Es gibt Momente in parlamentarischen Debatten, da zerreißt ein einziger Satz die aufgesetzte Ruhe und legt den blanken Nerv eines politischen Systems frei. Ein solcher Moment ereignete sich im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die Luft im Plenarsaal knisterte bereits, doch was dann geschah, war mehr als nur ein politisches Scharmützel. Es war ein Dammbruch.
Der AfD-Abgeordnete Ulrich Siegmund stand am Rednerpult. Die Debatte drehte sich um Finanzen, um Schulden, um die Zukunft des Landes. Doch Siegmund hob die Auseinandersetzung auf eine neue, existenziellere Ebene. Mitten in seine Rede hinein, nachdem er die CDU bereits der massiven Wählertäuschung bezichtigt hatte, stellte er eine letzte, persönliche Frage an das gesamte Plenum, an jeden einzelnen Abgeordneten der Altparteien.
„Wer von ihnen“, so rief Siegmund in den Saal, „ist denn wirklich bereit, seine Kinder oder Enkelkinder an der Front für die Interessen von Friedrich Merz zu opfern?“

Die Wirkung war unmittelbar. Zuerst eine Sekunde betretenen Schweigens. Kein einziger Arm ging hoch. Dann brach der Sturm los. Ein ohrenbetäubender Lärm aus Zwischenrufen, wütendem Gebrüll und Protestgeschrei erhob sich, primär aus den Reihen der CDU-Fraktion. Die Situation eskalierte so schnell, dass die Landtagspräsidentin eingreifen musste. „So jetzt mal stopp kurz!“, rief sie, versuchte, die tobende Menge zu beruhigen. „Jetzt kommen wir erstmal wieder runter… es muss zumindest die Chance bestehen, dass die Kollegen des Protokolls mitbekommen, was hier gesagt und manchmal auch gebrüllt wird!“ Die Sitzung war de facto unterbrochen.
Siegmund selbst, so ist es in den Aufzeichnungen zu sehen, beobachtete das Chaos mit einem spöttischen Lächeln. Er hatte sein Ziel erreicht. Als die Präsidentin ihm nach einer erzwungenen Pause das Wort zurückgab, legte er nach: „Es ging in diesem Raum kein einziger Arm hoch. Das ist für mich keine Überraschung.“
Dann folgte der Satz, der die moralische Kluft zwischen seiner Position und der seiner Gegner zementieren sollte: „Weil es sind nicht die Politikerkinder, die zuerst ihr Leben für die Interessen anderer verlieren. Es sind die Kinder der Handwerker, es sind die Kinder der Pfleger, es sind die Kinder der Verkäufer. Es sind die Kinder unseres Volkes.“
Dieser Eklat war der Höhepunkt einer Rede, die als Generalabrechnung mit der CDU unter Friedrich Merz konzipiert war. Siegmund, der von seinen Anhängern als einer der “krassen Männer” der AfD gefeiert wird, nutzte die Bühne des Landtags für einen frontalen Angriff auf die Glaubwürdigkeit der Christdemokraten. Der Vorwurf: massiver Wählerbetrug und charakterlicher Verfall.
Im Zentrum von Siegmunds Kritik stand das, was er als die “skandalöse Wählertäuschung” bezeichnete. Er erinnerte die CDU daran, dass sie im Wahlkampf die Schuldenbremse als zentrales Thema plakatiert hatte. Ein Versprechen, das, so Siegmund, keine 48 Stunden nach der Wahl gebrochen wurde. Stattdessen habe die CDU das “größte Schuldenpaket in der Geschichte dieser Bundesrepublik” geschnürt.
Für Siegmund war dies kein gewöhnlicher politischer Kompromiss. Er nannte es “menschlich und charakterlich einfach absolut verkommen”. Er warf den Abgeordneten vor, ihre Prinzipien für Mandate und Posten zu verkaufen. Der ganze “Irrsinn” in Deutschland, so seine Analyse, funktioniere nicht nur wegen Brüssel oder Berlin, sondern weil die Vertreter der Altparteien in den Landtagen, Kreistagen und Stadträten “alle mitspielen” und nicht den “Mumm haben, mal dagegen aufzustehen”.
Um seine Anklage zu untermauern, zog Siegmund ein Beispiel heran, das die Heuchelei innerhalb der CDU selbst entlarven sollte. Er zitierte den CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Wisch. Dieser habe, wie fast alle anderen, der “Schuldenorgie” zugestimmt – “für die Posten, für die Mandate, für die Macht”. Doch direkt danach, so Siegmund, habe Wisch sich “öffentlichkeitswirksam für seine eigene Abstimmung bei seinen Kindern und Enkelkindern dafür entschuldigt”. Ein Akt, den Siegmund als Inbegriff der CDU-Doppelmoral darstellte.
