Die Bilder, die am 26. April 2008 aus dem beschaulichen Niederösterreich in die Welt drangen, sprengten die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft. Es war der Moment, in dem die Fassade eines scheinbar normalen Einfamilienhauses in Amstetten in sich zusammenbrach und ein 24 Jahre lang gehütetes, unvorstellbares Geheimnis enthüllte. Der Fall Josef Fritzl, auch bekannt als das „Monster von Amstetten“, ist nicht nur die Geschichte eines Verbrechens; er ist ein dunkles Zeugnis von narzisstischer Kontrolle, absoluter Grausamkeit und der schier unglaublichen Widerstandskraft einer Frau, die in der Hölle ein Leben für ihre Kinder schuf.
Die Chronologie des Schreckens begann nicht erst mit der Entdeckung, sondern war vielmehr das Ergebnis eines seit Langem geplanten Masterplans, geboren im kranken Geist eines Mannes, der seine dunkle Seite ausleben wollte. Josef Fritzl, 1935 geboren, präsentierte sich der Welt als angesehener Elektroingenieur, Ehemann und Vater von sieben Kindern. Doch hinter dieser bürgerlichen Maske verbarg sich eine Vorgeschichte, die bereits in den 1960er Jahren erste Risse zeigte: 1967 verbüßte er eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung und hatte eine Vergangenheit von unsittlichem Verhalten. Trotz dieser Vorfälle, die seine Frau Rosmarie offenbar tolerierte oder nicht hinterfragte, konnte Fritzl seine Fassade aufrechterhalten.

Der Weg ins Verlies: Eine gestohlene Jugend
Seine Tochter Elisabeth, geboren 1966, erlebte eine Kindheit, die von der Tyrannei ihres Vaters überschattet war. Die Misshandlungen waren alltäglich und trafen alle Kinder, doch Elisabeth wurde besonders oft zum Opfer, da sie sich als eine der wenigen seiner Autorität widersetzte. Die körperliche Gewalt eskalierte schnell in sexuellen Missbrauch, der bereits begann, als Elisabeth elf Jahre alt war. Die Flucht, die Elisabeth 1983 mit einer Kollegin nach Wien unternahm, war ein verzweifelter Versuch, sich aus dem Griff ihres Vaters zu befreien. Die Polizei fand sie und brachte sie zurück – ein Moment, der aus heutiger Sicht wie eine schicksalhafte Vorentscheidung wirkte.
Als Elisabeth 1984 kurz davor stand, für einen neuen Job nach Linz zu ziehen und sich somit endgültig der Kontrolle ihres Vaters zu entziehen, setzte Josef Fritzl seinen lange vorbereiteten Plan in die Tat um. Am 28. August 1984, kurz nach ihrem 18. Geburtstag, lockte er sie unter dem Vorwand, eine Tür in den Keller tragen zu müssen, in das Verlies. Dieser Kellerraum, den er über sieben Jahre hinweg akribisch geplant und gebaut hatte, wurde der Familie als unterirdischer Bunker gegen Atomangriffe präsentiert – eine plausible Lüge inmitten der Ängste des Kalten Krieges. Doch es war kein Schutzraum, es war ein Gefängnis.
Als Elisabeth half, die letzte Tür zu sichern, schlug Josef sie nieder, betäubte sie mit einem mit Äther getränkten Tuch und sperrte sie ein. Ein ausgeklügeltes System aus acht Türen und einem Zahlenschloss sicherte den schmalen, quadratischen Eingang. Für Elisabeth war es der Beginn eines neuen Lebens: eines Lebens in Isolation, das von der Grausamkeit ihres Vaters bestimmt wurde.
Das Leben in der Dunkelheit: Geburt und Grauen
Im Verlies, das anfangs nur 35 Quadratmeter maß und später mühsam auf 55 Quadratmeter erweitert wurde, lebte Elisabeth im ständigen physischen, psychischen und sexuellen Terror. Fast täglich wurde sie von ihrem Vater vergewaltigt, der sich emotional distanzierte, indem er ihr dabei nie ins Gesicht sah. Die Decken in ihrem Gefängnis waren so niedrig (maximal 1,80 Meter), dass ihr Sohn Stefan später fast ständig gebückt gehen musste, was zu schweren körperlichen Problemen führte. Josef bestrafte die Familie für kleinste Anzeichen von Ungehorsam, indem er tagelang die Stromversorgung, Lebensmittel und Wasser abschnitt.
Die wohl erschütterndsten Details betreffen die Kinder. In ihrer 24-jährigen Gefangenschaft gebar Elisabeth sieben Kinder – alle von ihrem Vater gezeugt – ohne jegliche medizinische Hilfe. Zur Vorbereitung auf diese traumatischen Geburten stellte Fritzl ihr lediglich Desinfektionsmittel, eine schmutzige Schere und ein altes Buch über Geburtshilfe aus den 1960er Jahren zur Verfügung. Eines der Kinder, Michael, starb kurz nach der Geburt aufgrund von Atemproblemen. Josef Fritzl verbrannte seine Leiche im Ofen.
Doch selbst in dieser Hölle bewies Elisabeth eine unvorstellbare mütterliche Stärke. Sie liebte und versorgte die drei Kinder, die im Keller bei ihr lebten – Kerstin, Stefan und Felix – so gut sie konnte. Sie bat ihren Peiniger um Bücher, um ihren Kindern Lesen und Schreiben beizubringen, und sorgte durch Fernseher und Radio dafür, dass sie wenigstens etwas über die Außenwelt und ihre Kultur erfuhren.
