Millionen von Menschen in Deutschland haben im Jahr 2025 eine drastische Entscheidung getroffen: Sie kaufen nicht mehr bei Kaufland ein. Der Grund liegt nicht allein in den Preisen, die im brutalen Wettbewerb mit Discountern kaum noch mithalten können. Der Grund ist kein Mangel an Auswahl, denn die riesigen SB-Warenhäuser bieten davon mehr als genug. Der Grund ist weitaus schlimmer, fundamentaler und erschüttert das Vertrauen der Verbraucher bis ins Mark: Es ist ein systematischer Zusammenbruch der grundlegendsten Standards.
Im April 2025 zeigte eine verdeckte Recherche von RTL-Reportern Bilder, die niemand sehen wollte, aber jeder sehen musste. Schimmel an den Kühlscheiben. Mäuse und erheblicher Rattenbefall in den Lagerräumen. Tropfende Kühltheken. Und, was vielleicht am perfidesten ist: Mitarbeiter an frische Theken, die angewiesen wurden, Mindesthaltbarkeitsdaten zu manipulieren. Produkte, die längst hätten entsorgt werden müssen, bekamen neue Etiketten und wurden ahnungslosen Kunden verkauft.
Diese Recherche war kein Einzelfall. Sie war das Ergebnis einer monatelangen Untersuchung in 50 Kaufland-Filialen in zwölf Bundesländern. Das Ergebnis war ein Albtraum für das Unternehmen und ein Gesundheitsrisiko für die Kunden: In 48 der 50 getesteten Märkte wurden teils gravierende und gesundheitsgefährdende Hygienemängel dokumentiert.
Das ist kein Versehen. Das ist ein Muster. Das ist ein System. Und es ist nur die Spitze eines Eisbergs aus Managementversagen, strategischer Orientierungslosigkeit und einem verzweifelten Kampf ums Überleben. Während hinter den Kulissen Filialen geschlossen, Führungskräfte ausgetauscht und radikale Umstrukturierungen vorgenommen werden, steht Kaufland im Jahr 2026 vor der vielleicht größten Krise seiner Geschichte. Dies sind die Gründe, warum der Gigant wankt und Millionen Kunden ihm den Rücken kehren.

Grund 1: Die Hygienekatastrophe und der totale Vertrauensbruch
Es begann im Herbst 2024. Zwei Reporterinnen von “Team Wallraff” gingen undercover, eine in Bad Tölz (Bayern), die andere in Homburg (Saarland). Was sie fanden, war schockierend. In Homburg dokumentierten sie “erheblichen Ratten- und Mäusebefall”, Schimmel und beschlagene Kühltruhen. In Bad Tölz sahen sie, wie Mitarbeiter an der Frischetheke abgelaufene Ware neu etikettierten. Kunden kauften unwissentlich verdorbene Lebensmittel.
Als RTL die Reportage im April 2025 ausstrahlte, gingen die Bilder durch ganz Deutschland. Die Reaktion von Kaufland war schnell, aber sie offenbarte das Ausmaß des Problems. Die Filiale in Bad Tölz wurde für eine Woche geschlossen, Mitarbeiter neu geschult. Die Filiale in Homburg jedoch musste für sechs Monate dichtmachen – nicht für eine schnelle Reparatur, sondern für eine Grundsanierung, in die ein zweistelliger Millionenbetrag fließen soll.
Kaufland-Vorstand Jochen Kratz nannte die Bilder “schmerzhaft” und “absolut nicht hinnehmbar”. Das Unternehmen kündigte einen Fünf-Punkte-Hygieneplan an, inklusive externer Prüfinstitute und einer jährlichen Investition von 500 Millionen Euro für neue Kühlmöbel. Doch der Schaden war angerichtet. Sabrina Gödderz vom Bundesverband der Verbraucherzentralen brachte das zugrundeliegende Problem auf den Punkt: Lebensmittelsicherheit hatte jahrelang keine politische Priorität, und die Kontrollstrukturen sind unzureichend.
Für die Kunden war dieser Skandal ein Dammbruch. Eine Umfrage der Webseite T-Online, an der fast 5.650 Leser teilnahmen, zeichnete ein vernichtendes Bild: 34 Prozent gaben an, sofort zu einem anderen Lebensmittelhändler zu wechseln. Nur 35 Prozent wollten Kaufland treu bleiben. Fast die Hälfte der Kundschaft ist bereit zu gehen – wegen Schimmel, Mäusen und Manipulation.
