BSW mit 34 Sitzen in den Bundestag einzieht und die Merz-Regierung stürzt?

Wird sie dann standhaft bleiben? Oder wird sie einen „schmutzigen Deal“ eingehen? Wird sie zur Mehrheitsbeschafferin für eine SPD, die sie gerade noch verachtet hat? Wird sie Friedrich Merz stützen, wenn er ihr im Gegenzug Posten anbietet? Sollte sie diesen Weg gehen, wäre es das Ende ihrer Bewegung. Die Wähler, die ihr trotz des Verrats in den Ländern die Treue gehalten haben, würden es ihr „nie mehr verzeihen“.
Die Lage ist explosiv. Die Prognose ist düster für die Regierung. Der Skandal ist zu groß, um ihn dauerhaft unter dem Teppich zu halten. Es wird Klagen geben, und der Druck wird wachsen. Die Neuauszählung wird kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Und die Überzeugung, dass das BSW dann den Einzug schafft, ist felsenfest.
Für Friedrich Merz tickt die Uhr. Seine Regierung ist bereits jetzt angeschlagen. Es ist denkbar, dass er schon in einer Minderheitsregierung agiert, wenn der Hammer der Justiz schließlich fällt. Und dann kommt der Tag der Neuauszählung. Das Ergebnis wird verkündet. Und das Kartenhaus bricht zusammen.
Dann hat Friedrich Merz ein Problem, das er nicht mehr aussitzen kann. Dann ist das Ding durch. Und Deutschland steht vor einem politischen Scherbenhaufen, ausgelöst durch 9.000 Stimmen, die man versucht hat zu ignorieren.