Komplett verloren: Wie die AfD im Brandenburger Oranienburg den sicher geglaubten Sieg verspielte und von der SPD gedemütigt wurde

Ein politisches Beben erschüttert den Osten, und sein Epizentrum liegt in einer Stadt, die bis vor kurzem als Symbol der neuen, blauen Hoffnung galt: Oranienburg in Brandenburg. Die Schlagzeilen, die an diesem Montagmorgen die Runde machen, sind ein Schock, nicht nur für die Alternative für Deutschland, sondern für alle, die an einen unaufhaltsamen Siegeszug der Partei im Osten geglaubt hatten. Die Medien schreiben von einem “Schock”, doch was in Oranienburg passiert ist, ist mehr als das. Es ist ein politisches Fanal, eine Demütigung und ein Desaster, das in seiner Deutlichkeit kaum zu überbieten ist.

Die AfD ist “komplett verloren”. Diese zwei Worte, hart und ungeschminkt, fassen das Ergebnis einer Stichwahl zusammen, die alles auf den Kopf stellt, was man über die politischen Verhältnisse in Brandenburg zu wissen glaubte. Die AfD, die Partei, die im Osten von Rekord zu Rekord eilt, hat nicht nur verloren. Sie wurde von einem Gegner geschlagen, den viele bereits für klinisch tot erklärt hatten: der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

Die Tragödie, wie sie von Anhängern der AfD empfunden wird, hat einen Namen: Anja Waschgau. Sie war die Frau, auf die alle Hoffnungen ruhten. Eine Kandidatin, die von ihren eigenen Reihen als “wirklich gut” beschrieben wurde, eine Frau, die einen “Top-Wahlkampf” hingelegt hatte. Nach der ersten Wahlrunde sah alles nach einem klaren Durchmarsch aus. Waschgau erzielte ein “Toppergebnis”, lag vorn und der Einzug ins Rathaus, der Posten der nächsten hauptamtlichen AfD-Bürgermeisterin, schien nur noch eine Formsache zu sein. Es war die Chance, einen weiteren Mosaikstein in die blaue Landkarte des Ostens zu setzen.

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Doch dann kam die Stichwahl. Und mit ihr das brutale Erwachen.

Das endgültige Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht. Anja Waschgau (AfD) erreichte lediglich 40,4 Prozent der Stimmen. Ihre Gegnerin, Jennifer Colin Feder von der SPD, triumphierte mit überwältigenden 59,6 Prozent. Ein Vorsprung von fast zwanzig Prozentpunkten. Eine Lawine, die alle blauen Hoffnungen unter sich begrub.

Diese Niederlage, so heißt es aus Parteikreisen, “tut natürlich weh”. Es ist nicht nur die verpasste Chance. Es ist die Art und Weise, wie sie zustande kam, und vor allem, wer der Sieger ist. Dass eine SPD-Kandidatin gewinnt – und das im Osten, im Herzen Brandenburgs –, ist ein Szenario, das in den Strategiepapieren der AfD offenbar nicht vorgesehen war.

Die Fassungslosigkeit über den Sieg der SPD ist mit Händen zu greifen. Die SPD! Eine Partei, die, wie Kommentatoren süffisant anmerken, im Rest des Ostens, in Sachsen oder Sachsen-Anhalt, “gefühlt schon unter 5 Prozent” liegt. Eine Partei, die in den Landtagswahlen darum “kämpft, überhaupt noch in die Parlamente reinzukommen”. Und ausgerechnet diese Partei, die in der bundespolitischen Wahrnehmung oft nur noch als Anhängsel einer kriselnden Ampel-Koalition wahrgenommen wird, gewinnt in Oranienburg eine Bürgermeisterwahl. Und das so deutlich.

Wie konnte das geschehen? Wie konnte eine Partei, die für die “aktuelle Lage” in Deutschland mitverantwortlich gemacht wird, einen solchen Sieg erringen? Diese Fragen brennen nun in der Luft.

Die Analyse dieses Wahldebakels fördert schmerzhafte Wahrheiten zutage. Offensichtlich hat in Oranienburg ein Mechanismus gegriffen, der für die AfD zur größten Gefahr wird: die “Brandmauer” aus Wählern. Es scheint, als habe die SPD es geschafft, nicht nur die eigenen, verbliebenen Stammwähler zu mobilisieren, sondern auch die Anhänger aller anderen Parteien hinter sich zu vereinen – von der CDU über die Grünen bis hin zur Linkspartei. Die Stichwahl wurde zu einem Referendum: für Jennifer Colin Feder, aber vor allem gegen Anja Waschgau.