Drei weitere Kinder – Lisa, Monika und Alexander – wurden von Josef „auserwählt“, um oben im Haus bei ihm und Rosmarie zu leben. Er legte sie zu verschiedenen Zeitpunkten auf der Veranda ab, zusammen mit erfundenen Briefen von Elisabeth, in denen sie behauptete, die Kinder nicht versorgen zu können und sie ihren Eltern zur Obhut zu überlassen. Rosmarie Fritzl und die Behörden wurden jedes Mal mit dieser unglaublichen Geschichte beruhigt. Die Kinder, die oben aufwuchsen, wurden traumatisiert durch die Lügen über ihre fortgelaufene Mutter, während die Kinder im Keller unter dem Mangel an normaler Entwicklung, frischer Luft und Sonnenlicht litten.

Der Riss in der Fassade und die Wahrheit
Der Schlüssel zur Befreiung war die Krankheit. Am 19. April 2008 verlor die damals 19-jährige Kerstin, eines der Kellerkinder, das Bewusstsein. Sie litt an akutem Nierenversagen und einem gravierenden Vitamin-D-Mangel. Zum ersten Mal seit 24 Jahren willigte Josef Fritzl ein, medizinische Hilfe zu holen. Er erlaubte Elisabeth kurz nach draußen, um ihm zu helfen, die bewusstlose Kerstin ins Auto zu tragen. Es war der erste Blick auf die Außenwelt, den Elisabeth seit über zwei Jahrzehnten erhaschte.
Im Krankenhaus Amstetten schlugen die Ärzte Alarm. Kerstins gespenstisch blasse Haut und das Fehlen einer Krankengeschichte in jeglicher Datenbank machten sie misstrauisch. Josef Fritzl wich Fragen aus und hielt an seiner Geschichte der entlaufenen Tochter fest, die die Enkelin abgegeben habe. Die Ärzte, irritiert und skeptisch, alarmierten am 21. April die Polizei.
Die Polizei startete einen öffentlichen Aufruf an Elisabeth, sich zu melden, um die Krankengeschichte ihrer Tochter zu klären. Schließlich, eine Woche nach Kerstins Einlieferung, gab Josef Fritzl dem Drängen Elisabeths nach und erlaubte ihr, ihn ins Krankenhaus zu begleiten – jedoch unter der strengen Anweisung, seine Lügengeschichte zu bestätigen.
Bei ihrer Ankunft wurden Josef und Elisabeth sofort getrennt befragt. Die Behörden vermuteten zunächst, dass Elisabeth eine missbrauchende und vernachlässigende Mutter sei, die für den Zustand ihrer Tochter verantwortlich war. Doch die gespenstische Blässe Elisabeths und ihre anfängliche Angst und Zurückhaltung ließen die Beamten umdenken. Elisabeth stellte eine einzige Forderung: Sie müsse ihren Vater nie wieder sehen. Als ihr dies zugesichert wurde, begann sie, das gesamte, 24-jährige Martyrium zu enthüllen.
Die Gerechtigkeit und das unendliche Nachspiel
Drei Tage später, am 29. April 2008, bestätigten DNA-Beweise Elisabeths Aussage: Josef Fritzl war der leibliche Vater aller sechs noch lebenden Kinder. Der „Architekt des Schreckens“ wurde verhaftet. Bei seiner Vernehmung gestand er schließlich alles ein, beschwerte sich jedoch absurd, die Medien stellten ihn als Monster dar, obwohl er doch „eine Beziehung“ zu seiner zweiten Familie im Keller gehabt habe. Sein Geständnis enthüllte das erschreckende Motiv: Er wollte seine Tochter besitzen, wie ein Stück Eigentum, und sicherstellen, dass potenzielle Partner durch die große Kinderanzahl abgeschreckt würden, sollte sie jemals entkommen.
Der Prozess im März 2009 war ein Schock für die Weltöffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft präsentierte modrige Gegenstände aus dem Keller, deren Geruch die Geschworenen zurückweichen ließ. Die Geschworenen sahen sich fast vier Stunden Videomaterial von Elisabeths Aussage an. Am zweiten Prozesstag erschien Elisabeth persönlich. Als sich ihre Blicke trafen, wurde Josef Fritzl bleich und brach zusammen. Am nächsten Tag änderte er sein Plädoyer und bekannte sich in allen Anklagepunkten schuldig: fahrlässige Tötung, Vergewaltigung, Inzest, Entführung, Freiheitsberaubung und Versklavung. Er wurde zu lebenslanger Haft in einer Anstalt für kriminell Geisteskranke verurteilt.
Nach dem Urteil erhielten Elisabeth und ihre Kinder neue Identitäten und zogen an einen unbekannten Ort, wo sie fernab der Öffentlichkeit ihre gestohlene Freiheit neu erlernen konnten. Alle sechs Kinder mussten intensiv therapiert werden, um die massiven körperlichen und psychischen Schäden zu bewältigen. Die Kellerwohnung in Amstetten, der Ort des unvorstellbaren Verbrechens, wurde 2013 mit Beton gefüllt, um das Verlies für immer zu versiegeln.
Der Fall Fritzl bleibt ein Mahnmal für die Abgründe, die sich hinter einer scheinbar harmlosen Fassade verbergen können. Er ist aber auch die Geschichte einer Mutter, die in den dunkelsten Stunden des menschlichen Daseins eine Familie beschützte und damit eine Stärke bewies, die die gesamte Menschheit an die unzerstörbare Kraft des menschlichen Überlebens erinnert.