Es ist ein kühler Novembertag in Halle, doch die Luft ist elektrisch geladen. Zwei Welten prallen an diesem Ort aufeinander, getrennt nur durch wenige Meter und eine Wand aus Glas und Beton. Draußen, eine kleine, aber aggressive Gruppe von Gegendemonstranten, die sich als „Antifa“ bezeichnen. Ihre Waffen sind Trillerpfeifen, Plakate und gellende Rufe. Drinnen, eine völlig andere Realität: Tausende von Menschen, die in einer riesigen Schlange geduldig darauf warten, Einlass zu finden. Sie suchen keine Konfrontation. Sie suchen Bücher, Informationen und den freien Austausch.
Die Buchmesse in Halle, von Kritikern als „rechte Buchmesse“ gebrandmarkt, ist an diesem Tag nicht nur eine Verkaufsveranstaltung. Sie ist ein Symbol. Ein Symbol für eine tiefe gesellschaftliche Spaltung und die brennende Frage, was Meinungsfreiheit in Deutschland heute noch wert ist.
Wer das Messegebäude betritt, lässt den Lärm der Straße hinter sich und taucht ein in eine Atmosphäre, die von Besuchern als „erhebend“ beschrieben wird. „Hier ist so ein Aufbruchsgeist und so viel Wissen, so viel Hintergrundwissen, tolle Bücher, herrliche Verlage“, schwärmt eine Besucherin. Es ist ein Bild, das in scharfem Kontrast zur Dämonisierung von außen steht. Statt hasserfüllter Ideologen findet man eine „riesengroße Vielfalt“ an Ausstellern. Verlage wie COMPACT-TV berichten von hervorragenden Verkäufen und „sehr netten Kunden“.

Es ist ein „Klassentreffen“, wie es ein Teilnehmer nennt, aber auch ein Ort, an dem sich eine wachsende Subkultur der Öffentlichkeit präsentiert. Influencer wie Michelle and Gollon oder Iris Aschenbrenner sind präsenter denn je. Michelle, die nach eigenen Angaben kein einziges Buch geschrieben hat, ist überwältigt vom Zuspruch. „Gestern war es wirklich extrem“, erzählt sie. Für sie ist es ein surreales Gefühl, den Menschen in die Augen zu blicken, die sonst nur als stille Zuschauer ihre Videos konsumieren. Es sei diese direkte Dankbarkeit, die sie motiviert – etwa wenn eine Mutter erzählt, ihre Tochter denke durch die Videos nun anders über die Welt nach.
Auch Iris Aschenbrenner beschreibt die Spaltung, die sie wahrnimmt. Sie sei mit „Bammel“ (Angst) zur Messe gekommen, habe Schlimmes erwartet, wurde aber positiv überrascht: „Hier gibt’s viele gut angezogene Leute, viel mit Anzug, Sakko, schönen Schuhen“. Für sie ist die Messe ein notwendiges Korrektiv zu einer Welt voller „Fehlinformationen“, in der man sich wie in der „Truman Show“ fühle.
Der vielleicht prominenteste Gast, der Kabarettist Uwe Steimle, bringt die Stimmung auf den Punkt. Gekleidet in ein extravagantes Jackett der Marke „Edro“ („Ein Künstler hat sich ordentlich anzuziehen“), blickt er auf das Treiben und stellt fest: „Ich habe nur in freundliche Gesichter geguckt, alle waren herzlich“. Seine Bewunderung gilt der Organisatorin, Frau Dagen. „Ich frage mich, wo die Frau die Kraft hernimmt“, sinniert er. „Das kann man wahrscheinlich nur mit reinem Herzen machen“.
Steimle verteidigt das Konzept der Messe vehement. Er zitiert die Organisatorin: „Wir wollen eine freie Buchmesse sein, und jeder kann sich selber eine Meinung, ein Urteil bilden“. Genau das sei Demokratie. Dass die Gegenseite ein Gesprächsangebot von vornherein ausschlägt, sei hingegen „zutiefst undemokratisch“.
Genau diese Verweigerungshaltung wird sichtbar, als der Reporter der Veranstaltung den Rücken kehrt und sich den Demonstranten draußen stellt. Er versucht, ins Gespräch zu kommen, stellt eine sachliche Frage: Warum demonstrieren sie hier, anstatt selbst einen Stand zu mieten und die Besucher mit Argumenten zu überzeugen?
Die Antwort ist ein Schlag ins Gesicht des Dialogs. Zunächst kommt die ideologische Standardantwort: Man sei hier gegen „Rassismus, Sexismus, faschistische Ideologien“. Doch auf die Nachfrage, warum man nicht mit den Menschen rede, bricht die Kommunikation zusammen. „Red nicht mit dem Troll“, wird dem Reporter zugerufen.
Was folgt, ist ein Dokument der Sprachlosigkeit. Ein Chor von Demonstranten, viele von ihnen vermummt, skandiert minutenlang nur ein Wort: „Schäm dich! Schäm dich! Schäm dich!“. Als der Reporter nach ihrem „besten Argument“ fragt, wird der Hass unverhohlen. „Fickt euch!“, brüllt ein Demonstrant. Auf die Frage „Warum denn?“ kommt nur noch ein „Fick dich!“ zurück. Ein anderer zischt: „Weil du ein Idiot bist“.

