DAS LETZTE DUETT: Alice und Ellen Kessler wählen den gemeinsamen Abschied – Ein Akt der Liebe, der die Welt bewegt

Die Nachricht traf die Welt der Unterhaltung wie ein Blitz aus heiterem Himmel, doch für jene, die Alice und Ellen Kessler wirklich kannten, schloss sich ein Kreis von fast neun Jahrzehnten unzertrennlicher Existenz. Am 17. November 2025, in den späten Stunden eines Herbsttages nahe München, traten die legendären Kessler-Zwillinge, Ikonen des europäischen Varietés, ihren letzten gemeinsamen Weg an. Sie wählten den assistierten Suizid. Es war ein Entschluss von immenser Tragweite und ein letztes, selbstbestimmtes Statement, das die tiefe und unauflösliche Verbindung zwischen den Schwestern auf schmerzliche und zugleich poetische Weise besiegelte.

Im Alter von 89 Jahren, nach einem Leben, das von der Enge des kalten Krieges bis zu den schillerndsten Bühnen Roms reichte, entschieden sich Alice und Ellen, die Bühne des Lebens gleichzeitig zu verlassen. Diese Gleichzeitigkeit ist nicht nur ein bewegendes Detail, sondern der Kern ihres gesamten Daseins. Ob in der Öffentlichkeit oder im Privaten – sie waren stets ein unzertrennliches Ganzes. Ihr Abschied war, wie es auch ihre Karriere war: synchronisiert, präzise und ganz nach ihren eigenen Regeln.

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Die Endgültigkeit einer unzerstörbaren Bindung

Die Umstände ihres Todes wurden auf die nüchternste Weise bekannt gegeben, doch die dahinterliegende Emotion ist überwältigend. Die Zwillinge schieden in ihrem Zuhause aus dem Leben. Ihr letzter Wille zeugt von der tiefen, fast spirituellen Natur ihrer Bindung. Sie verfügten, dass ihre sterblichen Überreste kremiert werden sollten und ihre Asche gemeinsam mit der ihrer Mutter und ihres geliebten Hundes ruhen soll. Diese Anweisung ist mehr als eine simple Bestattungsvorschrift; sie ist ein Manifest ihrer Lebensphilosophie. Sie starben, wie sie gelebt hatten: in Einheit, umgeben von jenen, die sie am meisten liebten.

Man muss die Dramatik dieses Endes im Kontext ihres Beginns sehen. Geboren 1936, wuchsen Alice und Ellen Kessler in einem Deutschland auf, das von politischen Umbrüchen zerrissen war. Ihre ersten künstlerischen Schritte machten sie bereits mit elf Jahren am Opernhaus in Leipzig. Doch die Enge und die fehlende Freiheit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) waren für die lebenslustigen, aufstrebenden Künstlerinnen eine Fessel. Der Wunsch nach einer freien Entfaltung ihres Talents war stärker als die Angst vor der Flucht. Sie flohen aus der DDR und suchten zunächst Zuflucht in Paris.

In der französischen Hauptstadt perfektionierten sie ihre Kunst, doch das Schicksal hielt einen noch größeren Triumph für sie bereit: Italien. 1961, mit 18 Jahren, betraten sie italienischen Boden. Es war der Beginn einer Ära, die ihren Namen zu einem Synonym für Eleganz, Modernität und einen Hauch von Skandal machen sollte.

Der römische Triumph: Ein Hauch von Hollywood in Italien

Die Ankunft der Kessler-Zwillinge in Italien war ein kulturelles Erdbeben. Das Land, noch immer tief verwurzelt in konservativen Traditionen, war reif für die Revolution, die diese beiden blonden, hochgewachsenen Tänzerinnen mit ihren schier endlosen Beinen einleiten sollten. Die Türen des großen italienischen Fernsehvarietés öffneten sich sofort.

Ihr Durchbruch gelang in der legendären Show Giardino d’inverno, inszeniert von Antonello Falqui. Sie traten neben Giganten wie dem Orchesterleiter Gorny Kamer und dem Choreografen Don Lurio auf. In dieser Show sangen und tanzten sie sich in die Herzen der Nation, etablierten Hits wie “Pollo e Champagne” und ihre Coverversion von “Concertino”.

Der wahre Ikonenstatus jedoch wurde mit der Show Studio Uno zementiert. Die RAI, der staatliche Fernsehsender, vertraute ihnen die Titelmelodie an: das berühmte “Da-da-unpa”. Dieses Lied, ein Obertongesang der puren Lebensfreude, wurde zum Soundtrack einer Generation und katapultierte die Zwillinge endgültig in den Olymp des italienischen Showbusiness. Ihre Anmut, ihre perfekt choreografierten Schritte und ihre mitreißende Präsenz machten sie zu einem internationalen Phänomen. Sie verkörperten den Geist der neuen Zeit – leichtfüßig, kosmopolitisch und provokant.

Showgirls Alice und Ellen Kessler - DER SPIEGEL

Der Skandal um die längsten Beine Italiens

Genau diese Provokation führte zum wohl bekanntesten und ikonischsten Kapitel ihrer Karriere: dem Beine-Skandal.

