Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, der seine politischen Institutionen und nationalen Feiertage gleichermaßen erfasst hat. Nach den erschütternden Ereignissen im Bundesrat, die eine vermeintliche „Brandmauer“ gegen die AfD einrissen, folgte nun ein weiterer Schlag gegen das nationale Selbstverständnis: Der Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober, der eigentlich ein würdiges Gedenken an 35 Jahre Wiedervereinigung sein sollte, entpuppte sich als ein „purer Klamauk“ und ein „totaler Desaster“. Was als feierliche Zeremonie geplant war, wurde zu einer Bühne für politische Provokationen, fragwürdige künstlerische Darbietungen und eine Aushöhlung historischer Bedeutung. Dieses Ereignis hat die Diskussion um die Identität und den Zustand der deutschen Demokratie weiter angeheizt und ruft nach einer ernsthaften Reflexion über den Umgang mit unserer Geschichte und unseren Werten.
Die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit begannen im Saarland, was bereits aufgrund eines Bundesratsproports als ungewöhnlich wahrgenommen wurde. Doch die eigentliche Kontroverse entzündete sich an der Rede der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Statt sich auf die Errungenschaften der Einheit und das Gedenken an die Opfer des SED-Regimes zu konzentrieren, nutzte Rehlinger die Bühne, um ausführlich über ein mögliches AfD-Verbot zu sinnieren. Diese thematische Fehlleitung wurde von vielen als völlig unpassend empfunden und warf die Frage auf: Was hat eine Debatte über ein Parteiverbot mit der deutsch-deutschen Einheit zu tun? Es war der erste Hinweis darauf, dass die Organisatoren dieses bedeutenden Gedenktages offenbar den emotionalen Bezug zur Einheit verloren hatten und politische Grabenkämpfe über die eigentliche Botschaft stellten.
Die künstlerischen Darbietungen setzten den fragwürdigen Trend fort und führten zu einer regelrechten „Rap-Blamage“. Saarländische Rapper präsentierten ihre regionalen Beiträge, die zwar in einem anderen Kontext ihre Berechtigung haben mögen, bei einem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit jedoch völlig deplatziert wirkten. Man sah Darbietungen, die von vielen als lächerlich und unpassend für einen nationalen Gedenktag empfunden wurden. Ein Kommentator formulierte es treffend: „Der Mensch kann doch seinen saarländischen Rap machen, aber was bitte hat das bei einer Gedenkveranstaltung zum Tag der deutschen Einheit zu tun?“ Diese Entscheidung zeugt von einem erschreckenden Mangel an Fingerspitzengefühl und dem Unvermögen, die Feierlichkeiten mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Würde zu gestalten. Sie trug maßgeblich dazu bei, dass der Tag der Einheit zu einem Tag der Demütigung für viele Deutsche wurde.
Auch die politische Führung trug ihren Teil zur Entfremdung bei. Friedrich Merz hielt eine Rede unter dem Motto „Feiern wir unsere Einheit in Vielfalt“, ein Slogan, der von Kritikern als inhaltsleer und von einer Marketingagentur ausgedacht empfunden wurde. Doch der Höhepunkt der internationalen Verwirrung war die Rede von Emmanuel Macron, dem Präsidenten von Frankreich. Obwohl die deutsch-französische Freundschaft von großer Bedeutung ist und unzählige Gelegenheiten bietet, sie zu feiern, wurde Macrons Auftritt am Tag der Deutschen Einheit als „abwegig“ und ohne echten Bezug zum Anlass kritisiert. „Es gibt keinen Bezug“, hielt der Kommentator fest. „Es ist ein auswendig gelerntes Exerzieren von solchen Ritualen, die niemand mehr wirklich versteht oder durchdringt.“
Diese Vorgehensweise wirft die grundsätzliche Frage auf, warum am Tag der Deutschen Einheit kein Bürgerrechtler, kein Held, niemand, der sich aktiv für die Einheit eingesetzt hat, zu Wort kommt. Wenn man mit einem anderen Land feiern wolle, so die Kritik, dann wäre es eher Amerika, dem Deutschland diese Einheit ganz wesentlich verdanke, nicht Frankreich. Die Organisatoren dieser Veranstaltung scheinen, so die ernüchternde Bilanz, mit Deutschland und der deutschen Einheit nur wenig anfangen zu können. Es fehle der emotionale Bezug zu diesem großen Tag, was zu einer „so nichts sagenden, eine so demütigenden Veranstaltung für dieses Volk“ führte.
