Es ist ein Moment von fast schon surrealer politischer Dreistigkeit, der sich in den sozialen Medien abspielt. Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident und Meister der politischen Inszenierung, hat ein Video veröffentlicht. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Doch der Inhalt, den er dort präsentiert, und die Tatsache, dass er es selbstbewusst in die Welt hinausträgt, lassen Beobachter fassungslos zurück. Söder, in gewohnter Manier, formuliert einen Satz, der wie ein Leuchtturm der Gerechtigkeit klingen soll, bei genauerem Hinsehen aber die tiefe Kluft zwischen politischer Rhetorik und der Lebensrealität von Millionen Deutschen offenbart. Er hat den Text zu seinem Video selbst zusammengefasst: “Ohne Leistung kann sich eine Gesellschaft nicht weiterentwickeln. Für uns ist klar: Leistung muss sich lohnen.”
Diese Worte, “Leistung muss sich lohnen”, hallen wie ein Echo durch ein Land, das in einer tiefen Vertrauenskrise steckt. Es ist ein Satz, der für viele Bürger nicht wie ein Versprechen, sondern wie blanker Hohn klingen muss. Denn wenn es ein Land gibt, in dem Leistung systematisch bestraft wird, in dem Fleiß und Engagement auf ein undurchdringliches Dickicht aus Steuern und Abgaben treffen, dann ist es Deutschland. Die unfassbare Aussage von Markus Söder ist nicht nur eine Behauptung; sie ist eine Provokation, eine Selbstentlarvung, die das ganze Ausmaß der politischen Heuchelei im Umgang mit den Leistungsträgern dieser Gesellschaft auf den Punkt bringt.
Was Söder hier als klare Haltung verkauft, ist bei Lichte betrachtet ein Schlag ins Gesicht für jeden Angestellten, jeden Facharbeiter, jeden Selbstständigen, der täglich versucht, sich und seiner Familie ein besseres Leben zu erarbeiten. Was bedeutet “Leistung” in Söders Deutschland wirklich? Schauen wir uns die Fakten an, die Söders populistische Fassade sofort zum Einsturz bringen. Wenn ein Bürger in Deutschland mehr leistet – sei es durch Überstunden, durch eine Beförderung oder durch den Aufbau eines kleinen Unternehmens – bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er “viel viel mehr hat”. Nein, es bedeutet vor allem eines: Er zahlt “viel viel mehr Steuern”.

Dieses System ist keine Erfindung von politischen Gegnern; es ist die knallharte Realität der deutschen Lohnabrechnung. Die kalte Progression, gepaart mit einem der höchsten Spitzensteuersätze der Welt, sorgt dafür, dass von jedem zusätzlich verdienten Euro ein immer größerer Teil direkt an den Fiskus abgeführt wird. Der Anreiz, mehr zu leisten, wird systematisch abtrainiert. Es ist ein System, das den Stillstand belohnt und den Fortschritt bestraft. Und ausgerechnet Markus Söder, ein Mann, der seit Jahren in höchsten politischen Ämtern sitzt und dieses System mitgetragen hat, stellt sich nun hin und tut so, als sei er der große Verfechter der Leistungsgerechtigkeit.
Noch absurder wird die Inszenierung, wenn man Söders Haltung zu anderen Kernthemen der Steuerpolitik betrachtet. Im selben Kontext spricht er von der Erbschaftssteuer. Es wird angemerkt, dass er ja “dagegen” sei. Er gibt sich als Beschützer des hart erarbeiteten Familienvermögens, als Kämpfer gegen den staatlichen Zugriff auf das Erbe. Doch die kritische Nachfrage bleibt: Er ist dagegen, “nur mal angemerkt, er hat sie immer noch nicht abgeschafft.”
Hier offenbart sich die ganze Strategie: Söder positioniert sich verbal gegen eine unpopuläre Steuer, nutzt die Empörung der Bürger für sein eigenes Image, unterlässt es aber, als einer der mächtigsten Politiker des Landes die notwendigen Schritte zur Abschaffung einzuleiten. Es ist das altbekannte Spiel: Reden statt Handeln. Die Bürger sollen sich mit der bloßen Ankündigung zufriedengeben, während die Realität unverändert bleibt. Es ist eine Beruhigungspille für das Volk, damit sich am Status quo, von dem das System profitiert, nichts ändert. Wie kann er glaubhaft fordern, dass sich Leistung lohnen müsse, wenn er gleichzeitig zulässt, dass die Lebensleistung von Generationen durch dieselbe Steuer zunichtegemacht wird, die er angeblich bekämpft?

