Berlin-Grunewald, ein trüber Oktobertag im Jahr 2025. In einer der prächtigen Villen dieser noblen Gegend, einem Symbol für Reichtum und Erfolg, macht die Polizei am Morgen des 16. Oktober eine tragische Entdeckung. In seinem eigenen Haus wird die Leiche von Jack White (85) gefunden, einem der größten Musikproduzenten, die Deutschland je hervorgebracht hat. Er ist allein. Schnell macht das Wort „Suizidverdacht“ die Runde, auch wenn ein offizielles Todesermittlungsverfahren eingeleitet wird.
Die Nachricht schlägt ein wie ein Blitz. Jack White, der Mann, der Hits am Fließband produzierte, der hunderte Millionen Tonträger verkaufte, der über 400 Gold- und Platinauszeichnungen sammelte – tot, und das offenbar durch eigene Hand. Wie kann ein Leben, das von außen wie eine ununterbrochene Kette von Superlativen wirkte, in solcher Verzweiflung und Einsamkeit enden?
Um diese Frage zu beantworten, muss man die Geschichte von Horst Nussbaum erzählen. Denn bevor der Name Jack White zum Synonym für Chart-Erfolge wurde, jagte ein junger Mann aus Köln einem ganz anderen Traum nach. Geboren am 2. September 1940 als Sohn eines Metzgers, war seine erste große Leidenschaft nicht das Studio, sondern der Fußballplatz. Und er war außergewöhnlich gut. In den frühen 1960er Jahren war Horst Nussbaum Profifußballer. Er spielte für Viktoria Köln, wo ihn die legendäre Trainer-Ikone Hennes Weißweiler entdeckte. Sein Weg führte ihn über den FK Pirmasens bis in die höchste niederländische Liga zum PSV Eindhoven. Er war ein Kämpfer, ein zäher Abwehr- und Mittelfeldspieler, der wusste, wie man sich durchbeißt. Auch später, bei Tennis Borussia Berlin, blieb er dem Sport als Spieler, Präsident und sogar als erster Trainer der Damenmannschaft treu.

Doch schon damals schlug ein zweites Herz in seiner Brust. Während er auf dem Platz grätschte, träumte er von Melodien. Er versuchte sich selbst als Sänger, nahm ein paar Platten auf, doch der große Erfolg blieb aus. Horst Nussbaum erkannte mit klarem Verstand, dass seine wahre Berufung nicht vor dem Mikrofon, sondern dahinter lag – am Mischpult. Es war die Geburtsstunde von Jack White. Ende der 60er Jahre traf er die alles entscheidende Wahl. Sein erster Manager verpasste ihm den international klingenden Namen, und der Fußballer Nussbaum wurde zum Produzenten White.
Sein Aufstieg war kometenhaft. White hatte ein untrügliches Gespür, einen fast unheimlichen Instinkt für Hits. Er nannte sich selbst einen „Pfeifkomponisten“. Er brauchte keine Noten, nur eine zündende Idee, eine Melodie, die sich sofort im Ohr festsetzte. 1969 kam der Durchbruch: Mit Roberto Blanco und dem Titel „Heute so, morgen so“ gewann er das Deutsche Schlagerfestival. Danach gab es kein Halten mehr. Die 1970er Jahre wurden seine goldene Dekade. Alles, was er anfasste, verwandelte sich in Gold. Für Tony Marshall schrieb er „Schöne Maid“ und machte ihn über Nacht zum Star. Für Jürgen Marcus komponierte er „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ – eine Hymne, die bis heute auf keiner Schlagerparty fehlen darf.
Die Liste der Stars, mit denen er arbeitete, liest sich wie das „Who is Who“ der deutschen Musikgeschichte: Andrea Jürgens, Lena Valaitis, Roland Kaiser, Hansi Hinterseer. Seine Produktionen dominierten die Charts und die legendäre ZDF-Hitparade. Er war der unangefochtene König des deutschen Schlagers, ein Garant für kommerziellen Erfolg. Und als wolle er seine beiden Leben miteinander versöhnen, verband er seine Leidenschaften und schrieb 1974 für die deutsche Fußballnationalmannschaft den WM-Song „Fußball ist unser Leben“.
Doch Deutschland war Jack White nicht genug. Anfang der 80er Jahre wagte er den Sprung, den nur wenige deutsche Produzenten schaffen: Er ging nach Amerika. Und er bewies, dass seine Hitformel universell war. Sein internationaler Durchbruch war spektakulär. Für die US-Sängerin Laura Branigan produzierte er die Welthits „Gloria“ und „Self Control“. Die Songs stürmten weltweit die Charts und machten White zu einem global gefragten Mann. Es folgte eine unglaubliche Serie: Er produzierte „When the Rain Begins to Fall“ für Jermaine Jackson und Pia Zadora, ein ikonisches Duett der 80er.
Sein vielleicht größter internationaler Coup gelang ihm mit einem Schauspieler, der singen wollte: David Hasselhoff. White produzierte „Looking for Freedom“. Der Song wurde zur inoffiziellen Hymne des Mauerfalls. Die Bilder von Hasselhoff, wie er Silvester 1989 in einer blinkenden Jacke an der Berliner Mauer singt, sind unvergessene Momente der Zeitgeschichte. Den Soundtrack dazu hatte Jack White geliefert. Weltstars wie Paul Anka, Engelbert Humperdinck und Barry Manilow gaben sich bei ihm die Klinke in die Hand. Jack White aus Köln-Kalk hatte es geschafft. Er war an der absoluten Weltspitze angekommen.