Dabei sollten an diesem Tag nicht Emmanuel Macron, das AfD-Verbot oder saarländischer Rap im Vordergrund stehen. Vielmehr sollte das Gedenken den Opfern gewidmet sein – den Tausenden von Opfern des SED-Regimes, den gequälten und gefolterten Menschen in den Kellern und Kerkern der Staatssicherheit, in Bautzen und Hohenschönhausen. Wir sollten an die Toten und Ermordeten an der Mauer und an der innerdeutschen Grenze denken, an die Bürgerrechtler und Demonstranten in Leipzig und vielen anderen Städten, die ihr Leben aufs Spiel setzten für ein besseres, ein freieres Deutschland. Sie alle sind deutsche Helden, die an diesem Tag gewürdigt und geehrt werden sollten die bei einem Festakt zur deutschen Einheit sprechen sollten.
Ebenso wichtig ist das Gedenken an all die Menschen im Osten, die so viele Jahrzehnte der Unterdrückung erdulden mussten, die so viele Lebenschancen verpassten, aber in ihrem unbeirrbaren Willen zur Freiheit sich als die besten unter uns Deutschen erwiesen haben. Nicht zu vergessen sind die Politiker, die über Jahrzehnte auf diese deutsche Einheit hingewirkt haben: Ronald Reagan, Helmut Kohl, Ernst Reuter und all die großen Persönlichkeiten, die dafür gekämpft haben. Und schließlich gilt es auch, an die wenigen im Westen Deutschlands zu denken, die sich entgegen dem Zeitgeist und massivem Druck nicht davon abbringen ließen, für diese deutsche Einheit zu kämpfen, selbst wenn es unpopulär war. Persönlichkeiten wie Gerhard Löwenthal und Axel Springer, die ausgelacht und verhasst waren in ihrer Zeit, denen aber die Geschichte Recht gegeben hat.
Nichts von dem fand an diesem Festtag der Deutschen Einheit statt. Es war ein „leerer Tag“, eine „Aushöhlung der Geschichte“. Zudem wird kritisiert, dass der 3. Oktober sowieso der falsche Gedenktag sei – ein „nichtsagender, bürokratischer Tag“. Warum feiern wir nicht den 17. Juni, den Tag des Volksaufstandes, den eigentlichen Tag der deutschen Einheit? So macht man eine Nation, eine Demokratie und einen Nationalstaat schlichtweg lächerlich, wie es an diesem Tag geschehen ist.
Die Ereignisse rund um den Tag der Deutschen Einheit verdeutlichen eine tiefe Krise der Identität und des Gedenkens in Deutschland. Sie zeigen, dass die politische Klasse offenbar den Bezug zu den Wurzeln und den wahren Bedeutungen historischer Daten verloren hat. Statt Einigkeit zu stiften und die gemeinsame Geschichte zu ehren, werden nationale Feiertage zu Plattformen für parteipolitische Agenden und kulturelle Missverständnisse. Dies trägt zur weiteren Entfremdung der Bürger von ihren Institutionen bei und verstärkt das Gefühl, dass eine „alte Ordnung zerbrochen“ ist und eine „neue, unberechenbare Zeit begonnen“ hat, wie es bereits nach den Vorgängen im Bundesrat formuliert wurde. Es ist höchste Zeit für eine Rückbesinnung auf das Wesentliche und eine Neudefinition des Umgangs mit unserer nationalen Identität und unseren Gedenktagen, um die Erosion des Vertrauens in die Demokratie nicht weiter voranzutreiben.