Es war die klassische “Alle gegen Einen”-Situation. Während die AfD im ersten Wahlgang noch von einer zersplitterten Konkurrenz profitieren konnte, stand sie in der Stichwahl einer geschlossenen Front gegenüber. Der “Top-Wahlkampf” von Frau Waschgau, ihr Status als “gute Kandidatin”, all das verpuffte angesichts der fundamentalen Ablehnung, die ihre Parteizugehörigkeit bei der Mehrheit der Wähler anderer Lager auslöste. Die 40,4 Prozent dürften die harte, ideologische Kernwählerschaft der AfD in der Stadt widerspiegeln – doch keinen einzigen Wähler darüber hinaus.

Für die AfD-Strategen muss dies ein Albtraum sein. Es zeigt, dass die Partei zwar in der Lage ist, erste Wahlgänge zu dominieren, aber in den entscheidenden Stichwahlen, wenn es um die tatsächliche Machtübernahme geht, an einer gläsernen Decke zerschellt. Die Partei ist in der Breite (noch) nicht mehrheitsfähig. Sobald es darauf ankommt, einen “blauen” Bürgermeister zu verhindern, schließen sich die Reihen der “Altparteien” und ihrer Wähler.

Wahlen - AfD oder SPD – wer wird neue Bürgermeisterin in Oranienburg? -  Politik - SZ.de

Die Niederlage in Oranienburg stellt die gesamte Ost-Strategie der AfD infrage. Man hatte sich an die hohen Umfragewerte gewöhnt, an die Rolle des Jägers, der das Establishment vor sich hertreibt. Man sah sich als die wahre “Volkspartei” des Ostens. Doch dieses Ergebnis zeigt die Fragilität dieser Annahme. Es zeigt, dass eine Mehrheit der Ostdeutschen, selbst in Brandenburg, (noch) nicht bereit ist, der AfD die Verantwortung für ihre Rathäuser zu übergeben.

Die Enttäuschung sitzt tief. Es ist ein Gefühl der Ratlosigkeit, fast schon des Verrats. Man “kann das einfach nicht nachvollziehen”, hört man aus den Reihen der Anhänger. Es ist ein Gefühl, als hätte man gegen unsichtbare Regeln gespielt. Man hatte die beste Kandidatin, man hatte die Stimmung im Land auf seiner Seite, man hatte den Schwung des ersten Wahlergebnisses – und am Ende gewinnt der “Zombie” der deutschen Politik, die SPD.

Die Medien, so die Wahrnehmung im AfD-Lager, berichten mit kaum verhohlener Genugtuung über den “Schock” für die Partei. Die Niederlage wird als Beweis dafür gefeiert, dass die AfD eben doch zu schlagen ist, dass ihre Machtübernahme kein unabwendbares Schicksal sei. Für die AfD selbst ist es ein Weckruf. Es reicht nicht, Protest zu kanalisieren. Es reicht nicht, in der Opposition stark zu sein. Der Weg zur Macht ist steinig, und der Gegner ist zäher, als man dachte – oder er mobilisiert besser.

Besonders tragisch ist die Situation für die unterlegene Kandidatin selbst. Anja Waschgau hat einen engagierten Wahlkampf geführt, sie hat Gesicht gezeigt für eine Partei, die permanent im Kreuzfeuer der Kritik steht. Sie musste sich dem geballten Widerstand des gesamten politischen Establishments der Stadt stellen. Am Ende steht sie mit leeren Händen da, gedemütigt von einer Gegnerin, die politisch eigentlich als kaum noch relevant galt.

Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass Umfragewerte keine Wahlen gewinnen. Was bleibt, ist der Schmerz über eine verpasste “Chance”, die so schnell nicht wiederkommen mag. Oranienburg wird in die Geschichte der AfD eingehen, aber nicht als Triumph, sondern als Warnschuss. Als der Moment, in dem die Partei auf die härteste Art und Weise lernen musste, dass selbst im gelobten Osten die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

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Die Frage, die der Kommentator des ursprünglichen Videos in den Raum wirft, hallt nun durch die Gänge der Parteizentrale und die Echokammern der sozialen Medien: “Was sagt ihr zu diesem Ergebnis?” Es ist keine rhetorische Frage. Es ist der fassungslose Aufschrei einer Bewegung, die sich als Sieger sah und nun “komplett verloren” im Regen steht, während im Rathaus von Oranienburg die Sektkorken für die SPD knallen.

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