Es gibt Momente in der internationalen Diplomatie, die mit feiner Klinge ausgefochten werden, hinter verschlossenen Türen, in leisen Tönen. Und dann gibt es Momente wie diesen: laut, peinlich und für eine Seite absolut beschämend. Im Zentrum des Sturms steht Friedrich Merz, der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, der im November 2025 erneut bewiesen hat, dass das diplomatische Parkett für ihn oft eher einem Minenfeld gleicht. Sein Gegenspieler: Luiz Inácio Lula da Silva, der charismatische Präsident Brasiliens, der den deutschen Regierungschef mit einer Mischung aus mitleidigem Spott und südamerikanischer Lebensfreude regelrecht demontierte.
Der Auslöser: Ein Witz auf Kosten anderer
Alles begann harmlos, fast beiläufig. Friedrich Merz war zurück in Berlin. Hinter ihm lag eine Reise nach Brasilien, genauer gesagt nach Belém, dem Austragungsort der kommenden Weltklimakonferenz. Vor ihm saß die deutsche Wirtschaftselite beim Handelskongress. Ein Heimspiel für Merz. Hier fühlte er sich sicher, hier glaubte er, die Lacher auf seiner Seite zu haben.
Um die Vorzüge des Standorts Deutschland zu preisen – eine Taktik, die er in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation und schlechter Stimmung oft anwendet – griff er zu einem rhetorischen Mittel, das so alt wie billig ist: Er wertete andere ab, um selbst besser dazustehen. Er erzählte von seiner Reise und fragte rhetorisch in den Saal, wer von den mitgereisten Journalisten und Delegationsmitgliedern denn gerne in Belém geblieben wäre.
„Da hat keiner die Hand gehoben“, triumphierte Merz am Rednerpult. „Die waren alle froh, dass wir vor allen Dingen von diesem Ort, an dem wir da waren, in der Nacht von Freitag auf Samstag wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.“
Der Satz saß. Er war als Loblied auf die Heimat gedacht, wirkte aber wie pure Arroganz. Ein deutscher Kanzler, der über eine Gastgeberstadt in einem Schwellenland lästert, als wäre er gerade aus einem missglückten Abenteuerurlaub zurückgekehrt. Es war der klassische „Merz-Moment“: Ein Versuch, volksnah und direkt zu wirken, der stattdessen elitär und herablassend rüberkam.
Die Reaktion aus Brasilien: Charme statt Wut
In einer vernetzten Welt bleiben solche Sätze nicht in Berlin. Sie fliegen über den Atlantik, landen in den sozialen Netzwerken und schließlich auf dem Schreibtisch des brasilianischen Präsidenten. Lula da Silva, ein Veteran der politischen Bühne, hätte wütend reagieren können. Er hätte eine offizielle Entschuldigung fordern oder den deutschen Botschafter einbestellen können. Doch Lula wählte eine Waffe, gegen die Friedrich Merz machtlos ist: Humor und Charme.
Auf die Kritik angesprochen, reagierte Lula nicht beleidigt. Er reagierte wie ein Gastgeber, der einen Gast bedauert, der die Party nicht verstanden hat. „Wenn März im Bundesstaat Pará, dessen Hauptstadt Belém ist, eine Bar besucht, gespeist und getanzt hätte, hätte er die Vorzüge gegenüber Berlin kennengelernt“, sagte Lula süffisant.
Bumm. Das saß.
Mit diesem einen Satz entlarvte Lula das Problem: Es lag nicht an Belém, es lag an Merz. Wer nur in klimatisierten Konferenzräumen sitzt, wer nicht in die Kultur eintaucht, wer nicht „tanzt“ – ein Bild, das bei dem oft steif wirkenden Merz fast schon komisch anmutet –, der kann die Schönheit eines Ortes nicht begreifen. Lula drehte den Spieß um: Nicht Brasilien war unzureichend, sondern Merz war unfähig, es zu genießen.
Der Elefant im Porzellanladen
Dieser Vorfall reiht sich nahtlos ein in eine Serie von Fehltritten, die die Kanzlerschaft von Friedrich Merz prägen. Kritiker bezeichnen ihn schon lange als den „Elefanten im Porzellanladen“. Ihm fehlt, so scheint es, das Feingefühl für Zwischentöne, für die emotionale Lage seiner Gegenüber – sei es im Inland oder im Ausland.
