In den schillernden, oft gnadenlosen Hallen der deutschen Fernsehlandschaft galt Markus Lanz lange Zeit als unantastbare Ikone. Seine Talkshow, ein fester Bestandteil des ZDF-Programms, war bekannt für scharfe Interviews, kontroverse Diskussionen und die Fähigkeit, Gäste in die Enge zu treiben. Doch am Abend des 4. März 2025 sollte sich das Image des selbstbewussten Moderators für immer ändern. Was in den ZDF-Studios in Hamburg an jenem Abend geschah, war nicht nur ein Fernsehinterview, sondern eine seismische Erschütterung, die die Grundfesten des deutschen Journalismus bedrohte und letztlich die Karriere eines der mächtigsten Männer des Landes beendete. Die Legende Günther Wallraff, bekannt für seine investigativen Enthüllungen und seine unbeugsame Suche nach der Wahrheit, hatte sich zum Ziel gesetzt, die dunkle Seite der Medienmacht zu enthüllen – und Lanz war sein Objekt.
Die Geschichte dieses dramatischen Falls beginnt jedoch nicht in den blendenden Lichtern eines Fernsehstudios, sondern neun Monate zuvor in Günther Wallraffs bescheidenem Kölner Apartment. Der 77-jährige Journalist, dessen Name untrennbar mit mutigen Enthüllungen verbunden ist, sah sich alte Aufzeichnungen der “Markus Lanz”-Sendung an. Das Interview mit Andrea Berg, der Fall Warren Buffett, der Skandal um Friedrich Merz – immer wieder dasselbe Muster: Gäste wurden scheinbar gnadenlos “zerstört”. Doch Wallraff, mit seinem geschulten Auge für die Abgründe menschlichen Verhaltens und medialer Inszenierung, spürte, dass etwas nicht stimmte. Die vermeintliche Spontanität, die Härte, die Lanz an den Tag legte, wirkte zu perfekt, zu berechnet. Für Wallraff war es ein Déjà-vu: Wie schon in den 70er-Jahren, als er sich als Fabrikarbeiter einschleuste, um Ausbeutung zu dokumentieren, oder in den 80ern, als er die Machenschaften der “Bild”-Zeitung aufdeckte, fasste er einen folgenschweren Entschluss. Seine letzte große Operation sollte ihn direkt ins Herz des deutschen Fernsehens führen: in die “Markus Lanz”-Show.
Im September 2024 bewarb sich Wallraff unter dem Namen Klaus Schmidt beim ZDF. Ein freier Kameramann, 77 Jahre alt, aber erfahren. Niemand erkannte den Mann hinter der Verkleidung – Make-up, Perücke, falsche Brille waren Wallraffs Markenzeichen, um unsichtbar zu werden. Sechs Monate lang arbeitete er unbemerkt im Team der “Markus Lanz”-Show. Er sah, was geschah, wenn die Kameras ausgeschaltet waren, und was er sah, schockierte selbst den abgebrühtesten Investigativjournalisten. Es war eine Welt, in der Quoten über Ethik standen, in der Drama bewusst inszeniert und Menschen für die Unterhaltung manipuliert wurden. Jeder Schritt, jedes Wort, jede emotionale Reaktion der Gäste schien Teil eines ausgeklügelten Drehbuchs zu sein.
Der Wendepunkt kam im Februar 2025. Wallraff schickte Lanz eine E-Mail: “Herr Lanz, ich bin Günther Wallraff. Ich möchte über investigativen Journalismus sprechen. In Ihrer Show.” Lanz, misstrauisch, aber unfähig abzulehnen – Wallraffs Ruf war zu groß, eine Ablehnung hätte Fragen aufgeworfen – akzeptierte. Der 4. März 2025 wurde als Termin festgelegt. Wallraff bereitete sich akribisch vor. Alle Aufnahmen, alle Dokumente, alle Beweise wurden auf eine schwarze Festplatte geladen. Juristen bestätigten die Legalität seines Vorgehens: Whistleblowerschutz, öffentliches Interesse. Die Büchse der Pandora stand kurz vor ihrer Öffnung.