Die vielleicht zynischste Wahrheit in diesem ganzen Schauspiel liegt jedoch in der Definition dessen, für wen sich Leistung in Deutschland tatsächlich lohnt. Die Analyse der Realität, die Söders Video so provokant ignoriert, ist brutal: Leistung lohnt sich in diesem Land erst dann so richtig, wenn man die Sphären des normalen Arbeitnehmers längst verlassen hat. Es wird ein Einkommen von 300.000 Euro genannt. Warum diese Zahl? Weil man dann, so die bittere Erkenntnis, den festen Steuersatz erreicht hat. Man zahlt die “Reichensteuer”, diese fast 50 Prozent, die als Höchstsatz definiert sind. Ab diesem Punkt kommt “nicht mehr drauf”. Wer 300.000 Euro verdient, wird prozentual nicht stärker belastet als jemand, der 800.000 oder eine Million verdient. Der Deckel ist erreicht.
Doch was ist mit all jenen, die Söder angeblich meint? Was ist mit dem “normalen Arbeiter”? Diese Spezies scheint ohnehin auszusterben; die Analyse im Quellmaterial ist klar: Bei 60.000 oder 70.000 Euro im Jahr spricht man heute schon lange nicht mehr von einem “Arbeiter”, sondern von einer “größeren Fachkraft”. Es ist diese Mittelschicht, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, die in diesem System zerrieben wird. Für genau diese Fachkraft, die sich abmüht, die Verantwortung übernimmt und vielleicht durch eine Gehaltserhöhung von 65.000 auf 75.000 Euro klettert, lohnt sich die Leistung eben nicht.
Diese zusätzlichen 10.000 Euro “mehr” auf dem Papier verwandeln sich nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben in einen Bruchteil dessen. Der Grenzsteuersatz frisst die Mehrleistung fast vollständig auf. Der Staat bestraft den Aufstieg. Söder ignoriert diese Realität. Er ignoriert, dass Deutschland ein Land ist, das seine Leistungsträger demotiviert und jene, die an die Spitze der Einkommenspyramide gelangt sind, nicht weiter belastet. Es ist ein System, das die Reichen schützt und die Mittelschicht ausblutet.
Söders Aussage ist daher mehr als nur eine leere Phrase. Sie ist eine bewusste Täuschung. Sie suggeriert eine Realität, die es für 95 Prozent der Bevölkerung nicht gibt. Er tut so, als sei er der Anwalt des “kleinen Mannes”, während die Politik, die er vertritt, genau diesen “kleinen Mann” daran hindert, durch eigene Leistung voranzukommen. Es ist der Versuch, sich als Problemlöser zu inszenieren, während er ein integraler Bestandteil des Problems ist.

Die Veröffentlichung dieses Videos durch ihn selbst ist der eigentliche Skandal. Es zeigt einen Mangel an Problembewusstsein, eine Arroganz der Macht, die davon ausgeht, dass die Bürger den Unterschied zwischen Worten und Taten nicht bemerken. Er wirft einen Köder aus – “Leistung muss sich lohnen” – und hofft, dass die Wähler anbeißen, ohne zu merken, dass der Haken daran die Realität der deutschen Steuerpolitik ist. Es ist ein durchsichtiges Manöver, das die Wähler für dumm verkauft. Die Gesellschaft kann sich ohne Leistung nicht weiterentwickeln, sagt Söder. Das ist korrekt. Doch er verschweigt, dass es seine Politik ist, die Leistung verhindert, bestraft und unattraktiv macht. Die Frage, die sich jeder Bürger stellen muss, ist: Wie lange lässt sich die Bevölkerung noch mit derart hohlen Phrasen abspeisen, während die Realität eine völlig andere Sprache spricht? Söders Video ist keine Antwort, es ist eine Anklage an das System, das er selbst repräsentiert.