In den 60er Jahren waren die Beine von Alice und Ellen Kessler schlichtweg ein nationales Gesprächsthema. Sie waren lang, schlank und, gemessen an den damaligen strengen Moralvorstellungen der RAI, viel zu nackt. Die Zwillinge trugen oft Kostüme, die ihre langen Gliedmaßen enthüllten – ein Symbol der Befreiung und des modernen Europas, das in starkem Kontrast zur prüden Haltung der italienischen Öffentlichkeit stand.

Die Aufregung war so groß, dass der konservative Druck auf die RAI zunahm. Die Folge: Die Kessler-Zwillinge wurden in den TV-Programmen gezwungen, dicke, schwere, dunkle Nylonstrümpfe zu tragen. Was als Zensur und Versuch der Verhüllung gedacht war, konnte ihre Anziehungskraft nicht mindern; es machte ihre Beine nur noch berühmter und zum Subjekt unzähliger Witze und Debatten. Sie wurden zu unfreiwilligen Botschafterinnen der sexuellen Revolution.

Ihre ultimative Antwort auf diese Zensur folgte 1974. Nach ihrem Auftritt in der Show 1000 luci an der Seite von Mina und Raffaella Carrà trafen die Kessler-Zwillinge eine Entscheidung, die alle konservativen Kritiker verstummen ließ: Sie akzeptierten ein Angebot des Magazins Playboy für die italienische Ausgabe.

Die Ausgabe mit den Zwillingen auf dem Cover brach bis dahin ungeahnte Verkaufsrekorde. Es war ein Triumph der Selbstbestimmung über die Bevormundung, ein mutiger Akt, der zeigte, dass diese Künstlerinnen bereit waren, für ihre Freiheit und ihren Körper einzustehen. Diese Episode verankerte sie endgültig als kulturelle Meilensteine, die nicht nur tanzten und sangen, sondern auch gesellschaftliche Barrieren niederreißen konnten.

Die schönsten Zwillinge der Welt sind tot

Ein Leben in Harmonie und ein Abschied in Frieden

Ihr Einfluss reichte über die Fernsehstudios hinaus. Sie wirkten in kleineren Rollen in Filmen wie La francese e l’amore und Gli invasori mit und wurden zu gefragten Werbegesichtern, insbesondere für eine berühmte Damenstrumpfmarke in der beliebten Carosello-Werbesendung. Ihre Präsenz blieb auch in den 80er Jahren stark, mit Shows wie Buonasera con Alice ed Ellen Kessler und Al Paradise.

1986 kehrten die Zwillinge nach Deutschland zurück und ließen sich in der Nähe von München nieder, aber ihre Verbindung zu Italien riss nie ab. Sie reisten weiterhin häufig für Gastauftritte und TV-Sendungen in das Land, das ihre zweite Heimat geworden war.

Doch während ihr Leben stets von einer bemerkenswerten, scheinbar mühelosen Synchronität geprägt war, ist es ihr letzter Akt, der uns am meisten berührt. Der gemeinsame Freitod im Alter von 89 Jahren war, wie das italienische Magazin TV Sorrisi e Canzoni einst titelte, der Abschluss ihres Lebens als “unzertrennliche Seelen”.

Für Alice und Ellen Kessler war die Vorstellung, ohne die andere weiterleben zu müssen, offenbar unerträglich. Ihre Entscheidung für den assistierten Suizid zeugt nicht von Verzweiflung, sondern von einer absoluten, tief empfundenen Verbundenheit, die bis in den Tod reichte. Sie wählten einen Weg, der ihnen erlaubte, ihr letztes Kapitel gemeinsam zu schreiben, frei von Krankheit, Schmerz oder der quälenden Einsamkeit, die der Verlust des eigenen Zwillings unweigerlich mit sich gebracht hätte.

Ihr Vermächtnis ist nicht nur eine Reihe von Hits und unvergesslichen Fernsehauftritten. Es ist die Geschichte zweier mutiger Frauen, die vor einem repressiven Regime flohen, die in einer neuen Heimat zu Ikonen wurden und die die konservative Gesellschaft herausforderten. Vor allem aber ist es die beispiellose Geschichte einer Zwillingsschwester-Beziehung, die in ihrer Intensität und Gleichzeitigkeit einzigartig in der Welt des Showbusiness ist.

Mit dem 17. November 2025 endete ein Leben, das ein einziges großes, perfektes Duett war. Alice und Ellen Kessler sind gegangen, aber die Melodie ihres “Da-da-unpa” und die unvergessliche Eleganz ihrer Beine werden in der Erinnerung aller, die sie geliebt haben, weiterleben – ein bewegender, letzter Vorhang für die Königinnen des Varietés, die bis zum Schluss ihre eigene, tiefe Logik des gemeinsamen Seins verteidigten. Ein letzter, mutiger Tanz, Hand in Hand, in die Ewigkeit. Sie sind nun beisammen, wie sie es immer waren, vereint im letzten Frieden, den sie sich selbst gewählt haben, zusammen mit der Asche ihrer Liebsten. Es ist ein Abschied, der uns lehrt, dass wahre Liebe manchmal erfordert, den letzten Weg gemeinsam und selbstbestimmt zu gehen.

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