Der Reporter bricht den Versuch ab. „Im Sinne der Wahrung des allgemeinen Friedens“ und angesichts der Tatsache, dass „ein wirklich konstruktives Gespräch hier nicht zustande kommt“, zieht er sich zurück. Das Bild, das bleibt, ist verheerend: Auf der einen Seite ein Angebot zum Diskurs, auf der anderen eine Wand aus Hass und Parolen.
Die vielleicht interessanteste Perspektive auf diese Spaltung liefert Antje Hermenau. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen in Sachsen bewegt sich selbstbewusst über die Messe. Auf die Frage, ob sie sich auf einer „rechten Buchmesse“ wohlfühle, antwortet sie gelassen: „Ich fühle mich wohl hier“. Sie sehe „konservative Bücher“, aber diese hätten „dasselbe Recht zu existieren wie alle anderen auch“.
Hermenau findet es befremdlich, dass ein „demokratisches Land wie Deutschland es nötig hat, zwei Buchmessen zu machen, weil die anderen sich nicht miteinander vertragen“. Den Lärm der Antifa draußen tut sie als „das übliche Spektakel und Krakele“ ab, das nur dazu diene, Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr Rat ist klar: „Man darf eben keinen Schritt zurücktreten“. Ihre Hoffnung ist, dass Deutschland irgendwann wieder fähig ist, „alle gegenseitig auszuhalten und auf einer Buchmesse friedlich nebeneinander unsere Gedanken austauschen zu können“.
Wie weit der Weg dorthin ist, zeigt ein Stand für Kinderbücher. Der Verleger wehrt sich gegen die Einordnung „Kinderbücher von rechts“. Er sei zwar rechts, aber seine Bücher seien einfach „gute Kinderbücher“. Er definiert sie über die Abgrenzung zum Mainstream: „Da findet man alles voll mit Transengeschichten, man findet irgendwelche bunten Multikultifamilien“. Seine Bücher seien für Eltern, die ihren Kindern „die echte Welt zumuten wollen“ – eine Welt, in der Gut und Böse existieren.
Es ist diese Schaffung einer Gegenkultur, einer Alternative, die den Kern der Messe ausmacht. Ein Teilnehmer reflektiert am Ende die Gefahr, dass man hier einen „Safespace“ erschafft, eine Echokammer, ähnlich wie auf der linken Seite. Doch er hält dies für eine Notwendigkeit. „Ich glaube, wir sind noch sehr weit davon entfernt“, sagt er, „weil wir viel zu wenig Safespace haben“. Die konservative Seite sei so oft in der Defensive, müsse sich ständig rechtfertigen. Ein Ort wie dieser sei daher essenziell, eine „absolute Wohlfühlatmosphäre“, um sich sicher auszutauschen.

Am Ende bleibt ein tief gespaltenes Bild. Die Buchmesse in Halle war ein triumphaler Erfolg für ihre Organisatoren und Aussteller, ein Beweis für eine lebendige, wachsende und diskussionsbereite Gegenöffentlichkeit. Gleichzeitig war sie eine Demonstration der tiefen Gräben, die durch das Land laufen. Während drinnen über Konservatismus, Familie und Nation philosophiert wurde, hallte draußen der Ruf „Fick dich!“ als einziges “Argument” der Gegenseite wider. Die Hoffnung, die viele Besucher teilen, ist, dass man irgendwann wieder lernen kann, voneinander zu lernen – von links wie von rechts. Bis dahin bleibt Halle ein Symbol dafür, wer in Deutschland den Dialog sucht und wer ihn mit Geschrei erstickt.