Die unheilbare Wunde der Punk-Ikone: Wie Nina Hagen durch eine Tragödie ihre Millionen und ihren Glauben fand
Es gibt Künstlerinnen, die eine Ära definieren, und es gibt Nina Hagen. Geboren 1950 in Ostberlin, sprengte sie Grenzen, lange bevor die Welt wusste, dass diese überhaupt existierten. Ihre Stimme war niemals nur Gesang, sie war ein elementarer Aufschrei; ihre Auftritte waren keine einfachen Shows, sondern radikale Offenbarungen. Mit Alben wie Nina Hagen Band, Unbehagen und Fearless etablierte sie sich als die unangefochtene Ikone der Punkrevolution, eine gottlose Prophetin mit Heiligenschein und grellem Make-up.
Man nannte sie die Mutter des Deutschen Punk, doch sie war stets viel mehr als nur eine Schublade: Schauspielerin, Aktivistin, Philosophin und Predigerin einer kompromisslosen Freiheit. Ihr Leben war eine Achterbahnfahrt aus Ruhm und Verlust, Exzess und Spiritualität, durchzogen von einer tiefen, quälenden Sehnsucht. Hinter der lauten, schreienden Bühnenfigur verbarg sich eine Frau von zutiefst empfindsamer Natur, die suchte, weinte und betete. „Ich wollte nie berühmt sein“, sagte sie einmal, „ich wollte verstanden werden.“ Doch das Leben hatte andere Pläne für sie. Die größte Veränderung und der tiefste Schmerz, der ihr Herz für immer zeichnete, war ein Ereignis, das selbst sie kaum in Worte fassen konnte: der Verlust ihres Kindes.

Der Schrei aus der Tiefe: Die Tragödie, die Nina Hagens Seele veränderte
In den 1980er Jahren, auf dem Höhepunkt ihres kometenhaften Aufstiegs, lebte Nina Hagen zwischen Ost und West, Punk und Pop, zwischen Exzess und einer tiefen Sehnsucht nach etwas Unbekanntem. Inmitten dieses kreativen und persönlichen Chaos wurde sie Mutter. Ihre Tochter Cosma Shiva Hagen, geboren 1981, wurde ihr Stolz und ihr Licht in einer lauten, chaotischen Welt. Doch nur wenige Jahre später erlitt Nina einen Schicksalsschlag, über den sie lange Jahre schwieg: Sie verlor ein weiteres Kind kurz nach der Geburt.
Dieser Verlust riss ein schwarzes Loch in die Seele der sonst so wilden und unzerstörbar scheinenden Künstlerin. Freunde aus ihrem damaligen Umfeld berichteten von Monaten der absoluten Dunkelheit. „Sie hat tagelang nicht gesprochen“, erinnerte sich ein Bandmitglied. „Nur geweint und gebetet.“ Es war ein Zusammenbruch, der weit über die menschliche Trauer hinausging. Ihr damaliger Lebensgefährte, der Musiker David Lyn, der sie in den 1990ern begleitete und später ihr geistiger Partner wurde, beschrieb in einem seltenen Interview eine Szene von herzzerreißender Intensität: „Ich habe sie in einer Nacht gesehen, wie sie auf dem Boden kniete, ein Kreuz hielt und schrie. Es war kein Wutanfall, es war ein Schrei aus der Tiefe, als hätte sie Gott direkt in die Augen geblickt.“
Dieser unerträgliche Schmerz ließ Nina Hagen zerbrechen, aber auch neu entstehen. Aus der Trauer erwuchs eine unbändige Suche nach Halt und Sinn, die sie in den Glauben trieb. Sie begann, die Bibel zu lesen, besuchte Kirchen, sprach mit Priestern, Gurus und Obdachlosen auf der Straße. „Ich habe überall nach Gott gesucht“, resümierte sie später, „und am Ende habe ich ihn in mir gefunden.“
David Lyn beschrieb, dass Nina nach Albträumen, in denen sie ihr verlorenes Kind wiedersah, weinte, bis keine Tränen mehr kamen. „Und dann hat sie gesungen, und das war ihre Art zu überleben.“ Aus diesem Schmerz entstand eine neue musikalische Identität. Ihre Musik wurde mystischer, ihr Blick nach innen gerichtet. In Songs wie Ave Maria, Spirit in the Sky oder Sünderin verschmolzen Glaube und Rebellion, Himmel und Hölle zu einer einzigen, extatischen Klanglandschaft. Ihre Konzerte wurden zu anarchischen, religiösen Ritualen. „Ich habe mit Gott gestritten“, sagte sie, „aber ich liebe ihn trotzdem.“
Ihr größtes Ringen war das Thema Schuld, nicht rational, sondern existentiell. „Ich hätte mehr tun müssen“, gestand sie einmal, „ich hätte mein Kind retten sollen. Aber vielleicht sollte ich lernen loszulassen.“ Das Loslassen wurde zu ihrer größten Prüfung und ihrer tiefsten Heilung. Wenn Nina Hagen heute singt, ist es, als würde sie für zwei Leben singen: für sich und für das, was sie verloren hat. Sie trägt ihren Schmerz wie eine Krone – schwer, aber würdevoll.
