Die Fünf Wunden des Westens: Manfred Krugs späte Abrechnung mit den BRD-Legenden, die seine Würde verletzten
Manfred Krug war immer der Mann, der die Mauern singend umschiffte, der Jazz in die sozialistische Tristesse brachte und dessen Lächeln ehrlicher war als jede staatlich verordnete Parole. Geboren 1937 in Hannover, aufgewachsen in der DDR, wurde er zu einem der größten Volkshelden des Ostens – geliebt für seine Stimme, gefürchtet für seine kompromisslose Ehrlichkeit. Er war der Arbeiterkind-Star, der es wagte, Rückgrat zu zeigen. Doch als er 1977 nach seinem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns die DDR verließ, betrat er nicht das gelobte Land, sondern eine Arena, in der die Regeln neu, die Gegner unsichtbarer und die Enttäuschungen umso schmerzhafter waren.
Mit 72 Jahren, nach einem Leben voller Triumphe, Rückschläge und unausgesprochener Wahrheiten, setzte Manfred Krug sich hin und tat etwas Unerwartetes. Er öffnete die Tür zu den dunkelsten Kapiteln seiner Anfangsjahre im Westen und nannte, ohne Groll, aber mit erschöpfender Klarheit, fünf Namen. Fünf Stars der Bundesrepublik, die ihn nicht nur enttäuschten, sondern die ihn zutiefst veränderten. Diese Liste, so betont er, ist keine Abrechnung, sondern ein Geständnis. Es ist der emotionale Rückblick eines Mannes, der in der BRD nicht nur gegen Vorurteile kämpfen musste, sondern gegen jene, die ihm ins Gesicht lächelten und hinter seinem Rücken sein Scheitern wünschten. Es waren Menschen, die ihm Chancen versprachen und ihn dann aus den Plänen strichen, die ihn als „Ostimport“ behandelten, obwohl er längst mehr Talent und Tiefgang besaß als die meisten von ihnen. Diese fünf Geschichten sind mehr als Klatsch; sie sind ein erschütterndes Protokoll über Neid, Angst und den Verrat an der gemeinsamen Herkunft. Sie beleuchten, wie der Westen seine eigene Legende fallen ließ.

Armin Müller-Stahl – Der Bruderkuss des Verrats
Auf Platz fünf steht eine Figur, deren Platzierung auf dieser Liste für Krug selbst die schmerzhafteste Ironie bereithält: Armin Müller-Stahl. In der DDR war Müller-Stahl ein Leuchtturm, eine Instanz des intellektuellen, kompromisslosen Schauspielertums. Krug sah in ihm einen „Bruder im Geist“, einen Mann, der sich gegen das System stellte. Als Müller-Stahl 1980 die DDR verließ, war das für Krug ein Akt der Inspiration, der ihm den Weg ebnete.
Doch die Realität im Westen zerschlug das Ideal in Scherben. Das Wiedersehen bei einer Filmveranstaltung in München war von einer Kälte geprägt, die Krug nie vergessen würde. Müller-Stahl empfing ihn nicht mit Wärme, sondern mit einem Satz, der wie ein Brenneisen wirkte: „Manfred, du musst verstehen, hier beginnt alles von vorne“. Für Krug klang dies nicht nach Ratschlag, sondern nach Abwertung. Er war nicht willkommen im exklusiven Club der kulturellen Dissidenten. Er war nur der populäre Volksschauspieler, den die Elite belächelte.
Der endgültige Schlag kam durch ein Interview, in dem Müller-Stahl implizierte, einige Künstler aus dem Osten brächten „nur Popularität“ mit, aber nicht die notwendige „Haltung“. Obwohl kein Name fiel, wusste jeder, wer gemeint war. Krug war an seiner Würde getroffen. Müller-Stahl hatte nicht nur das Land, sondern auch die Seite gewechselt. Er wurde zum Sinnbild eines Erfolgs, der alle Brücken zur Vergangenheit hinter sich verbrennt. Krug verachtete ihn nicht dafür, dass er ging, „ich verachtete ihn dafür, dass er vergaß, woher wir kamen“. Müller-Stahl, der Held, behandelte seinen Gefährten wie einen Konkurrenten und zeigte Krug als Erster, dass die BRD ihn nicht mit offenen Armen empfangen würde.
Günther Strack – Der Wächter der West-Burg
Die westdeutsche Fernsehlandschaft in den frühen 80er Jahren war, wie Krug es beschreibt, eine Burg, und Günther Strack war einer ihrer mächtigsten Wächter. Strack, ein gefeierter Volksschauspieler des Westens, empfing den Neuankömmling aus dem Osten mit demonstrativer Kälte. Die erste Begegnung bei einer Fernsehproduktion in Köln war von einem höflichen Lächeln und einer kalten Wand geprägt. Auf Krugs Freude über die Zusammenarbeit antwortete Strack nur: „Wir werden sehen“.