In der kalten Hamburger Märznacht, als Wallraff den ZDF-Komplex betrat, geschah das Unvermeidliche. Ein Kameramann, ein Kollege der letzten sechs Monate, erkannte ihn. “Klaus?”, fragte er. Wallraff lächelte: “Nicht Klaus, Günther.” Der Schock stand dem Mann ins Gesicht geschrieben. “Du warst die ganze Zeit Backstage?” Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Backstage brach Panik aus. Lanz und seine Assistenten telefonierten hektisch. “Er war sechs Monate hier! Was hat er gesehen?” Doch es gab kein Zurück. Die Show musste weitergehen. In 30 Minuten würden die Kameras angehen.
Um 22:15 Uhr erstrahlten die Studiolichter. Markus Lanz saß in seiner gewohnt selbstbewussten Pose, doch seine Augen verrieten eine nervöse Anspannung. Ihm gegenüber saß Günther Wallraff, 77 Jahre alt, aber mit Augen, die wie Stahl glänzten. Neben ihm, bedrohlich und verheißungsvoll, die schwarze Festplatte. Das Interview begann mit Lanz’ Versuch, die Fassung zu wahren. “Guten Abend, Herr Wallraff. Es ist eine Ehre, Sie hier zu haben.” Wallraffs Augenbraue hob sich. “Sind Sie sicher, Markus? Nachdem ich sechs Monate in Ihrem Team gearbeitet habe?” Lanz’ Lächeln erstarrte. Das Publikum schnappte nach Luft. “Ja”, fuhr Wallraff ruhig fort, “ich war hier als Kameramann Klaus Schmidt sechs Monate lang. Und ich habe viel gesehen.” Lanz versuchte, die Situation herunterzuspielen, es als Scherz abzutun. “Das ist… das ist ein Scherz, oder?” “Kein Scherz”, entgegnete Wallraff und legte die Festplatte auf den Tisch. “Stunden von Aufnahmen. Backstage. Redaktionssitzungen. Alles.” Totenstille im Studio. Lanz blickte zu seinen Produzenten, deren Gesichter von Angst gezeichnet waren.
Wallraff zögerte nicht. Er holte seinen Laptop hervor und verband ihn mit dem Studiomonitor. “Lassen Sie uns konkret werden. Andrea Berg Interview, März 2023. Sie erinnern sich, natürlich.” Lanz, defensiv: “Sie verließ die Show, ja.” “Aber warum?”, fragte Wallraff und spielte ein Video ab. Das Publikum sah, wie Andrea Berg nach einem “McDonald’s-Kommentar” die Sendung verließ. Doch dann spielte Wallraff anderes Material ab: Was vorher geschah. Die Werbepause, drei Minuten vor dem vermeintlich spontanen Kommentar. Der Bildschirm zeigte Lanz backstage, im Gespräch mit einem Produzenten. “Sie ist zu nett. Die Ratings sind niedrig. Ich muss härter werden. Bereitet die McDonald’s-Linie vor.” Der Produzent zögerte: “Bist du sicher? Das ist sehr hart.” Lanz’ Antwort war gnadenlos: “Genau. Wir brauchen Drama. Bereitet Kamera 3 vor, wenn sie aufsteht.” Das Publikum brach aus. “Sie hatten es geplant!”, stellte Wallraff fest. “Sie wussten, dass Frau Berg gehen würde. Sie provozierten es für Ratings!” Lanz schwitzte. “Das ist… das ist aus dem Kontext!”
Doch Wallraff ließ ihm keine Chance. Er spielte weiteres Material ab. Warren Buffett Interview. “Sie beleidigten seine tote Frau. Spontan? Nein.” Das Backstage-Material zeigte: “Wir brauchen einen Trigger”, sagte Lanz. “Erwähne Susan. Das wird ihn brechen. Kamera bleibt auf seinem Gesicht.” Wallraff stand auf und wandte sich direkt an die Kamera, an das Millionenpublikum. “Meine Damen und Herren, was Sie in dieser Show sehen, ist Theater. Sorgfältig inszeniert. Nichts ist spontan.” Er zeigte Dokumente auf dem Bildschirm: Redaktionsnotizen für jedes Interview. “Gast muss in Minute 15 emotional werden. Provokation bei Minute 22. Skandal bei Minute 30.” “Es ist ein Drehbuch”, erklärte Wallraff. “Lanz spielt den harten Interviewer, aber alles ist geplant. Die Gäste wissen es nicht. Nur das Team.” Lanz versuchte erneut zu unterbrechen: “Das ist normal fürs Fernsehen! Jede Show hat Struktur!” “Struktur, ja”, stimmte Wallraff zu. “Aber Sie gehen weiter. Sie manipulieren. Sie lügen.”
