Ein stürmischer Start: Kanzler Friedrich Merz und die Zerreißprobe seiner Regierung

Ein stürmischer Start: Kanzler Friedrich Merz und die Zerreißprobe seiner Regierung

Die 4 größten Probleme von Friedrich Merz

Es war ein historischer Moment für die Bundesrepublik Deutschland. Nach dem vorzeitigen Scheitern der Ampelkoalition wurde Friedrich Merz (CDU) im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt – ein Mann, der zuvor noch nie Regierungsverantwortung getragen hatte und nun an der Spitze einer Koalition aus Union und SPD steht. Sein zentrales Versprechen im Wahlkampf war klar und unmissverständlich: Er wolle es besser machen, das Land einen und entschlossen voranbringen. „Ich möchte, dass Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, schon im Sommer spüren: Hier verändert sich langsam etwas zum Besseren, es geht voran“, verkündete er in seiner ersten Regierungserklärung am 14. Mai 2025. Doch der Sommer ist gekommen, und die erhoffte Aufbruchstimmung ist einer tiefen Ernüchterung gewichen.

Die Umfragewerte zeichnen ein düsteres Bild. Nur etwas mehr als ein Drittel der Deutschen ist mit der bisherigen Arbeit des Kanzlers zufrieden – kaum besser als die Werte seines Vorgängers Olaf Scholz kurz vor dem Ende der Ampel. Die große Trendwende, die Merz versprochen hatte, ist nicht in Sicht. Stattdessen sieht er sich mit einer wachsenden Zahl von Problemen konfrontiert, die seine Autorität untergraben und die Stabilität seiner Regierung gefährden. Von einer Koalitionskrise ist bereits die Rede. Doch was sind die wahren Ursachen für diesen holprigen Start? Eine Analyse seiner vier größten Herausforderungen zeigt ein komplexes Geflecht aus Wortbruch, internen Machtkämpfen und globalen Krisen.

Problem 1: Die schwindende Glaubwürdigkeit

Das Fundament jeder politischen Führung ist Vertrauen. Doch genau dieses Fundament bröckelt bei Friedrich Merz bedenklich. Der Grund dafür liegt in einer Reihe von Widersprüchen zwischen seinen früheren Positionen und seinem heutigen Handeln als Kanzler. Über Jahre hinweg profilierte er sich als unerschütterlicher Hüter der Schuldenbremse und als scharfer Kritiker jeglicher Neuverschuldung. „Wir dürfen unseren Kindern nicht immer mehr Schulden hinterlassen“, erklärte er noch im November 2024. Ein Interview im Magazin „Focus“ Ende 2023 unterstrich diese Haltung: Er sehe „keine Notwendigkeit, über eine Reform oder gar eine Abschaffung der Schuldenbremse zu sprechen“. Das gelte, so Merz, „auch morgen und übermorgen noch“.

Merz Losing Germany’s Trust? Chancellor Faces Deepening Public Doubt | WION  Race To Power

Doch nach der Wahl war plötzlich alles anders. Unter der Führung ebenjenes Friedrich Merz beschloss der Bundestag eine weitreichende Reform der Schuldenbremse und ein massives Schuldenpaket in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro für die kommenden zwölf Jahre. Es war die 180-Grad-Wende eines Mannes, der sein politisches Kapital auf dem Versprechen der finanzpolitischen Solidität aufgebaut hatte. Für seine Kritiker war dies ein klarer Wortbruch, für seine Anhänger eine schmerzhafte Realitätspolitik, die an seiner Glaubwürdigkeit nagt.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei seiner Haltung gegenüber politischen Gegnern. Im Wahlkampfendspurt in München rief er seinem Publikum energisch zu: „Links ist vorbei! Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland!“ Er sprach von „grünen und linken Spinnern“ und versprach eine klare politische Abgrenzung. Doch auch hier holte ihn die Realität ein. Als er im ersten Wahlgang für das Kanzleramt scheiterte, suchte die Union das Gespräch mit der Fraktion der Partei „Die Linke“, um eine Wiederwahl noch am selben Tag zu sichern – eine Absprache, die einem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU eigentlich widerspricht. Und um die Reform der Schuldenbremse durchzusetzen, arbeitete er eng mit den Grünen zusammen, jener Partei, die er kurz zuvor noch scharf attackiert hatte. Diese pragmatischen Manöver mögen aus machtpolitischer Sicht notwendig gewesen sein, doch sie hinterlassen den bitteren Nachgeschmack des Opportunismus. Wer heute das eine sagt und morgen das andere tut, verspielt das Vertrauen der Wähler.

Problem 2: Die Zerreißprobe in der Koalition

Germany Election: Friedrich Merz to 'Intensify' Coalition Talks With SPD |  World News | WION

Die Ampelkoalition scheiterte letztlich am permanenten öffentlichen Streit zwischen den Partnern. Friedrich Merz wollte genau das vermeiden. „Problemlösend, ohne öffentlichen Streit“, so lautete das Credo seiner Regierungserklärung. Doch dieser Vorsatz hielt nur wenige Wochen. Der Bruch manifestierte sich bei einem scheinbaren Routinetermin: der Wahl dreier neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht.