Was folgte, war ein unsichtbarer, aber zermürbender Machtkampf. Strack untergrub Krugs Arbeit in den Proben durch Ignoranz und spöttische Bemerkungen. Wenn Krug Ideen einbrachte, hieß es: „So machen wir das hier nicht“. Das Schlimmste war jedoch nicht der offene Streit, sondern die feine, kalte Ablehnung, die Krugs Herkunft zum Thema machte. Hinter der Bühne sagte Strack über die „DDR-Schauspieler“: „sie haben nicht gelernt, im Team zu arbeiten“.
Der Tiefpunkt war eine Filmszene, in der Krugs Spiel Strack nicht gefiel. Stracks kalte Kritik: „Manfred, du spielst das falsch, du spielst es zu Ostdeutsch“. Dieses Wort schnitt tiefer als jede fachliche Kritik, denn es machte ihn zum Fremden, zum Unpassenden. Das Wort „Ostdeutsch“ wurde zum Stigma. In einem späteren Gespräch warf Strack ihm direkt vor: „du willst zu viel“ und „du glaubst, du kannst einfach reinspazieren und dazu gehören“. Für Krug war Strack keine Künstlerseele, sondern ein eitler Konkurrent, der seine eigene Bühne verteidigte. Er verachtete nicht Stracks Kunst, sondern seine Angst – die Angst, von einem wuchtigen Talent aus dem Osten bedroht zu werden. Strack, so Krug, konnte einfach nicht akzeptieren, dass „Größe Platz für zwei haben kann“.

Rudy Carrell – Die Demütigung vor Millionen
Wenn es um öffentliche Bloßstellung geht, führt für Manfred Krug kein Weg an Rudy Carrell vorbei. Carrell, der schlagfertige, unkalkulierbare Entertainer, war für Krug zunächst ein Bewunderter. Doch Carrells Humor entpuppte sich als Waffe, die keine Rücksicht auf Kollateralschäden nahm. Krugs Auftritt in der „Rudi Carrell Show“ sollte eine Chance sein, sich dem westdeutschen Publikum von seiner humorvollen Seite zu präsentieren. Stattdessen wurde es eine Falle.
Schon bei der Probe spürte Krug die kalte Distanz. Carrell musterte ihn zu lange und sagte: „Wir sehen, wie locker Sie sind“, eine Mischung aus Scherz und Warnung. Während der Improvisation versetzte Carrell Krug einen spöttischen Seitenhieb, der die ganze Crew zum genüsslichen, aber leisen Lachen brachte: „Manfred, Sie sind lustig – für DDR-Verhältnisse“.
Der entscheidende Moment kam live vor laufender Kamera. Carrell stellte Krug eine scheinbar harmlose, aber perfide Frage: „Herr Krug, im Osten waren Sie ein großer Star. Fühlen Sie sich im Westen manchmal verloren?“. Das Publikum raunte. Als Krug ruhig antwortete, er finde sich zurecht, setzte Carrell den Stich, der die Demütigung perfekt machte: „Das hoffen wir, sonst schicken wir Sie zurück“. Gelächter, Orchester, Trompeten. Krug musste eine Maske der Selbstbeherrschung tragen, während seine Hand unter dem Tisch zitterte. Später erfuhr er, dass die Demütigung geplant war, mit der Begründung: „Krug ist zu ernst, den muss man auflockern – am besten öffentlich“.
Krugs Fazit ist vernichtend: „Ich verachtete ihn nicht, weil er mich angriff. Ich verachtete ihn, weil er lachte, während er es tat“. Carrell sah in ihm nur „Material, nicht als Mensch“. Er benutzte Humor nicht als verbindendes Werkzeug, sondern als Waffe zur Selbsterhöhung und überschritt damit eine Grenze der Menschlichkeit.
Harald Juhnke – Die Feigheit des Idols
Harald Juhnke, der ewige Berliner Entertainer, war das Idol, das Krug schon aus DDR-Zeiten verehrte – der Clown, der weinte, der tragische Held. Als Krug in den Westen kam, hoffte er insgeheim auf eine Allianz zweier Berliner Herzen. Juhnke schien diese Hoffnung zunächst zu erfüllen, indem er Krug in Hamburg ansprach und sagte: „Manne, du bist jetzt im Westen, hier rocken wir zusammen“.
Doch Juhnke war ein Mann der zwei Gesichter. Als Krug für eine große Filmproduktion vorgesehen war, verbreiteten sich plötzlich Gerüchte, Krug sei „schwierig, politisch empfindlich, ungeeignet“. Krug erfuhr, dass diese Gerüchte aus Kreisen stammten, in denen Juhnke verkehrte. Auf die direkte Frage hin wich Juhnke aus: „Manne, ich mische mich da nicht ein. Du weißt, wie das Geschäft läuft“. Für Krug war dieses Ausweichen Verrat.
Der endgültige Bruch ereignete sich 1987 bei einer Aftershowparty in einem Berliner Club. Juhnke, leicht angetrunken und im Kreis westdeutscher Kollegen, sagte die Worte, die Krug endgültig vertrieben: „Der Krug, der spielt gut, ja, aber er ist keiner von uns. Der zuckt noch, wenn einer Stasi sagt“. Dieses Gelächter traf Krug wie ein Schlag. Er drehte sich um und ging, ohne ein Wort zu sagen, doch innerlich brach etwas ab.