Er spielte mehr Material ab: Friedrich Merz Interviewvorbereitung. “Die Blackrock-Dokumente”, fragte ein Produzent. “Sind die alle echt?” Lanz’ Antwort war eine Explosion im Studio: “Einige sind verstärkt. Macht nichts. Er kann es live nicht widerlegen.” Die Dokumente waren gefälscht! “Wenn ihr das Ende dieser schockierenden Geschichte sehen wollt, abonniert und teilt bitte. Solche investigativen Geschichten brauchen eure Unterstützung”, appellierte Wallraff an die Zuschauer, wohlwissend, welche Lawine er gerade losgetreten hatte.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Wallraff holte weitere Dateien hervor. “Was passiert mit Gästen Backstage vor der Show?” Er spielte eine Audioaufnahme ab. Lanz’ Stimme, backstage, im Gespräch mit einem nervösen Gast: “Wenn Sie nicht kooperieren, wenn Sie nicht die Story liefern, die ich will, mache ich Sie fertig. Ich habe Macht. Sie haben nichts.” Eine ängstliche Stimme des Gastes: “Aber ich habe nichts getan.” Lanz’ eiskalte Antwort: “Spielt keine Rolle. Ich kann alles aus Ihnen machen. Verstehen Sie?” Das Publikum war entsetzt. Lanz benutzte Drohungen. “Mehrere Gäste”, fuhr Wallraff fort, “wurden, bevor sie in dieses Studio kamen, eingeschüchtert, bedroht, vorbereitet für ihre Zerstörung.” Er zeigte eine Liste von Namen: “17 Gäste in den letzten zwei Jahren. Alle berichten das gleiche: Psychologischer Druck. Drohungen. Manipulation.” Und wenn Gäste sich beschwerten? Wallraff zeigte eine E-Mail: “Das ZDF ignoriert es, weil Lanz Ratings bringt. Ratings sind wichtiger als Ethik.”
Er fokussierte erneut auf den Bildschirm und die gefälschten Dokumente im Fall Friedrich Merz. “Die Blackrock-Dokumente, die Sie zeigten… Ich habe recherchiert.” Er zeigte eine Analyse: “Drei Dokumente waren gefälscht. Photoshop. Hier sehen Sie, die Schriftart stimmt nicht. Datum unmöglich. Unterschrift gefälscht. Sie haben einen Politiker mit gefälschten Dokumenten zerstört.” Wallraffs direkter Blick auf Lanz war wie ein Schlag: “Das ist nicht Journalismus. Das ist Betrug. Das ist illegal.” Lanz stand jetzt in Panik auf. “Das sind Fehler! Passierten! Wir haben Quellen vertraut!” “Quellen?”, lachte Wallraff bitter. “Ihre Quellen waren Photoshop-Experten in Ihrem Team. Ich habe ihre Verträge. Ich habe ihre Namen.” Er zeigte Verträge auf dem Bildschirm: “Max Böhm, Grafikdesigner, ZDF Landsteam. Projekt: Dokumentenverstärkung.” “Verstärkung?”, wiederholte Wallraff. “So nennen Sie gefälschte Beweise?”
“Warum tun Sie das alles?”, fragte Wallraff. “Warum zerstören Sie Menschen?” Er spielte ein letztes Video ab. Lanz in einer Produzentenbesprechung vor zwei Monaten: “Unsere Ratings sind gut, aber nicht großartig. Wir brauchen mehr Kontroverse, mehr Skandale, mehr Gäste, die zusammenbrechen.” Ein Produzent wagte einzuwenden: “Aber ethisch…” Lanz im Video: “Ethik bringt keine Zuschauer. Drama bringt Zuschauer. Ich will Skandale! Ich will Tränen! Ich will Karrieren zerstören! Das ist Entertainment!” Das Studio war absolut still. Alle starrten Lanz an. Wallraff wandte sich an das Publikum: “Das ist der echte Markus Lanz. Nicht der kritische Journalist. Ein Mann, der Menschen für Ratings zerstört. Für Ruhm. Für Macht.”
