Es ist eine Geschichte, die leise erzählt werden muss, weil ihr Inhalt so laut schreit. Sie handelt von Ruhm und dessen Vergänglichkeit, von Applaus, der verstummt, und von einem Land, das verschwand und seine Helden gleich mitnahm. Wir erinnern uns an die großen Filme der DEFA, an die Straßenfeger wie „Polizeiruf 110“ oder die märchenhaften Kinderfilme, die ganze Generationen prägten. Doch was wurde aus den Menschen, die diesen Figuren Leben einhauchten? Die bittere Wahrheit ist: Viele der größten Schauspiellegenden der DDR erlebten nach dem Mauerfall keinen neuen Frühling, sondern einen eiskalten Winter. Sie starben nicht im Glanz ihres Lebenswerks, sondern oft in Armut, Einsamkeit und dem quälenden Gefühl, überflüssig geworden zu sein.
Der Bruch: Wenn ein ganzes Leben „abgewickelt“ wird
Der 9. November 1989 war für Millionen ein Tag der Freiheit. Doch für eine spezifische Gruppe von Künstlern markierte er den Anfang vom Ende. Mit der Auflösung der DEFA und der Umstrukturierung des Fernsehens brach für etablierte Schauspieler der Arbeitsmarkt fast vollständig zusammen. Es ging dabei nicht nur um das Alter. Es war eine kulturelle Säuberung der leisen Art. Neue Produzenten aus dem Westen suchten nach Gesichtern, die in das glatte, schnelle Format der neuen Zeit passten. Die „Ost-Typen“ – oft charakterstark, nachdenklich, mit Ecken und Kanten – galten plötzlich als altmodisch, als „zu grau“ oder schlichtweg als belastet.

Erwin Geschonneck: Der Nationalheld, den die Stille tötete
Nehmen wir Erwin Geschonneck. Ein Mann wie ein Denkmal. Er hatte das Konzentrationslager Dachau überlebt, war dem Tod mehrfach von der Schippe gesprungen und wurde in der DDR zum gefeierten Nationalhelden. Seine Darstellung in „Jakob der Lügner“ ist Weltklasse. Doch was blieb ihm am Ende? Als das System fiel, das ihn getragen hatte, fiel er ins Bodenlose. Keine Anrufe mehr, keine Drehbücher.
In seiner Berliner Wohnung, umgeben von Relikten einer vergangenen Zeit, formulierte er es einmal drastisch: „Ich habe den Tod überlebt, aber diese Einsamkeit bringt mich um.“ Es ist eine Tragödie, dass ein Mann, der so viel Würde ausstrahlte, am Ende seines Lebens kaum noch wahrgenommen wurde. Als er 2008 starb, gab es keinen Staatsakt. Er ging leise, fast unbemerkt – ein Schicksal, das symptomatisch für seine Generation steht.
Fred Delmare: Der kleine Mann mit dem großen Herz
Oder erinnern wir uns an Fred Delmare. In über 200 Filmen spielte er den „kleinen Mann“, den jeder mochte. Er war das Gesicht des Volkes, freundlich, offen, einer von uns. Doch die Wende kannte keine Sentimentalität. Die Studios schlossen, und Fred, der immer gearbeitet hatte, saß plötzlich zu Hause. „Früher kannte mich jeder, heute sieht mich keiner mehr“, sagte er einmal leise.
Seine letzten Jahre verbrachte er in einem Leipziger Pflegeheim. Es gibt Berichte, dass er dort oft vor dem Fernseher saß und lächelte, wenn er sich selbst in alten Filmen sah. Ein flüchtiger Moment des Glücks in einer Realität, die ihn vergessen hatte. Sein Tod im Jahr 2009 war den Nachrichten kaum eine Meldung wert. Ein Mann, der Millionen zum Lachen und Weinen gebracht hatte, wurde zu Grabe getragen, und die Welt drehte sich einfach weiter.
Die leisen Riesen: Kurt Böwe und Günter Naumann
Es waren oft die Stillen, die es am härtesten traf. Kurt Böwe, der legendäre Kommissar aus dem „Polizeiruf“, war kein Mann für das laute Showgeschäft des Westens. Er hasste Pathos und liebte die leisen Töne. „Früher wollte man wissen, wer du bist, heute fragt man, wofür du dich verkaufst“, soll er einmal gesagt haben. Ein Satz, der die ganze Verzweiflung einer Künstlergeneration zusammenfasst, die ihre Seele nicht dem Kommerz opfern wollte.
Ähnlich erging es Günter Naumann. Als „Chief“ in der Serie „Zur See“ war er der Inbegriff des verlässlichen, starken Mannes. Doch diese Art von Männlichkeit – unaufgeregt, solidarisch, arbeitend – war in den 90ern nicht mehr gefragt. Naumann sprach offen über die Altersarmut unter Künstlern. Viele seiner Kollegen mussten von beschämend kleinen Renten leben. Er selbst blieb bescheiden bis zuletzt, fegte nach Proben noch die Bühne, weil er sich nicht zu schade war. Er starb 2009 in Dresden, ohne Pomp, genau so anständig, wie er gelebt hatte.