Jahre später suchte Juhnke Krug auf und versuchte, sich zu entschuldigen, mit den Worten: „Ich habe viel Scheiß gemacht, ich war nicht immer ich selbst“. Krugs Antwort war ruhig und endgültig: „Harald, man verliert Menschen nicht durch Fehler, man verliert sie durch Feigheit“. Krug verachtete nicht Juhnkes Schwäche, sondern die Tatsache, dass er ihn fallen ließ, um sich selbst zu retten. Juhnke liebte die Show, aber nicht die Standhaftigkeit. Er war bereit, andere im Dunkeln zurückzulassen, um im Rampenlicht zu stehen. Juhnke steht auf Platz zwei, weil er Krug verriet, indem er nichts tat, als es darauf ankam.
Dieter Hallervorden – Das Brandzeichen der Erniedrigung
Ganz oben auf der Liste, als schmerzhafteste Enttäuschung, steht Dieter Hallervorden, besser bekannt als „Didi“. Krug bewunderte ihn als mutigen Satiriker, als anarchischen Humoristen, der gegen Spießigkeit kämpfte und für Haltung stand. Als Hallervorden Krug zu einer Sketchshow einlud, war Krug stolz. Er glaubte, endlich von einem Außenseiter im Westen akzeptiert zu werden. Doch der Schein trog.
Halla Forden wollte nicht den Schauspieler Krug, sondern nur das Klischee. In einem Sketch sollte Krug den „typischen Ossi“ spielen – naiv, tapsig, ein bisschen dumm, rückständig. Krug hielt das Drehbuch in der Hand und fragte ruhig: „Didi, das bin nicht ich.“ Hallervorden lachte es weg: „Manne, nimm dich nicht so ernst. Das Publikum liebt das“. Doch Krug nahm seine Würde ernst, und die wurde in diesem Moment mit Füßen getreten.
Als Krug sich weigerte, die Rolle zu spielen, wurde Hallervordens Gesicht hart. Hinter der Kulisse sagte er zu seinem Team den Satz, der Krug tief traf: „Wenn der Krug nicht spurt, holen wir jemanden, der dankbarer ist. Oststars sind ersetzbar“. In diesem Moment erkannte Krug, dass Hallervorden kein Rebell war, sondern ein Zyniker, der zwar von Freiheit redete, aber andere in Schubladen steckte.
Ein späteres Interview von Hallervorden, in dem er sagte, Krug müsse „noch lernen, wie der Westen funktioniert“, war für Krug die schlimmste öffentliche Belehrung – eine Markierung der Grenze zwischen „wir“ und „ihr“. Krug verachtete Hallervorden nicht für seinen Humor, sondern dafür, dass er ihn klein machte, um sich selbst groß zu fühlen. Hallervorden war für Krug der Mann, der ihm zeigte, dass im Westen keine neuen Kollegen, sondern neue Feindbilder gesucht wurden. Dieter Hallervorden steht auf Platz eins, weil er nicht der brutalste Gegner war, sondern der einzige, der Krug seine Würde nehmen wollte und dabei auch noch lachte.
Ein Mann findet seinen Frieden
Mit 72 sitzt Manfred Krug in seinem Sessel, die Hände gefaltet, der Blick klarer als in all den Jahren, in denen er diese Wunden in sich trug. Er hat zwei Systeme, zwei Karrieren und zwei Leben durchlaufen. Die DDR gab ihm Ruhm, die BRD gab ihm Freiheit, doch beide schenkten ihm Enttäuschungen. Die fünf Namen, die er nennt – Müller-Stahl, Strack, Carrell, Juhnke und Hallervorden – sind die architektonischen Pfeiler eines Schmerzes, der ihn prägte.
„Ich habe fünf Menschen getroffen, die mich verletzten. Nicht mit Fäusten, mit Sätzen, mit Schweigen, mit Blicken“, resümiert er bitter. Doch in diesem Rückblick liegt auch eine späte Befreiung. Er lächelt und fügt hinzu: „Und sie alle haben mir geholfen, stärker zu werden“. Die Liste ist keine Rache, sondern ein Akt der Selbstwiederherstellung. Krug hat viel verloren, aber er hat auch gelernt: „Würde verliert man nur einmal, aber man kann sie sich zurückholen“.
Er steht langsam auf, geht zum Fenster und lässt die Berliner Luft herein. „Ich bin Manfred Krug“, flüstert er. Es ist kein Pathos, keine Inszenierung, sondern die reine, ungeschminkte Wahrheit. Und Wahrheit war immer das Einzige, was dieser Mann wirklich besaß. Seine späte Abrechnung ist nicht nur ein Dokument persönlicher Enttäuschung, sondern ein zeitgeschichtliches Zeugnis über die tiefen Gräben, die 40 Jahre deutsche Teilung in den Köpfen der Stars des Westens hinterlassen haben. Sie zeigt, dass die größten Herausforderungen nicht von politischen Gegnern, sondern von jenen kamen, die man einst bewundert hatte.