Es gibt Gesichter, die man kennt, bevor man sprechen kann. Stimmen, die so vertraut sind wie die der eigenen Eltern. Paul McCartney ist eine solche Konstante in unserer Welt. Er ist der charmante Beatle, der ewige Optimist, der Mann, der „Hey Jude“ singt und Stadien zum Leuchten bringt. Doch hinter der Fassade des höflichen Sir Paul, der von der Queen zum Ritter geschlagen wurde, verbirgt sich eine Geschichte voller Risse, Wut und tief sitzendem Schmerz. Ein Leben, das von Melodien getragen, aber von Verlusten und Konflikten geformt wurde.
Die Legende besagt, dass die Beatles an ihrem eigenen Erfolg zerbrachen. Doch die Wahrheit, die McCartney und Historiker über die Jahre zusammensetzten, ist persönlicher, intimer und schmerzhafter. Es geht um Eindringlinge in heiligen Räumen, um Liebe, die zu Hass wurde, und um Frauen, die das Schicksal des größten Songwriters aller Zeiten massiv beeinflussten – im Guten wie im Schlechten.
Die Frau auf dem Verstärker: Ein kalter Krieg
Wenn man Paul McCartney heute fragt, was das Ende der Beatles wirklich besiegelte, kommt man an einem Namen nicht vorbei: Yoko Ono. Es war nicht nur eine geschäftliche Entscheidung oder musikalische Differenz. Es war ein emotionaler Bruch, der sich physisch im Tonstudio manifestierte.
Stellen Sie sich vor: Vier Männer, die seit ihrer Jugend eine symbiotische Einheit bilden, eine fast telepathische Verbindung beim Musizieren haben. Und plötzlich sitzt da jemand. Mitten im Raum. Auf einem Verstärker. Yoko Ono, die neue Partnerin von John Lennon, wich ihm nicht von der Seite. „Es war eine Sache der Jungs gewesen“, gestand Paul später. Die Anwesenheit einer Außenstehenden, die nicht nur zuhörte, sondern ihre Meinung kundtat, Instrumente nutzte und den Raum einnahm, war für den kontrollbedürftigen Paul ein Affront.
Es entstand ein „kalter Krieg“. Paul fühlte sich an den Rand gedrängt. John, der von Yoko fasziniert war und in ihr eine neue künstlerische Freiheit sah, genoss es fast, wie sehr ihre Anwesenheit Paul irritierte. In einem Podcast von 2022 gab Paul zu: „Niemand in der Band mochte es, wie sie sich einmischte.“ Es war dieses stille Brodeln, das die Atmosphäre vergiftete. Paul versuchte krampfhaft, die Band zusammenzuhalten, übernahm die Führung, sagte den anderen, was sie spielen sollten – und trieb sie damit nur weiter weg. George Harrison fühlte sich wie ein Session-Musiker, Ringo Starr war schon einmal kurzzeitig ausgestiegen. Die Dammbrüche waren nicht mehr aufzuhalten.

Der bittere Nachhall: „How Do You Sleep?“
Der absolute Tiefpunkt dieser Entfremdung war nicht die offizielle Trennung im April 1970, sondern das, was danach folgte. Paul tat das Unaussprechliche: Er verklagte seine Freunde. Am 31. Dezember 1970 zog er vor den High Court in London, um die Partnerschaft der Beatles aufzulösen. Er sah keinen anderen Weg, um sein Erbe und das der Band vor dem Manager Allen Klein zu schützen, dem er zutiefst misstraute.
Für John Lennon war das der ultimative Verrat. Seine Antwort kam auf Vinyl gepresst und war von einer Grausamkeit, die Fans bis heute schaudern lässt. In dem Song „How Do You Sleep?“ (1971) rechnete John öffentlich mit Paul ab. Er nannte seine Musik „Muzak“ (Kaufhausmusik), behauptete, Paul habe nichts außer „Yesterday“ geschaffen, und sang höhnisch: „Das Einzige, was du getan hast, war Yesterday.“ Dass ausgerechnet George Harrison auf diesem Track Gitarre spielte, war für Paul wie ein Messerstich von zwei Seiten.
Jahre der öffentlichen Schlammschlacht folgten. Briefe wurden über die Presse ausgetauscht, Beleidigungen flogen hin und her. Es war das traurige Schauspiel einer zerbrochenen Bruderschaft. Erst Jahre später, kurz vor Johns tragischem Tod 1980, fanden sie wieder zu einer vorsichtigen Annäherung. Doch der Schmerz, nie wirklich Lebewohl gesagt zu haben, begleitet Paul bis heute. „Es fühlt sich an, als würde man mit einem Geist streiten“, sagte er einmal über den Schatten Lennons, der immer über ihm liegt.
Ein neuer Albtraum: Die Heather-Mills-Saga
Während Yoko Ono der Katalysator für das Ende seiner ersten großen „Ehe“ mit den Beatles war, sollte eine andere Frau Jahre später für Chaos in seinem Privatleben sorgen: Heather Mills. Nach dem verheerenden Verlust seiner geliebten Frau Linda, die 1998 an Brustkrebs starb – demselben Schicksal, das schon Pauls Mutter ereilte, als er erst 14 war –, war Paul verletzlich. Er trauerte fast ein Jahr lang, weinte täglich.
Dann trat Heather Mills in sein Leben. Die Hochzeit 2002 sollte ein Neuanfang sein, doch sie endete in einem Rosenkrieg, der die Scheidung von Charles und Diana wie ein Kaffeekränzchen aussehen ließ. Die Vorwürfe, die während des Scheidungsprozesses 2008 ans Licht kamen, waren schockierend. Heather behauptete, Paul sei gewalttätig gewesen, habe sie gewürgt, über Tische geschubst und sie sogar mit dem abgebrochenen Stiel eines Weinglases in den Arm gestochen.
Paul schwieg eisern zu den Details, doch das Gericht sprach eine deutliche Sprache. Der Richter bezeichnete Heather Mills in seinem Urteil als „unberechenbar“ und „unehrlich“ (less than candid). Sie hatte 250 Millionen Dollar gefordert – eine Summe, die Pauls Lebenswerk hätte empfindlich treffen können. Am Ende wurden ihr „nur“ 24,3 Millionen Pfund zugesprochen. Für Paul war es das Ende eines öffentlichen Albtraums, der sein Image als „Nice Guy“ massiv bedroht hatte.