Lanz brach auf seinem Stuhl zusammen, das Gesicht in den Händen vergraben. Seine Karriere, seine ganze Welt, endete vor seinen Augen. “Herr Lanz”, fragte Wallraff ruhig, aber bestimmt, “haben Sie etwas zu sagen?” Lanz schaute auf, die Augen rot. “Ich… ich wollte nur guten Journalismus machen.” “Guten Journalismus?”, fragte Wallraff ungläubig. “Sie haben Dokumente gefälscht. Menschen bedroht. Leben zerstört. Und Sie nennen das Journalismus?” Er holte ein letztes Dokument hervor: “Ich habe hier Klagen von zwölf ehemaligen Gästen. Verleumdung. Rufschädigung. Psychologischer Schaden. Gesamt 43 Millionen Euro Schadensersatz.” Wallraff legte das Dokument auf den Tisch. “Und das ist erst der Anfang. Die Staatsanwaltschaft hat heute Ermittlungen eröffnet. Wegen Dokumentenfälschung. Wegen Betrug. Wegen Erpressung.”
In diesem Moment klingelte Lanz’ Telefon. Er ignorierte es. Es klingelte wieder. “Nehmen Sie ab”, schlug Wallraff vor. “Es ist wahrscheinlich wichtig.” Lanz nahm ab. Der Lautsprecher war versehentlich an. Eine Stimme war zu hören: “Markus, hier ist Dreier, ZDF-Intendantin. Du bist suspendiert. Sofort. Die Anwälte kommen.” Lanz stand langsam auf, schaute ein letztes Mal in die Kamera. “Ich… es tut mir leid.” Er ging zum Ausgang, nicht dramatisch, nur besiegt. An der Tür rief Wallraff ihm nach: “Markus, Sie haben 20 Jahre lang Menschen gejagt. Heute wurden Sie gejagt. Wie fühlt sich das an?” Lanz blieb stehen, drehte sich nicht um. “Schrecklich.” Die Tür schloss sich.
Wallraff wandte sich der Kamera zu. “Guter Journalismus zerstört nicht. Er deckt auf. Er schützt Schwache. Er hält Mächtige verantwortlich.” Er schaute die Zuschauer direkt an. “Heute haben wir die Mächtigen zur Rechenschaft gezogen, auch wenn er ein Journalist ist.”
Die Nachwirkungen waren verheerend und weitreichend. Lanz wurde gefeuert, seine Show abgesetzt. Die Ermittlungen wurden eingeleitet, mehrere Klagen folgten, die in Strafen von insgesamt 12 Millionen Euro mündeten. Journalismusauszeichnungen wurden ihm aberkannt. Günther Wallraff hingegen gewann den Grimme Spezialpreis für seine beispiellose Enthüllung, dafür, dass er die Medien zur Rechenschaft gezogen hatte. Das ZDF reformierte seine Ethikrichtlinien. Keine Manipulation mehr, kein Drama für Ratings. Im Hamburger Studio wurde der alte Lanz-Schreibtisch entfernt. Ein neues Zitat zierte die Wand: “Journalismus ohne Ethik ist kein Journalismus. Es ist Unterhaltung auf Lügen aufgebaut.”
Günther Wallraff, im Alter von 77 Jahren, hatte seine letzte große Story geliefert. Und es war seine wichtigste. Eine Geschichte, die nicht nur einen Moderator zu Fall brachte, sondern auch eine wichtige Botschaft an die gesamte Medienbranche sendete: Die Wahrheit mag langsam sein, aber sie ist unaufhaltsam. Und am Ende wird die Ethik immer über den Quoten triumphieren. Diese Enthüllung war ein Weckruf, eine Erinnerung daran, dass die vierte Gewalt eine enorme Verantwortung trägt und niemals ihren Dienst an der Wahrheit verraten darf, um der Unterhaltung oder dem Ruhm willen.