Sch0ck am Oktoberfest: Nach rätselhafter B0mbendr0hung rücken Spürhunde aus ganz Bayern an – Polizei durchsucht hektisch das Gelände, Besucher in Angst und Aufruhr, niemand weiß, ob die Gefahr real ist oder ein mak4brer
Ein gespenstische Stille legte sich über die Theresienwiese, wo normalerweise das laute Lachen von Millionen, das Klirren der Maßkrüge und die Klänge der Blaskapellen das unverkennbare Geräusch des größten Volksfestes der Welt formen. Doch an diesem Mittwoch war alles anders. Das Oktoberfest, Inbegriff bayerischer Lebensfreude und ein Magnet für Besucher aus aller Welt, war abgeriegelt, die Eingänge von schwer bewaffneten Polizisten bewacht. Der Grund: eine Bombendrohung, die München in einen Zustand der Anspannung versetzte und deren Ursprung in einem schrecklichen Drama lag, das sich nur wenige Kilometer entfernt abspielte.
Der Albtraum begann in den frühen Morgenstunden im beschaulichen Stadtteil Lerchenau im Münchner Norden. Gegen 4:40 Uhr rissen explosionsartige Geräusche die Anwohner aus dem Schlaf. Flammen schlugen aus einem Einfamilienhaus, ein Transporter in der Nähe stand lichterloh in Flammen. Was zunächst wie ein tragischer Brandunfall aussah, entpuppte sich schnell als ein Szenario des Schreckens. Die eintreffenden Einsatzkräfte von Feuerwehr und Polizei sahen sich nicht nur mit einem Großbrand konfrontiert, sondern mit einer tödlichen Gefahr: Das Haus war mit Sprengfallen präpariert.
Diese schreckliche Entdeckung verwandelte den Einsatzort schlagartig in eine Hochsicherheitszone. Spezialkräfte zur Entschärfung von Sprengsätzen wurden hinzugezogen. Ein Evakuierungsradius von 200 Metern wurde eingerichtet, Hunderte Anwohner mussten ihre Häuser verlassen, eine nahegelegene Schule blieb geschlossen. Während die Experten unter schwierigsten Bedingungen – die Löscharbeiten dauerten noch an – versuchten, die Fallen unschädlich zu machen, entfaltete sich das ganze Ausmaß der Tragödie.
In der Nähe des Brandortes, am idyllischen Lerchenauer See, wurde eine schwer verletzte Person gefunden. Trotz sofortiger medizinischer Versorgung erlag der Mann wenig später seinen Verletzungen. Die Ermittlungen ergaben schnell, dass es sich bei dem Toten um den mutmaßlichen Täter handelte, den Brandstifter, der nach der Tat offenbar den Freitod gewählt hatte. Doch seine Tat hatte weitreichendere Konsequenzen, die das Herz der bayerischen Hauptstadt treffen sollten.
Die Verbindung zum Oktoberfest wurde durch ein Schreiben des Täters hergestellt, das eine unspezifische, aber ernstzunehmende Drohung gegen das Volksfest enthielt. Für die Sicherheitsbehörden gab es keine andere Wahl. Die Sicherheit von Millionen von Menschen stand auf dem Spiel. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bestätigte die Bedrohungslage am Vormittag und verkündete die schmerzhafte, aber notwendige Entscheidung: Das Oktoberfest bleibt vorerst geschlossen. „Sicherheit geht vor“, betonte Reiter. „Wir können das Risiko nicht eingehen.“
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Tausende Besucher, die bereits in Tracht und voller Vorfreude auf dem Weg zur Theresienwiese waren oder bereits vor den Toren warteten, standen vor verschlossenen Eingängen. Per Lautsprecherdurchsagen wurden sie über die Lage informiert. Überraschenderweise reagierten die Menschenmassen mit großer Ruhe und Verständnis. Es gab keine Panik, keine Unruhen. Die Warteschlangen lösten sich langsam auf, die Menschen verließen den Ort, der für die nächsten Stunden zum Zentrum eines beispiellosen Polizeieinsatzes werden sollte.