Schatten der Vergangenheit: Michael Jackson und der Verrat
Doch nicht nur in der Liebe wurde Paul enttäuscht. Auch in der Freundschaft musste er lernen, dass Geschäft oft vor Loyalität geht. In den 80ern arbeitete er eng mit Michael Jackson zusammen. Wie ein Mentor erklärte er dem King of Pop, wie wertvoll Musikrechte sind. „Das ist das große Geld“, soll er gesagt haben. Michael scherzte: „Eines Tages werde ich deine Songs besitzen.“
1985 machte Jackson die Drohung wahr. Er kaufte den ATV-Katalog, der die Rechte an den meisten Beatles-Songs enthielt, für 47,5 Millionen Dollar – und stach damit Paul aus, der selbst mitbieten wollte. Besonders bitter: Angeblich bevorzugte Yoko Ono den Verkauf an Jackson. Für Paul war es ein doppelter Verrat. Der Mann, den er als Freund betrachtete, hatte sein eigenes Werk, seine „Babys“, aufgekauft. Die Freundschaft zerbrach augenblicklich und wurde nie wieder gekittet.

Der Junge aus Liverpool, der überlebte
Trotz all dieser Rückschläge – der Tod der Mutter mit 14, der Verlust der Band, der Tod der Seelenverwandten Linda, die öffentlichen Demütigungen – ist Paul McCartney nicht zerbrochen. Er ist ein Überlebenskünstler.
Seine Wurzeln in der Arbeiterklasse von Liverpool, wo er als Junge Kohle auslieferte und in Fabriken fegte, gaben ihm die Härte, die man im Showgeschäft braucht. Er überlebte das Gefängnis in Tokio, wo er 1980 wegen Marihuana-Besitzes neun Tage in einer Zelle saß und Angst hatte, für sieben Jahre weggesperrt zu werden. Er überlebte künstlerische Flops wie den Film „Give My Regards to Broad Street“ und vernichtende Kritiken für seine ersten Solo-Gehversuche.
Heute, mit über 80 Jahren, füllt er immer noch Stadien. Er hat Frieden mit seiner Vergangenheit geschlossen – so gut es geht. Mit der Veröffentlichung von „One Hand Clapping“ im Jahr 2024 oder dem Erfolg des Albums „Egypt Station“ beweist er, dass seine Relevanz ungebrochen ist. Und vielleicht ist das seine größte Rache an allen Kritikern, Feinden und Ex-Frauen: Er ist immer noch da. Er singt immer noch. Und am Ende ist es seine Stimme, die bleibt, während der Lärm der Skandale verhallt.
Die Geschichte von Paul McCartney ist nicht nur die eines genialen Musikers. Es ist die Geschichte eines Mannes, der lernte, dass man im Leben oft alles verlieren muss – die Mutter, die Band, die Rechte an der eigenen Kunst –, um sich selbst zu finden. Und vielleicht hat er Yoko Ono nie wirklich verziehen, dass sie auf diesem Verstärker saß. Aber er hat gelernt, die Musik einfach lauter zu drehen.