Der Untergang einer Nation beginnt leise. Er beginnt nicht mit einem Knall, sondern mit einem Achselzucken. Er beginnt dort, wo die Zukunft geformt wird: in den Schulen. Und er manifestiert sich in scheinbar kleinen Kapitulationen. Eine solche Kapitulation ereignet sich gerade in Deutschland: Die Polizei schafft das Diktat bei ihren Eignungstests ab. Der Grund ist so banal wie erschütternd: Zu viele Bewerber scheitern an den einfachsten Regeln der deutschen Rechtschreibung. Was wie eine Randnotiz aus einer Behörde klingt, ist in Wahrheit ein nationaler Offenbarungseid. Es ist das laute, schrille Alarmsignal, das bestätigt, was eine neue Schock-Studie nun in brutalen Zahlen offenlegt: Deutschland befindet sich im freien Fall – einem Bildungs-Infarkt.
Die Rede ist vom “IQB-Bildungstrend 2024”, einer hoch angesehenen Studie der Berliner Humboldt-Universität, die der Öffentlichkeit schonungslos den Spiegel vorhält. Die Ergebnisse sind ein “Mega-Absturz” in den Fächern, die einst der Stolz der deutschen Wirtschaftsmacht waren: Mathematik, Biologie, Physik und Chemie. Die Studie, für die 48.000 Neuntklässler getestet wurden, zeichnet ein düsteres Bild. In Mathematik verfehlen knapp 9 Prozent aller Schüler den absoluten Mindeststandard für den Hauptschulabschluss. Noch dramatischer: Rund 34 Prozent – mehr als ein Drittel einer ganzen Jahrgangsstufe – scheitern am Standard für die mittlere Reife. Auch in den Naturwissenschaften sieht es verheerend aus: Die Zahl derer, die die Abschlussanforderungen nicht erfüllen, ist im Fach Chemie um 9 Prozent gestiegen, in Physik um 7 Prozent und in Biologie um 5 Prozent.

Wir produzieren eine Generation, die nicht mehr rechnen, nicht mehr lesen und nicht mehr die Grundgesetze der Natur verstehen kann. Das Problem ist nicht neu, aber es eskaliert. Und es beginnt viel früher, als es die Testergebnisse der 9. Klasse zeigen. Es beginnt im Kindergarten. Es beginnt mit der Sprache.
Die vielleicht erschütterndste Zahl des ganzen Desasters kommt aus Bayern. Dort führte man verpflichtende Sprachtests für Vierjährige ein. Das Ergebnis: 23.800 Kinder – eine unvorstellbare Zahl – schafften diesen Test nicht. Und wir sprechen hier nicht von komplexer Grammatik. Die Tests fragen Dinge ab wie: “Was ist eine Hand?” oder “Zitronen sind sauer – richtig oder falsch?”. Es geht um das elementarste Verständnis der deutschen Sprache. Fast 20 Prozent der Vorschulkinder in Deutschland können kein Deutsch. Diese Kinder kommen in die Grundschule und können dem Unterricht per Definition nicht folgen. Sie sind von Tag eins an zum Scheitern verurteilt.
Dieses fundamentale Sprachproblem ist seit Jahren bekannt. Es wird in Talkshows diskutiert und in politischen Sonntagsreden beklagt. Die CDU-Bildungsministerin Karin Prien brachte einmal eine Obergrenze für Migrantenkinder in Schulklassen ins Spiel – eine Idee, die schnell wieder in der Schublade verschwand. Statt das Problem an der Wurzel zu packen, wird es verwaltet, verschleppt und am Ende vertuscht.
Die Vertuschung hat einen Namen: Noteninflation. Während die reale Leistung der Schüler in den Keller rauscht, erleben wir eine “Flut an Einser-Abituren”. Der Lehrerverband warnt seit Jahren vor dieser Entwicklung. Ein Abitur, das in den 80er oder 90er Jahren hart erarbeitet werden musste, wird heute inflationär vergeben. Die Standards werden so weit abgesenkt, dass der Abschluss entwertet wird. Selbst auf den Gymnasien, der einstigen Kaderschmiede der Nation, bleiben die Schüler weit hinter den Standards zurück.
Das System betrügt sich selbst. Es betrügt die Wirtschaft, die händeringend nach fähigen Auszubildenden sucht und Bewerber bekommt, die, wie ein Bewerbungsgespräch bei Google es offenbaren würde, nicht einmal eine Schätzfrage wie “Wie viele Fenster gibt es in New York City?” logisch herleiten können. Vor allem aber betrügt das System die Schüler. Es wiegt sie in einer falschen Sicherheit, die spätestens beim Eintritt ins Berufsleben zerplatzt. Die Kapitulation der Polizei vor dem Diktat ist die logische Konsequenz. Wenn die Bildung versagt, müssen die Anforderungen gesenkt werden.