Als Gegenbeispiel lobte er den geschlossenen Austritt des CDU-Stadtverbands Kühlungsborn. Diese 15 Personen, so Siegmund, hätten “Mut” bewiesen und gezeigt, dass sie diese Politik nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können – ein Beispiel, an dem sich die anwesenden Abgeordneten eine Scheibe abschneiden sollten.
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Doch Siegmund beließ es nicht bei der Kritik an den Schulden selbst. Er ging einen Schritt weiter und attackierte den Verwendungszweck dieser gigantischen Neuverschuldung. Dies war die Brücke, die er zu seiner finalen, explosiven Frage baute.
Die “zweite Lüge”, so Siegmund, sei die Behauptung, das Geld sei für die Infrastruktur des Landes gedacht. Eine glatte Lüge, donnerte er. “In Wahrheit finanzieren sie damit größtenteils ihre Kriegspläne und die Träume Ihrer grünen Partner.” Er warf der CDU vor, sich “an alles zu verkaufen”, wenn der Preis stimme, inklusive der Verankerung der “Klimaneutralität” im Grundgesetz.
Siegmund legte konkrete Vorwürfe nach: Mit dem Geld auf Pump werde mittlerweile sogar die Unterbringung von Asylbewerbern finanziert, etwa in Hessen und Berlin – beides CDU-geführte Länder. Für die AfD sei damit der Beweis erbracht: “Wer CDU wählt, bekommt die Grünen.”
Diese These sei, so Siegmund, inzwischen sogar von Friedrich Merz persönlich bestätigt worden. Er zitierte den CDU-Vorsitzenden mit einer Aussage, die Merz kurz nach der Wahl getätigt haben soll: “Fast alles von dem, was wir jetzt vorschlagen, ist doch von den Grünen in der letzten Wahlperiode auch schon vorgeschlagen worden.” Für Siegmund ein klares Eingeständnis von Merz, dass er “die Interessen der Grünen jetzt in dieser Legislaturperiode umsetzen möchte.”
Vor diesem Hintergrund – der Verrat an den Wählern durch die Schuldenpolitik und die Umwidmung dieser Schulden für eine grüne Agenda und “Kriegspläne” – baute Siegmund seine finale Provokation auf. Er positionierte die AfD als die einzige Friedenskraft. Während die Welt sich nach Frieden sehne und “dank Donald Trump” in den USA eine Annäherung an Russland stattfinde, würden die deutschen Altparteien “zündeln”.
Er warf ihnen vor, “den Krieg um jeden Preis” zu wollen, ähnlich wie sie bei Corona “Angst unter den Menschen sehen” wollten, um ihre “verrückte Politik” durchzusetzen. Die AfD wolle zwar eine “starke Verteidigungsarmee”, so Siegmund, aber eben keine Angriffsarmee und keine Beteiligung an fremden Kriegen.
Und dann kam die Frage nach den Kindern.
Die Reaktion, das wütende Gebrüll der CDU, war für die AfD und ihre Anhänger die perfekte Bestätigung. Der Video-Kommentator des Kanals “UnzensiertTV”, der die Rede verbreitete, fasste es mit dem Sprichwort “Getroffene Hunde bellen” zusammen. Die CDU sei “völlig durchgedreht”, weil Siegmund die “wichtigen und richtigen Themen” angesprochen habe: die Schulden und ihre Verwendung für den Ukraine-Krieg.
Siegmund habe, so die Analyse des Kommentators, die “absolute Doppelmoral” aufgedeckt: Die CDU betreibe “Kriegstreiberei”, pumpe Milliarden in die Ukraine, aber ihre eigenen Kinder würden sie “natürlich nicht hinschicken”. Dafür solle “anderer Leute Kinder verfeuert werden”.
Der Eklat im Landtag von Sachsen-Anhalt ist mehr als nur eine weitere hitzige Debatte. Er ist ein Symptom für die unüberbrückbaren Gräben in der deutschen Gesellschaft. Auf der einen Seite ein politisches Establishment, das einen Kurs aus Schuldenaufnahme, grüner Transformation und militärischer Unterstützung der Ukraine als alternativlos verteidigt. Auf der other Seite eine Opposition, die genau diesen Kurs als “charakterlosen Verrat”, als “Wählertäuschung” und als “Kriegstreiberei” auf Kosten der “Kinder des Volkes” brandmarkt.
Die Frage, die Ulrich Siegmund in den Saal rief, mag provokativ, zynisch und für viele unerträglich gewesen sein. Aber die ohrenbetäubende, wütende Reaktion, die sie auslöste, hat gezeigt, dass er den wundesten Punkt der deutschen Gegenwartspolitik getroffen hat. Es ist die Frage nach dem Preis, den Deutschland zu zahlen bereit ist – und vor allem: wer diesen Preis am Ende bezahlen wird.