Nach einem eingespielten Verfahren hatten Union und SPD ihre Kandidaten nominiert und sich gegenseitig Unterstützung zugesagt. Doch dann geriet eine der SPD-Kandidatinnen, die renommierte Juraprofessorin Kubrosius-Gerstorf, ins Visier von konservativen und Abtreibungsgegnern im Netz. Ihr wurden umstrittene Äußerungen zu Themen wie einer möglichen Impfpflicht und Schwangerschaftsabbrüchen vorgeworfen. Eine massive Protestkampagne wurde gestartet, bei der Zehntausende E-Mails an Abgeordnete der Union verschickt wurden.

Der öffentliche Druck zeigte Wirkung. Anfangs von der Union noch ignoriert, wurde die Stimmung immer aufgeheizter. Am Tag der Wahl konnte der Fraktionsvorsitzende der Union, Jens Spahn, nicht mehr garantieren, dass alle Abgeordneten seiner Fraktion für die SPD-Kandidatin stimmen würden – trotz vorheriger Zusage. Das Ergebnis war ein Desaster: Die Wahl wurde kurzfristig abgesagt und verschoben. Offiziell begründete die Union dies mit Plagiatsvorwürfen gegen die Kandidatin, für die es jedoch bis heute keine eindeutigen Belege gibt. Die SPD fühlte sich vom Koalitionspartner hintergangen und sprach von unfairem Spiel. Der Vorfall offenbarte nicht nur die tiefe Uneinigkeit innerhalb der Regierung, sondern auch, dass Friedrich Merz seine eigene Fraktion nicht mehr im Griff hatte und sich von Stimmungen im Internet treiben ließ.

Problem 3: Die Altlast Jens Spahn

Eine Schlüsselfigur in diesem Drama ist Jens Spahn, ehemaliger Bundesgesundheitsminister und nun Fraktionschef der Union. Er ist einer der mächtigsten, aber auch umstrittensten Politiker an der Seite von Merz. Seine Vergangenheit während der Corona-Pandemie wirft einen langen Schatten auf die aktuelle Regierung. Ein Anfang Juli 2025 veröffentlichter Bericht, in Auftrag gegeben von seinem Nachfolger Karl Lauterbach, zeichnet ein verheerendes Bild von Spahns Amtszeit.

Demnach soll Spahn bei der Beschaffung von Masken und Schutzkleidung Ausschreibungsregeln missachtet, Warnungen aus dem eigenen Ministerium ignoriert und den Staat einem enormen finanziellen Risiko ausgesetzt haben. Der Bundesrechnungshof spricht von möglichen Schäden in Höhe von rund 2,3 Milliarden Euro, für die am Ende der Steuerzahler aufkommen müsste. Die politische Opposition fordert einen Untersuchungsausschuss, um die Vorgänge lückenlos aufzuklären. Doch dafür bräuchte es die Stimmen der SPD. Bisher schützt der Koalitionspartner die Union und verzichtet darauf – doch nach der gescheiterten Richterwahl könnte sich das Blatt wenden. Ein Untersuchungsausschuss wäre für Friedrich Merz eine Katastrophe. Er steht hinter Spahn, den er als Fraktionschef dringend braucht. Müsste Spahn aufgrund von nachgewiesenem Fehlverhalten zurücktreten, würde dies auch den Kanzler schwer beschädigen. Dieses Dilemma lähmt die Regierung und vergiftet das ohnehin schon angespannte Verhältnis zur SPD.

Problem 4: Der Druck der äußeren Umstände

Als wäre die innenpolitische Lage nicht schon kompliziert genug, sieht sich Friedrich Merz einer Weltlage gegenüber, die von Krisen und Konflikten geprägt ist. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert an, die Lage im Nahen Osten bleibt explosiv, und eine unberechenbare US-Regierung fordert Europa mit einer aggressiven Zollpolitik heraus. Diese globalen Brandherde fordern die ständige Aufmerksamkeit des Kanzlers. Er ist gezwungen, viel Zeit auf internationalem Parkett zu verbringen, was ihm wiederum innenpolitisch schadet.

Die Kritik wächst, Merz kümmere sich mehr um das Ausland als um die Probleme zu Hause. Der direkte Kontakt zur Parteibasis und zur Bevölkerung leidet. Diese Zwickmühle zwischen globaler Verantwortung und nationalen Erwartungen zermürbt nicht nur den Kanzler, sondern auch das Vertrauen der Bürger, die sich eine stärkere Konzentration auf ihre eigenen Sorgen wünschen.

Friedrich Merz selbst gibt sich im Sommerinterview der ARD gelassen und spricht davon, dass im Großen und Ganzen alles nach Plan verlaufe. Doch die Realität sieht anders aus. Seine Kanzlerschaft steht nach nur wenigen Monaten an einem kritischen Punkt. Die Kombination aus verlorener Glaubwürdigkeit, tiefem Misstrauen innerhalb der Koalition, belastenden Altlasten und dem unerbittlichen Druck der Weltpolitik hat eine explosive Mischung geschaffen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob es Friedrich Merz gelingt, das Ruder herumzureißen und die Probleme zu lösen, oder ob sein Versprechen eines politischen Neuanfangs als eine der größten Illusionen in die deutsche Geschichte eingehen wird.

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