Grund 2: Der bröckelnde Marktanteil im Krieg der Discounter
Während Kaufland mit der Eindämmung seines Imageschadens beschäftigt ist, passiert an der Verkaufsfront etwas noch Bedrohlicheres: Die Kunden gehen, und sie kommen nicht zurück. Neue Zahlen von YouGov und Trade Dimensions zeigen einen unaufhaltsamen Trend: Die Discounter gewinnen, die Vollsortimenter gewinnen, und die SB-Warenhäuser – das Kernformat von Kaufland – verlieren dramatisch.
Zwischen 2022 und 2025 hat sich der Markt fundamental verschoben. Die hohe Inflation trieb die Menschen in die Arme von Aldi und Lidl. Doch auch nach Abklingen der Inflation bleibt der Trend bestehen. Die Discounter sind beliebt wie nie. Lidl macht inzwischen fast 32 Milliarden Euro Umsatz, Aldi Nord und Süd zusammen rund 36 Milliarden.
In diesem neuen Marktumfeld fehlt Kaufland jegliches Profil. Professor Rope von der Hochschule München analysiert es treffend: Niemand weiß mehr, wofür Kaufland eigentlich steht. Für Discounter-Kunden ist Kaufland zu teuer. Für Vollsortimenter-Kunden, die zu Edeka oder Rewe gehen, ist es zu unübersichtlich, zu chaotisch, zu altmodisch. Bei Aldi ist es billiger, bei Edeka ist es schöner, bei Lidl ist es moderner. Bei Kaufland einzukaufen, ist für viele nur noch eine Gewohnheit – und Gewohnheiten brechen schnell.
Dieser Profilverlust wird durch einen gnadenlosen Preiskrieg verschärft. Im Mai 2025 startete Lidl die größte Preissenkung seiner Geschichte, senkte über 500 Artikel um bis zu 35 Prozent. Aldi konterte sofort und verwies darauf, 2025 bereits rund 1.000 Artikel dauerhaft im Preis gesenkt zu haben. Handelsexperte Stefan Rüschen nennt es einen Krieg um jeden Kunden, in dem Lidl Aldi die Preisführerschaft abnehmen will. Kaufland? Wird in dieser Analyse nicht einmal mehr erwähnt. Der Gigant ist im Kampf der Titanen irrelevant geworden.
Grund 3: Das leise Sterben der Filialen
Die Konsequenz aus schwindenden Marktanteilen und mangelnder Rentabilität ist sichtbar: Kaufland schließt Filialen. Sechs Standorte mussten in den Jahren 2024 und 2025 bereits dichtmachen: Siegen, Greiz, Bochum, Recklinghausen, Dortmund-Mengede und Fellbach-Schmiden.
Kaufland betont, es handle sich um “Einzelfälle aus wirtschaftlichen Gründen” ohne Zusammenhang. Doch die Muster sind klar. In Fellbach-Schmiden und Recklinghausen liefen die Mietverträge nach fast 20 Jahren aus. Kaufland konnte oder wollte sich die Verlängerung nicht mehr leisten. Andere Standorte waren schlicht “wirtschaftlich nicht rentabel” – zu wenig Kunden, zu wenig Umsatz, zu hohe Kosten.
Für die Menschen vor Ort, besonders für ältere, immobile Kunden, ist jede Schließung ein harter Schlag. Manche Filialen waren über 20 Jahre ein sozialer Ankerpunkt. Kaufland versucht zu beruhigen und spricht vage von geplanten Neueröffnungen, doch die Realität zeigt mehr Schließungen als Eröffnungen. Die Frage, die im Raum steht: Wie viele Filialen werden 2026 noch folgen?
Grund 4: Gebrochene Versprechen und katastrophaler Kundenservice
In jeder der rund 770 deutschen Kaufland-Filialen prangt ein Versprechen, weiß auf rot: “Solltest du einmal länger als 5 Minuten warten, wenn nicht alle Kassen geöffnet sind, schenken wir dir einen 2,50-Euro-Gutschein.” Was fair klingt, entpuppte sich als Farce.
Ein junger Mann aus Esslingen nahm dieses Versprechen ernst. Jedes Mal, wenn er länger als fünf Minuten wartete, forderte er den Gutschein ein – und bekam ihn. Woche für Woche. Bis Kaufland genug hatte. Das Unternehmen teilte ihm mit, er habe das Serviceversprechen “außergewöhnlich häufig” eingefordert, und drohte ihm aus “Fairnessgründen” mit Hausverbot.
Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg reagierte scharf. Sprecherin Sabine Holzäpfel nannte das Vorgehen einen klaren Rechtsverstoß und “irreführende Werbung”. Wenn Kaufland sein Versprechen nicht ohne Wenn und Aber einhalten wolle, solle es auf solche Taktiken verzichten. Dieser Fall offenbart ein tiefes Problem: Kaufland bricht lieber sein eigenes Wort, als seine Kassen zu besetzen.