Weibliche Schicksale: Helga Göring und Inge Keller
Auch die Frauen traf es hart. Helga Göring, die Mutter der Nation, die in Filmen wie „Die Buntkarierten“ das Herz der Zuschauer wärmte, fand im neuen Deutschland keinen Platz mehr. „Zu brav, zu ostig“, hieß es. Für eine Schauspielerin ihres Alters gab es keine Rollen mehr. Sie, die immer für andere da war, starb 2010 in einem Pflegeheim, weitgehend ignoriert von der Öffentlichkeit.
Ganz anders, aber ebenso tragisch, war der Weg von Inge Keller, der Grande Dame des Theaters. Sie war eine Instanz, bekannt für ihre Disziplin und ihren Intellekt. Sie spielte bis ins hohe Alter, doch sie spürte, dass das Publikum sie nicht mehr verstand. Die junge Generation hatte keinen Bezug zu ihrer Art der Kunst. Sie starb 2017 in einem Seniorenheim, stolz und aufrecht, aber letztlich allein. Eine Königin ohne Hofstaat.
Das Kinderlachen verstummt: Siegfried Seibt und Rolf Ludwig
Besonders schmerzhaft ist das Schicksal derer, die für das Kinderlächeln zuständig waren. Siegfried Seibt, das „Zaubermännchen“, kämpfte gegen den Krebs und spielte weiter, um den Kindern die Illusion nicht zu nehmen. Er starb früh, und mit ihm ging ein Stück Geborgenheit. Und Rolf Ludwig? Der König der DEFA-Märchenfilme? Der Mann mit dem Schalk im Nacken? Er zerbrach innerlich an der neuen Zeit. Der Alkohol wurde sein Fluchtweg aus der Einsamkeit. Er, der so viel Freude geschenkt hatte, fand für sich selbst keinen Trost mehr.
Intellektuelle im Abseits: Eberhard Esche und Peter Reusse
Männer wie Eberhard Esche und Peter Reusse, die den denkenden, zweifelnden Menschen verkörperten, wurden regelrecht aussortiert. Esche, der Star aus „Die Legende von Paul und Paula“, war zu ironisch, zu komplex für die glatten Soaps der Nachwendezeit. „Ich wollte nie reich sein, nur gebraucht“, schrieb er. Ein Wunsch, der ihm verwehrt blieb. Peter Reusse, sensibel und ehrlich, zog sich in seinen Garten zurück. Er fühlte sich entwurzelt. „Vielleicht war ich zu ehrlich für beide Systeme“, resümierte er.

Ein bitteres Fazit und ein Auftrag an uns
Die Liste ließe sich fortsetzen: Klaus-Peter Thiele, Ezard Haußmann, Ernst-Georg Schwill, Günther Schubert. Sie alle waren mehr als nur Schauspieler; sie waren Identifikationsfiguren. Sie verkörperten Werte wie Solidarität, Ehrlichkeit und Bescheidenheit. Dass sie in Armut und Vergessenheit starben, ist nicht nur ihr persönliches Unglück, sondern ein Armutszeugnis für unsere Erinnerungskultur.
Wir haben zugelassen, dass der politische Umbruch auch menschliche Biografien entwertet hat. Wir haben hingenommen, dass „Ost-Kunst“ pauschal abgewertet wurde. Doch diese Menschen haben uns etwas hinterlassen, das kein Systemwechsel zerstören kann: Ihre Filme, ihre Stimmen, ihre Kunst.
Es liegt an uns, sie nicht zu vergessen. Wenn wir heute einen alten DEFA-Film schauen, sollten wir nicht nur die Rolle sehen, sondern auch den Menschen dahinter. Menschen, die oft zerbrochen sind, damit wir unterhalten wurden. Wir schulden ihnen mehr als nur Applaus im Nachhinein – wir schulden ihnen Respekt. Ihr tragisches Ende mag in Armut geschehen sein, aber ihr Erbe ist reich. Halten wir es in Ehren.