Liebe als Revolution: Die Löwin, die Freiheit atmete
Nina Hagen war niemals die Frau, die im Schatten blieb, und ihr Liebesleben war ebenso kompromisslos wie ihre Kunst. Sie stand nach jeder Krise auf, wilder, spiritueller, unversöhnlicher. Liebe war für sie immer alles oder nichts: himmelhoch jauchzend und abgrundtief zerstört. In ihren jungen Jahren führte sie Beziehungen, die so leidenschaftlich waren, dass sie fast zerstörerisch wirkten. Männer wie der Musiker Wolf Biermann, der Schauspieler Ralf Goldkind oder der Schriftsteller Ferdinand Krivette waren von ihrer Wildheit, ihrer Unberechenbarkeit und ihrer Fähigkeit, Grenzen zu sprengen, fasziniert.
Doch niemand konnte sie festhalten. „Ich liebe frei“, sagte sie einst. „Wenn du mich einsperrst, fliege ich davon.“ Diese unerbittliche Art, die Freiheit über den Besitz zu stellen, brachte ihr Bewunderung, aber auch oft tiefe Einsamkeit ein. Sie glaubte an Seelenverbindungen, nicht an Abhängigkeit, und wurde deshalb oft als exzentrisch, schwierig oder „zu viel“ missverstanden. Wer ihr wirklich nahe stand, wusste, dass sich hinter der Lautstärke eine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit verbarg.
Als sie David Lyn kennenlernte, den Mann, der später ihr geistiger Partner und Vertrauter wurde, war sie müde von den Liebesdramen. Er brachte eine dringend benötigte Ruhe in ihr Chaos, doch auch diese Liebe war kein traditionelles Märchen. Zwischen spirituellen Reisen, Konzerten und inneren Krisen gab es Streit, Missverständnisse und Distanz. „Wir haben uns oft verloren, aber nie ganz aufgegeben“, erklärte sie. Ihre Verbindung wurde zu einer „Liebesreise ohne Ziel“, basierend auf Respekt, Humor und einem gemeinsamen spirituellen Weg.
„Ich liebe wie eine Löwin“, sagte sie in einem französischen Magazin, „mit Zähnen und Tränen, aber ich lasse los, wenn es nötig ist.“ Trotz aller Brüche und Trennungsgerüchte blieb sie nie verbittert. Sie glaubt bis heute an die Liebe, nicht als romantische Illusion, sondern als göttliche Kraft, den Herzschlag des Universums. David Lyn blieb bis heute an ihrer Seite, nicht als klassischer Ehemann, sondern als spiritueller Gefährte. „Wir sind zwei Seelen, die sich begegnet sind, um zu lernen“, sagt sie, „nicht um zu besitzen.“ Wahre Liebe, so hat Nina Hagen nach all den Jahren begriffen, besteht nicht darin, jemanden festzuhalten, sondern gemeinsam zu wachsen, auch wenn man sich manchmal verliert.

Der Körper als Tempel: Heilung im Alter
Mit über 70 Jahren wirkt Nina Hagen immer noch wie eine elementare Naturgewalt. Ihre Energie auf der Bühne ist ungebrochen, ihr Blick klar, ihre Stimme einzigartig. Doch hinter der Fassade der Stärke trägt ihr Körper die Narben eines wilden Lebens. In den 70er und 80er Jahren verbrannte sich Nina an der Intensität ihres eigenen Daseins: Alkohol, Drogen, schlaflose Nächte, emotionale Achterbahnen. „Ich wollte alles erleben“, sagte sie, „und ich habe fast alles überlebt.“
Mit den Jahren stellten sich die körperlichen Konsequenzen ein: Arthrose in den Gelenken, Atemprobleme, ein geschwächtes Immunsystem, Schwindel und chronische Schmerzen. Doch anstatt sich zurückzuziehen, begegnet sie dem Alter mit einer Mischung aus Demut und Trotz. „Mein Körper ist mein Tempel“, erklärt sie. „Ich habe ihn lange missachtet, jetzt pflege ich ihn.“
Ihre Heilung ist kein medizinisches Konzept, sondern eine spirituelle Praxis. Sie meditiert täglich, macht Atemübungen, tanzt barfuß im Garten, fastet regelmäßig und lebt vegan. Sie schwört auf Heilkräuter, Klangtherapie und Gebete. Was manche als esoterisch abtun, ist für Nina schlichtes Überleben. „Ich brauche keine Pillen“, sagt sie, „ich brauche Licht und Liebe.“ Sie spricht mit ihrem Körper, hört auf seine Signale und hat keine Angst vor dem Tod: „Ich habe ihn schon gesehen“, sagt sie ruhig, „er hat mir nichts getan.“
Trotz gesundheitlicher Einschränkungen steht sie weiterhin auf der Bühne, wenn auch intimer, spiritueller. Ihre Konzerte gleichen heute oft Ritualen, in denen sie barfuß und mit geschlossenen Augen singt, als würde sie mit Engeln sprechen. Ihre Tochter Cosma Shiva Hagen sorgt sich oft um sie, aber Nina winkt ab: „Ich bin unzerstörbar.“ Sie weiß, dass ihr Körper altert, aber ihre Seele bleibt ewig jung: „Ich bin siebzig, aber in meinem Herzen bin ich ein Kind, das gerade erst lernt zu lieben.“ Diese Haltung zwischen Trotz und Transzendenz macht sie einzigartig. Sie kämpft nicht gegen das Alter; sie tanzt mit ihm.