Das Tragische an dieser Entwicklung ist die Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Studie zeigt zwar, dass der Leistungsabfall sich durch alle sozialen Schichten zieht – ein Beweis, dass das System als Ganzes versagt. Doch die Konsequenzen tragen nicht alle gleich. Wer es sich leisten kann, entzieht sich dem maroden öffentlichen System. Die Zahl der Privatschulen boomt.
Und hier offenbart sich die ganze Heuchelei der politischen Klasse. Ausgerechnet jene Politiker, die für das öffentliche Bildungssystem verantwortlich sind, schicken ihre eigenen Kinder auf teure Privatschulen. Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, ist nur eines von vielen Beispielen. Man predigt dem Volk Chancengleichheit und Gemeinschaftsschulen, während man dem eigenen Nachwuchs durch private Bildung einen Wettbewerbsvorteil sichert. Es ist ein Verrat an den Bürgern, die mit ihren Steuern ein System finanzieren, dem die eigene Elite nicht mehr vertraut.
Diese Entwicklung hat eine unausweichliche Konsequenz: den “Brain Drain”. Im letzten Jahr haben 270.000 Menschen Deutschland verlassen. Das sind nicht, wie oft suggeriert, unqualifizierte Migranten. Es sind die “Überperformer”, die Leistungsträger, die Ingenieure, Ärzte und Fachkräfte. Sie gehen nicht nur wegen der hohen Steuern. Sie gehen, weil das unattraktive Bildungssystem ihren Kindern die Zukunft verbaut. Sie sehen die Zustände in den Schulen und treffen eine rationale Entscheidung. Sie gehen nach Florida, nach Nevada oder nach Dubai – Orte ohne Einkommensteuer und mit funktionierenden Bildungsangeboten.
Deutschland blutet aus. Wir verlieren die Köpfe, die wir so dringend bräuchten, um den Wohlstand zu sichern, während wir ein Heer von “Unterperformern” heranziehen, die für den Staat, also den Steuerzahler, zur Belastung werden.
Dieser Trend ist nicht erst seit gestern sichtbar. Er ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Versagens, einer Weigerung, Probleme klar zu benennen und gegenzusteuern. Das Problem ist nicht nur, dass Kinder mit Migrationshintergrund schlechter abschneiden; das Problem ist, dass das gesamte System so marode ist, dass es niemanden mehr fördert, unabhängig von Herkunft oder sozialem Hintergrund.

Am Ende bleibt ein Symbol, das die ganze Tragödie auf den Punkt bringt. Ein Foto eines Straßenschildes in Berlin macht die Runde. Darauf zu lesen: “Leib nitzstraße”, “keine Durchfahr zum Kantstraße”. Ein simples Schild, gespickt mit peinlichen Fehlern, mitten in der Hauptstadt. Es ist ein Sinnbild für den Verfall der Sprache, der Bildung und der Standards. Wenn ein Land nicht einmal mehr in der Lage ist, die Namen seiner größten Philosophen korrekt zu schreiben, wie soll es dann die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern? Der Bildungs-Infarkt ist da. Die Frage ist nur, ob er noch behandelbar ist – oder ob wir den Patienten bereits aufgegeben haben.