Die politische Landschaft Deutschlands gleicht zunehmend einem ausgetrockneten Sumpf, in dem die ehemals so selbstsicher wirkenden Frösche der etablierten Parteien ratlos verharren. Dies ist die zynische, doch treffende Metapher, die der bekannte Kommentator Jörges kürzlich nach der Kabinettsklausur um Kanzler Scholz, Klingbeil und Dobrind bemühte. Während die Bundesregierung die große Wende beschwören wollte, offenbarte die Pressekonferenz ein Bild der Stagnation und einer bemerkenswerten Ignoranz gegenüber den drängendsten Problemen des Landes. Die Brandmauer zur AfD, lange Zeit ein unumstößliches Dogma, gerät unterdessen massiv ins Wanken, während der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), mit einer verzweifelten Kampfansage die drohende Machtübernahme der AfD abzuwehren versucht. Doch die Rufe nach einer radikalen Kursänderung werden lauter – auch aus den Reihen der Union selbst.
Kabinettsklausur: Ein Sumpf der Bürokratie und versäumter Chancen
Die Erwartungen an die Kabinettsklausur waren hoch, insbesondere im Hinblick auf eine dringend benötigte Entbürokratisierung. Doch das Fazit von Jörges ist vernichtend: „Die Endbürokratisierung müsste in den Hirnen dieser drei Koalitionshäuptlinge beginnen.“ Anstatt konkrete Lösungen für die überbordende Bürokratie zu präsentieren, die Kleinunternehmer, Handwerker und Normalbürger gleichermaßen lähmt, wurde über „alles Mögliche geredet, aber nicht über Bürokratie und nicht über Entbürokratisierung.“ Das Ergebnis? Fehlanzeige. Nicht ein einziger Satz zum Kernthema.
Für einen Bäckermeister, der vom Fernseher saß und hoffte, sein Leben würde bald leichter werden, gab es keinerlei Antworten. Die Koalitionsspitzen haben diese essenzielle Frage offenbar dem Digitalminister überlassen und fühlen sich selbst nicht zuständig. Jörges’ Empörung ist spürbar: „Boah, was für eine missratene, vergurkte Pressekonferenz! Unfassbar! Ich frage mich, ob die es jemals begreifen, wie sie zu ihrem Volk reden müssen und wie sie die Erwartungen, die sie selbst geweckt haben, wieder einfangen oder noch besser, erfüllen.“ Stattdessen sei das Thema Entbürokratisierung schlichtweg „weggesuppt“.
Dieses Versagen der Ampel-Koalition, bürgernah zu agieren und die realen Probleme der Bevölkerung anzupacken, ist laut Jörges einer der Hauptgründe für den unaufhaltsamen Aufstieg der AfD. Eine Partei, die aus der Unfähigkeit der etablierten Politik, zu regieren und zuzuhören, ihre Stärke zieht.
Haseloffs Kampfansage und die AfD als Hauptkonkurrent
Parallel zur offensichtlichen Ratlosigkeit der Bundesregierung spitzt sich die Lage in den Ländern dramatisch zu. In Sachsen-Anhalt, wo Reiner Haseloff (CDU) noch amtierender Ministerpräsident ist, herrscht die offene Angst vor einer AfD-Machtübernahme. Haseloff, der selbst nicht mehr antreten wird, hat eine klare, wenn auch verzweifelte Ansage gemacht: „Entweder wir oder die AfD.“ Der Hauptkonkurrent für die etablierten Parteien ist Ulrich Sigmund von der AfD.
Alice Weidel, die Vorsitzende der AfD, kommentierte Haseloffs Äußerungen auf X mit beißendem Spott: „Die AfD wolle ein völlig anderes Land, klagt Reiner Haseloff. Stimmt! Statt Deutschland weiter mit Rekordschulden, Massenmigration und Klimawahn zu ruinieren, wollen wir zurück zu Vernunft.“ Weidel spricht hier einen Nerv an, der viele Wähler umtreibt und die CDU zunehmend in Bedrängnis bringt. Als Beispiel führt sie einen 20.000-Euro-Zuschuss für ein Islamistenfest in Berlin an: „Die CDU hat inzwischen jedes Maß im Umgang mit Steuergeldern verloren, während sie gefährliche Ideologien hofiert, statt sie zu bekämpfen.“
Ein Kolumnist analysiert Haseloffs „Kampfansage“ als klare Wahlkampfstrategie, die bereits in der Vergangenheit, etwa bei Dietmar Woidke (SPD) in Brandenburg, erfolgreich angewendet wurde. Das Motiv: Wähler, die die AfD ablehnen, sollen dazu bewegt werden, die vermeintlich stärkste Anti-AfD-Kraft zu wählen, um eine AfD-Regierung zu verhindern. Dies mag kurzfristig zu Stimmengewinnen für die eigene Partei führen, birgt aber auch erhebliche Risiken. Es wirkt wie eine „Kapitulationserklärung“ und ist nicht sympathisch. „Alle gegen einen – das war schon auf dem Schulhof unbeliebt.“
Zudem grenzt diese Strategie die Wähler der AfD immer weiter aus, erklärt sie zu „Schmuddelkindern“, die von allen anderen bekämpft werden müssen. Eine solche Ausgrenzung wird diese Wähler jedoch nicht zurückgewinnen. Der Kolumnist betont, dass Haseloff selbst die „berechtigte Unzufriedenheit“ vieler Menschen im Land anerkennt – sei es in Wirtschaft, Sozialstaat, Migration, öffentlich-rechtlichem Rundfunk oder Meinungsfreiheit. Wenn man diese berechtigten Gründe für Unzufriedenheit anerkennt, sei eine „Alle-gegen-einen“-Strategie gegenüber der AfD nicht erfolgreich. Das Ergebnis werde sein, dass zwei Seiten profitieren: die Partei, die sich zum Haupthelden im Kampf gegen die AfD stilisiert (in Sachsen-Anhalt die CDU, in Mecklenburg-Vorpommern voraussichtlich die SPD), und paradoxerweise die AfD selbst, weil die politische Spaltung des Landes weiter vergrößert und stabilisiert wird. „Man sollte die parteipolitische Taktik beiseite lassen. Die Kernfragen sind ganz einfach: Es müssen die Probleme gelöst werden, die zur Wahl der AfD führen, und dann muss man sich auch über die AfD nicht mehr unterhalten.“
Die Brandmauer fällt: Ein Landrat fordert eine radikale Kehrtwende
Die Erkenntnis, dass ein „Weiter so“ die etablierten Parteien nicht weiterbringt und die „Brandmauer“ in ihrer bisherigen Form ein „Unfug“ ist, wie der Kolumnist feststellt, gewinnt auch innerhalb der CDU an Boden. Friedrich Merz’ Versprechen, die AfD zu halbieren, mündete in einer Verdopplung ihrer Wähleranteile – ein klares Indiz für das Scheitern der bisherigen Strategie.