Für die Einsatzkräfte begann ein Wettlauf gegen die Zeit. Das riesige Areal der Theresienwiese musste systematisch nach möglichen Sprengsätzen abgesucht werden. Sprengstoffspürhunde aus ganz Bayern wurden zusammengezogen, um das 42 Hektar große Gelände, jedes Zelt, jedes Fahrgeschäft und jeden Winkel akribisch zu überprüfen. Mitarbeiter der Schausteller und Zeltbetriebe wurden ebenfalls evakuiert und in einem sicheren Bereich untergebracht. Die Bilder, die von der Wiesn um die Welt gingen, zeigten ein surreales Bild: leere Gassen, verwaiste Biergärten und dazwischen hochkonzentrierte Polizisten mit ihren Hunden.
Während der Großeinsatz lief, verdichteten sich die Informationen über die Hintergründe der Tat. Schnell wurde klar, dass es sich nicht um einen terroristischen Akt handelte, wie zunächst befürchtet wurde. Zwar prüfte die Polizei kurzzeitig einen möglichen Zusammenhang mit einem Bekennerschreiben der Antifa, das auf der Plattform indymedia.org aufgetaucht war und sich auf Brandstiftungen im Münchner Norden bezog. Doch diese Spur erwies sich als falsch. Die Ermittler stellten unmissverständlich klar: Die Tat hatte einen rein privaten, familiären Hintergrund. Ein offenbar eskalierter Familienstreit hatte den Täter zu seiner verzweifelten und zerstörerischen Tat getrieben. Er hatte nicht nur sein Elternhaus in Brand gesteckt und mit Sprengfallen versehen, wobei zwei Bewohner verletzt wurden, sondern in einem letzten Akt des Hasses oder der Verzweiflung auch versucht, das Symbol der Münchner Lebensfreude in seinen persönlichen Abgrund mit hineinzureißen.
Der Vorfall wirft ein grelles Licht auf die Verletzlichkeit moderner Gesellschaften und ihrer Großveranstaltungen. Er zeigt, wie die Tat eines Einzelnen, ausgelöst durch persönliche Motive, eine ganze Metropole in Atem halten und eine Maschinerie aus Sicherheitskräften in Bewegung setzen kann, die normalerweise nur bei Terrorlagen zum Einsatz kommt. Die Entscheidung, das Oktoberfest zu schließen, war ohne Alternative und wurde von allen Seiten gelobt. Sie unterstreicht den obersten Grundsatz: Die Sicherheit der Bürger hat absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen oder Feierlaune.
Gegen Nachmittag kam dann die erlösende Nachricht. Die Durchsuchungen auf der Theresienwiese waren abgeschlossen, es wurde nichts Verdächtiges gefunden. Die Tore des Oktoberfests konnten am späten Nachmittag wieder öffnen. Doch der Schock saß tief. Der Tag hatte gezeigt, wie schnell eine Atmosphäre der Unbeschwertheit in Angst umschlagen kann. Er war eine ernüchternde Erinnerung daran, dass auch hinter den fröhlichsten Fassaden menschliche Tragödien lauern können, deren Auswirkungen unvorhersehbare Kreise ziehen. Für die Besucher, die am Abend wieder auf die Wiesn strömten, mischte sich in die Erleichterung auch ein Gefühl der Nachdenklichkeit. Der Klang der Blaskapellen klang vielleicht ein wenig gedämpfter, das Lachen war vielleicht nicht ganz so unbeschwert, aber die Botschaft war klar: München lässt sich seine Lebensfreude nicht nehmen, nicht durch Terror und auch nicht durch die tragische Tat eines Einzelnen. Doch die Erinnerung an den Tag, an dem die Wiesn stillstand, wird bleiben.