Dieses Bild bestätigt sich auf Bewertungsplattformen. Auf Trustpilot hat Kaufland eine katastrophale Bewertung von 1,6 von 5 Sternen. 72 Prozent der über 5.000 Bewertungen geben nur einen Stern. Die Beschwerden: “The food is old” (Das Essen ist alt), unhöfliche Kassierer, falsche Preisschilder, Chaos. Das Vertrauen ist auf ganzer Linie verspielt.
Grund 5: Das Formatproblem – Zu groß für die moderne Welt
Die durchschnittliche Kaufland-Filiale ist mit 4.200 Quadratmetern ein Dinosaurier. Zum Vergleich: Eine Aldi- oder Lidl-Filiale misst etwa 1.000 bis 1.200 Quadratmeter. Kaufland ist viermal so groß.
Während der Corona-Pandemie war das ein Vorteil. Kunden wollten alles an einem Ort (“One-Stop-Shopping”) – Lebensmittel, Kleidung, Elektronik. Doch nach der Pandemie änderte sich das Verhalten radikal. Die Menschen wollen wieder schnell, effizient und übersichtlich einkaufen. Kaufland ist das genaue Gegenteil. Die Filialen wirken alt, die Gänge endlos, die Auswahl erschlagend. Experten sind sich einig: Kaufland hat sich zu wenig weiterentwickelt.
Für ältere Menschen ist das Format eine Zumutung: lange Wege, schwer erreichbare Filialen außerhalb der Innenstädte. Die Zeit der SB-Warenhaus-Giganten ist vorbei, während die Discounter klein, schnell und effizient sind.
Grund 6: Verzweifelte Umstrukturierung und Flucht der Manager
Im Juni 2025 kündigte Kaufland eine radikale Umstrukturierung an: Die bisherigen sechs Regionen werden auf drei reduziert. Mehr zentrale Kontrolle, weniger Führungskräfte. Offiziell will man “Prozesse verschlanken” und “schneller reagieren”. In Wahrheit ist es eine panische Reaktion auf die andauernde Wachstumsschwäche. Kaufland schrumpft und versucht, durch Effizienz Kosten zu senken.
Im August 2025 übernahm Stefan Hoppe den Chefposten in Deutschland. Er kommt aus Polen, wo er die Wende geschafft haben soll. Doch der deutsche Markt ist ungleich härter. Gleichzeitig wechselte Kaufland die internationale Einkaufsallianz – eine Übersetzung für: “Wir brauchen dringend bessere Einkaufskonditionen, um zu überleben.”
Ein besonders alarmierendes Zeichen: Im Juli 2025 verließ der Top-Einkäufer Andreas Schopper das Unternehmen, schneller als ursprünglich geplant. Wenn leitende Mitarbeiter überstürzt das sinkende Schiff verlassen, wissen sie oft mehr als die Öffentlichkeit.

Grund 7: Die Zukunft – Ein zweites “Real”-Szenario?
Die größte Frage ist: Was passiert 2026? Droht Kaufland das Schicksal von Real? Real, einst ein Gigant mit über 270 Filialen, hatte exakt die gleichen Formatprobleme: zu groß, zu teuer, zu unübersichtlich. 2020 wurde Real zerschlagen und filetiert.
Kaufland hat einen entscheidenden Vorteil: Es gehört zur Schwarz-Gruppe, dem Mutterkonzern von Lidl. Die Schwarz-Gruppe ist mit über 150 Milliarden Euro Umsatz der größte Einzelhändler Europas. Sie könnte Kaufland retten. Aber die Gruppe ist auch pragmatisch. Wenn Kaufland nicht profitabel ist, werden Konsequenzen gezogen.
Die Szenarien für 2026 sind düster: Weitere Filialschließungen sind wahrscheinlich. Eine Verkleinerung des Formats, ähnlich wie Lidl, würde die Aufgabe der eigenen Identität bedeuten. Eine Fusion mit Lidl gilt als unwahrscheinlich. Das wahrscheinlichste Szenario ist eine langsame Erosion: Kaufland macht weiter wie bisher, verliert stetig an Relevanz, bis eines Tages die Frage gestellt wird, warum es Kaufland überhaupt noch gibt.
Für langjährige Kunden ist diese Entwicklung tragisch. Kaufland steht 2026 an einem Scheideweg. Entweder das Unternehmen schafft eine radikale Wende hin zu mehr Hygiene, besserem Service und einem klaren Profil. Oder es geht den Weg von Real in die Bedeutungslosigkeit. Die nächsten zwölf Monate werden entscheidend sein. Und die Macht liegt bei den Kunden. Jeder Einkauf ist eine Abstimmung darüber, ob Kaufland eine Zukunft hat – oder ob es nur noch eine blasse Erinnerung an das ist, was es einmal war.