Erst kürzlich sorgte sein Auftritt beim Deutschlandtag der Jungen Union für Kopfschütteln. Statt die Sorgen der Parteijugend ernst zu nehmen, bügelte er Kritik ab und forderte Gefolgschaft. Und nun Brasilien. Es ist ein Muster erkennbar: Merz sendet, aber er empfängt nicht. Er urteilt, aber er versteht nicht.

Die Arroganz, die aus seinen Worten über Belém sprach, ist symptomatisch für eine Haltung, die viele Deutsche auch im Umgang mit ihren eigenen Problemen spüren. Merz fordert „Leistung“, fordert „Optimismus“, fordert, man solle aufhören zu „jammern“. Doch wie wirkt das auf einen Bürger, der unter der Steuerlast ächzt, der im Stau steht, weil die Brücken marode sind, oder der Monate auf einen Facharzttermin wartet? Es wirkt wie Hohn.
Berlin vs. Belém: Ein gewagter Vergleich
Die Ironie an Merz’ Vergleich ist, dass Berlin selbst längst nicht mehr als das strahlende Vorbild für funktionierende Infrastruktur und Sicherheit gilt. Spötter nennen die Hauptstadt schon mal „Kalkutta an der Spree“ – wobei dieser Vergleich mittlerweile wohl eher eine Beleidigung für Kalkutta (oder eben Belém) wäre.
Berlin kämpft mit Verwaltungschaos, Clan-Kriminalität, dreckigen Straßen und einem Bildungsnotstand. Dass ausgerechnet der Regierungschef dieses Landes sich hinstellt und so tut, als sei die Rückkehr nach Deutschland die Rückkehr ins gelobte Land, zeugt von einem Realitätsverlust, der besorgniserregend ist.
Sicher, Deutschland ist eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt (auch wenn sie stagniert). Aber Lebensqualität bemisst sich nicht nur am BIP. Sie bemisst sich an Lebensfreude, an Kultur, an Wärme – Dinge, auf die Lula da Silva anspielte. Wenn Merz glaubt, dass niemand in Brasilien bleiben wollte, dann vielleicht deshalb, weil seine Delegation aus Menschen bestand, die seinen Blickwinkel teilen: Effizienz über alles, Genuss ist zweitrangig.
Die politische Dimension
Diplomatisch ist dieser Fauxpas mehr als nur eine Anekdote. Brasilien ist ein strategischer Partner, ein Schwergewicht im globalen Süden, ein entscheidender Akteur im Klimaschutz. Einen solchen Partner durch unbedachte Äußerungen zu vergrätzen, ist fahrlässig.
Es zeigt auch, dass Merz die Rolle Deutschlands in der Welt vielleicht falsch einschätzt. Das Zeitalter, in dem der europäische Mann mit dem Zeigefinger in die Welt reist und erklärt, was gut und was schlecht ist, ist vorbei. Länder wie Brasilien fordern Respekt auf Augenhöhe. Lula hat diesen Respekt eingefordert, indem er Merz nicht ernst nahm, sondern ihn wie einen ungezogenen Schuljungen behandelte.

Fazit: Ein Kanzler ohne Takt
Was bleibt von diesem Vorfall? Das Bild eines Kanzlers, der sich auf der Weltbühne bewegt wie ein Fremdkörper. Friedrich Merz mag wirtschaftspolitische Kompetenz besitzen, er mag rhetorisch geschliffen sein, wenn es um Zahlen geht. Aber Politik ist mehr als Bilanzbuchhaltung. Politik ist Beziehungspflege, Empathie und Respekt.
Lula da Silva hat Friedrich Merz einen Spiegel vorgehalten. Ob der Kanzler hineinschauen wird, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass er auch diesmal sagen wird: „Hört auf zu jammern, Deutschland ist toll.“ Aber vielleicht sollte er beim nächsten Mal, wenn er in der Welt unterwegs ist, einfach mal in eine Bar gehen und tanzen. Es könnte seinem Weltbild – und den deutschen Außenbeziehungen – guttun.
Bis dahin bleibt uns nur, mit einem Schmunzeln nach Brasilien zu blicken und “Obrigado, Lula” zu sagen – für diese Lektion in Sachen Coolness.