Die 8 Millionen Euro und die wahre Freiheit
Wenn man heute das Haus von Nina Hagen in der Nähe von Berlin betritt, erwartet man Chaos, schrille Farben und Lärm. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sie lebt bescheiden und ruhig in einem kleinen Haus, umgeben von Bäumen, Tieren und Stille. „Ich brauche keinen Palast“, sagt sie, „ich brauche Raum zum Atmen.“
Obwohl ihr geschätztes Vermögen bei etwa 8 Millionen Euro liegt, verdient durch ihre jahrzehntelange Karriere, unzählige Konzerte und Songrechte, spielt Geld für sie keine Rolle mehr. Sie lebt einfach, trägt alte Kleidung, fährt einen kleinen Elektrowagen, geht selbst einkaufen. Das meiste Geld spendet sie für Umweltprojekte, Frauenhäuser und spirituelle Gemeinschaften. „Geld ist nur Energie“, erklärt sie, „wenn du sie teilst, fließt sie zurück.“
Ihr Zuhause ist ein Ort der Besinnung, gefüllt mit Ikonen, Buddhastatuen und Familienfotos. Auf dem Klavier brennt fast immer eine Kerze für ihren verlorenen Sohn, für ihre Eltern und die Menschen, die sie geliebt hat. „Ich bin nicht berühmt“, sagt sie. „Ich bin nur eine Frau, die singt und betet.“
Ihr wahrer Reichtum liegt nicht in materiellen Dingen, sondern in der Freiheit, sich selbst zu besitzen – etwas, das viele verlieren, wenn sie Ruhm finden. „Ich habe kein Imperium“, sagt sie, „ich habe Frieden, und das ist genug.“

Das Vermächtnis des Mutes
Wenn man heute über die deutsche Musikgeschichte spricht, führt kein Weg an Nina Hagen vorbei. Sie ist mehr als eine Sängerin oder eine Berühmtheit; sie ist eine kulturelle Institution, ein lebendiges Symbol für Mut, Unangepasstheit und Authentizität. Ihre Stimme, ein Instrument zwischen Oper und Punk, war das Sprachrohr einer Generation, die Freiheit forderte – Freiheit im Denken, Fühlen und Lieben.
Doch ihr größtes Erbe liegt nicht in Plattenverkäufen, sondern in ihrem Mut, anders zu sein. Sie hat bewiesen, dass Individualität kein Verbrechen ist und dass man sich nicht beugen muss, um geliebt zu werden. „Ich wollte nie eine Legende sein“, sagte sie einmal. „Ich wollte nur ehrlich leben, auch wenn es weh tut.“
Nina Hagen hat sich nie verstellt, nie geschwiegen, wenn sie hätte sprechen sollen. Sie kämpfte gegen Ungerechtigkeit, sprach sich für Frauenrechte, Minderheiten, Tiere und die Erde aus. Ihre Lieder waren immer politisch, auch wenn sie spirituell klangen. In ihnen steckt Wut und Gnade, Chaos und Klarheit.
Im Herbst ihres Lebens hat Nina Hagen den Frieden gefunden, den sie so lange gesucht hat – nicht im Ruhm, nicht in der Religion, sondern in sich selbst. Sie lebt mit David Lyn in stiller Zweisamkeit. Ihre Liebe ist gereift, sanfter, tiefer. Sie betet nicht aus Angst, sondern aus Dankbarkeit. Sie singt nicht für Applaus, sondern für Frieden.
„Ich habe gelernt, dass das Leben ein Lied ist“, sagt sie. „Manchmal schief, manchmal schön, aber solange man singt, ist man lebendig.“ Die Geschichte von Nina Hagen endet nicht mit einem Knall, sondern mit einem Flüstern: dem Flüstern einer Frau, die durch Schmerz zur Weisheit gefunden hat. Sie ist keine Punk-Ikone mehr, keine Provokateurin, keine Rebellin. Sie ist einfach Nina – ein Mensch, der das Leben in all seinen Farben gesungen hat. „Ich habe gesündigt, geliebt, gebetet“, sagt sie, „ich habe jeden Augenblick gelebt. Das ist mein Wunder.“