Ein bemerkenswertes Beispiel für diese wachsende Einsicht kommt aus Mecklenburg-Vorpommern. Stefan Kerth, der von der CDU unterstützte parteilose Landrat von Vorpommern-Rügen – Merkels ehemaliger Wahlkreis –, fordert eine radikale Kursänderung. In einer Videobotschaft erklärte er wörtlich: „Die Brandmauer ist Unfug, sie hat die AfD gestärkt. Die CDU will mehr, aber die Brandmauer macht jeden Kurswechsel unmöglich.“
Kerth geht sogar noch weiter und fragt rhetorisch, warum die CDU nicht wenigstens Bedingungen formuliert – Personen, Aktivitäten und Programmpunkte –, die die AfD für eine Zusammenarbeit fallen lassen müsste. Er glaubt zwar, dass die AfD dies nicht tun würde, doch die bloße Formulierung solcher Bedingungen wäre ein Paradigmenwechsel. Kerth, der wegen der Migrationspolitik 2023 aus der SPD ausgetreten war, erklärt unmissverständlich: „Ohne die AfD ist ein Kurswechsel in dieser Migrationspolitik unmöglich.“
Er verweist auf den „Kontrollverlust“ seit 2015 und die daraufhin entstandenen Probleme, die von den linken Parteien seither verharmlost würden. Kerths Argumentation wird durch aktuelle Umfrageergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern untermauert, die die AfD mit deutlichem Abstand vor allem zur SPD sehen. Angesichts dieser Zahlen kann sich Landrat Kerth eine Regierungsbeteiligung der AfD ohne Gefahren vorstellen. Er weist darauf hin, dass in anderen europäischen Ländern „stark nationalistische Rechtsauslegerparteien immer mal wieder mitregieren und der Weltuntergang ausbleibt.“ Die Annahme, dass das „geschichtssensible Deutschland“ ohne Brandmauer „direkt zurück ins Dritte Reich rauschen“ würde, hält er für eine unrealistische Panikmache.
Die Zukunft der deutschen Politik: Spaltung oder Pragmatismus?
Die Debatte um die Brandmauer und den Umgang mit der AfD offenbart eine tiefe Zerrissenheit innerhalb der deutschen Politik und insbesondere der CDU. Einerseits die Angst vor dem Dammbruch und der Normalisierung einer rechtspopulistischen Partei, andererseits die pragmatische Erkenntnis, dass eine dauerhafte Ausgrenzung die Partei nur stärkt und die Lösung drängender Probleme verhindert.
Die Weigerung der etablierten Parteien, die tief verwurzelten Ursachen der Wählerunzufriedenheit – Bürokratie, Migration, wirtschaftliche Sorgen – ernsthaft anzugehen, treibt die Wähler in die Arme der AfD. Die Brandmauer hat sich nicht als Schutzschild erwiesen, sondern als ein Werkzeug, das die Wähler, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, noch stärker polarisiert.
Die Forderung nach einem Abriss der Brandmauer mag provokativ klingen, ist aber aus der Sicht vieler ein notwendiger Schritt, um eine erneute politische Handlungsfähigkeit herzustellen und die AfD in die politische Verantwortung zu zwingen. Ob die CDU und die anderen etablierten Parteien den Mut finden werden, diesen Paradigmenwechsel zu vollziehen, bleibt abzuwarten. Doch eines ist klar: Ein „Weiter so“ ist keine Option mehr in einem Deutschland, das sich an einem kritischen Scheideweg befindet. Die Diskussion darüber, welche Koalitionen in Zukunft denkbar sind und welche personellen Strukturen die Ministerien belegen sollten, ist dringender denn je – und die Bürger erwarten Antworten, die über leere Phrasen und ritualisierte Brandmauer-Sprüche hinausgehen. Deutschland braucht eine Regierung, die nicht nur über Probleme spricht, sondern sie auch löst. Die Zeit der Frösche im ausgetrockneten Sumpf muss ein Ende haben.