Doch so viel Licht wirft unweigerlich auch Schatten. Hinter der Fassade des genialen Hitmachers verbarg sich ein knallharter Geschäftsmann. White war bekannt für seinen unbedingten Siegeswillen und seine oft kompromisslose Art. Er baute mit der Jack White Productions AG ein Firmenimperium auf, das die Rechte an Tausenden von Musiktiteln hielt. Sein Ruf in der Branche war zwiespältig. Die einen bewunderten sein Genie, die anderen kritisierten seine rücksichtslosen Methoden. Er selbst fühlte sich oft verkannt. In einem Interview 2010 klagte er, seine Leistung sei nie richtig gewürdigt worden: „Einen Tony Marshall würde es ohne mich nicht geben, keinen Hansi Hinterseer, keine Andrea Jürgens.“ Es klang verbittert, wie die Klage eines Mannes, der trotz allen Erfolgs nicht den Respekt spürte, den er seiner Meinung nach verdiente.
Auch sein Privatleben war ein ständiger Sturm. Er war viermal verheiratet, wurde Vater von insgesamt sieben Kindern. Seine Beziehungen und Trennungen füllten über Jahrzehnte die Klatschspalten. Der immense Druck der Branche, die Komplexität seines Imperiums und die Turbulenzen seines Privatlebens hinterließen Risse in der glänzenden Fassade.
Anfang der 2000er Jahre wurde es ruhiger um den Hit-Garanten. Die ganz großen Erfolge blieben aus. 2007 dann der tiefe Fall: Es kam zum endgültigen Bruch mit seiner eigenen Firma. Er musste das von ihm geschaffene Unternehmen im Streit verlassen. Es gab Vorwürfe des Missbrauchs von Insiderwissen. Für einen Mann, der es gewohnt war, an der Spitze zu stehen und alles zu kontrollieren, war dies eine unvorstellbare Demütigung.
Nach diesem beruflichen Rückschlag zog sich White zunehmend zurück. 2014 verkündete er in einer Fernsehshow von Florian Silbereisen offiziell das Ende seiner Karriere. Es schien, als suche er einen neuen Lebenssinn. Und er schien ihn in der Familie zu finden. 2015 heiratete er seine 44 Jahre jüngere vierte Ehefrau Rafaella. Die Beziehung sorgte für Aufsehen, erst recht, als White in hohem Alter noch einmal Vater wurde. 2019 kam Sohn Maximilian zur Welt, im Oktober 2023 folgte Tochter Angelina. White, nun über 80, schien in der Rolle des späten Vaters ein neues, ruhigeres Glück gefunden zu haben.
Doch es war ein zerbrechliches Glück. Die letzten Monate im Leben von Jack White waren von einer Abwärtsspirale aus gesundheitlichen und privaten Katastrophen geprägt. Ende 2024 erlitt er nach einem Sturz eine schwere Kopfverletzung und musste ins künstliche Koma versetzt werden. Er erholte sich zwar, doch während er um seine Gesundheit kämpfte, zerbrach seine Ehe. Anfang Oktober 2025 gaben Jack und Rafaella White ihre Trennung bekannt. Sie hatten schon eine Weile getrennt unter einem Dach gelebt, doch nun stand der endgültige Schritt bevor: Rafaellas Auszug mit den beiden kleinen Kindern.
Freunde und sein Anwalt beschrieben ihn in dieser Zeit als zutiefst niedergeschlagen. Der Mann, der sein Leben lang von Stars, Bewunderern und Geschäftspartnern umgeben war, sah sich plötzlich einer unerträglichen Leere gegenüber. Die Vorstellung, in der riesigen Villa allein zurückzubleiben, während seine junge Familie ein neues Leben begann, muss für ihn unerträglich gewesen sein. Am Abend vor seinem Tod wurde er noch gesehen, wie er allein in seinem Stammlokal, einem Italiener, saß. Was in den Stunden danach geschah, ist nun Gegenstand polizeilicher Ermittlungen. Fest steht nur das tragische Ergebnis.
Die Geschichte von Jack White ist eine Geschichte der Extreme. Sie wirft die ewige Frage nach dem Preis des Ruhms auf und nach der Einsamkeit, die sich selbst hinter der glänzendsten Fassade verstecken kann. Was bleibt von ihm? Unzählige Melodien, die ein fester Teil der deutschen und internationalen Musikgeschichte geworden sind. Lieder wie „Gloria“, „Self Control“ und „Looking for Freedom“ sind unsterblich. Sie werden weiter auf Partys und im Radio laufen.

Aber es bleibt auch die tragische Geschichte eines Mannes, der ein Imperium erschuf, aber am Ende den Halt zu verlieren schien. Eines Mannes, der Hunderten von Künstlern zu Ruhm verhalf, dessen eigenes Glück aber so zerbrechlich war. Jack White war eine komplexe, schillernde und widersprüchliche Figur – ein Fußballer, ein Visionär, ein knallharter Geschäftsmann und ein genialer Komponist. Sein Leben war ein lauter, ekstatischer Song, der am Ende ganz leise und tragisch verhallte. Seine Melodien aber bleiben für immer.